Diffusion Fundamentals 

Ein fächerübergreifendes Online-Journal im Open-Access-Angebot der Universität Leipzig

Die Universitätsbibliothek Leipzig bietet den Angehörigen der Universität Leipzig seit mehreren Jahren einen kostenlosen Service für die Verwaltung und Veröffentlichung von elektronischen Zeitschriften an, basierend auf der Zeitschriftenverwaltungs- und Publikationssoftware Open Journal Systems (OJS). Damit unterstützt sie die Wissenschaftler*innen dabei, neue Open-Access-Zeitschriften zu gründen, beziehungsweise etablierte Schriftenreihen und Zeitschriften auf Open Access (OA) umzustellen.

Seit Juli 2024 erscheint nun die traditionsreiche internationale OA-Zeitschrift Diffusion Fundamentals im neuen Gewand über OJS. Aus diesem Anlass sprachen wir mit Dr. Christian Chmelik – Leiter des Studienbüros der Fakultät für Physik und Erdsystemwissenschaften, Mitglied des Diffusion Fundamentals Editorial Boards und zuständig für das OA-Journal – über die langjährige Geschichte der Zeitschrift und die Erfahrungen bei deren Herausgabe im Open Access.

Interview mit Prof. Dr. J. Kärger und Dr. Chr. Chmelik zur langjährigen Geschichte der Open-Access-Zeitschrift Diffusion Fundamentals.

UB Leipzig: Lieber Herr Chmelik, welche Ziele verfolgen Sie mit Diffusion Fundamentals?

C.C.: Diffusion (von Lateinisch „diffundere“), das heißt, die Ausbreitung von Objekten durch Zufallsprozesse, ist ein Phänomen, das überall – also in der Natur wie in der Gesellschaft – zu beobachten ist. Die hierbei betrachteten „Objekte“ können gleichermaßen von materieller Natur sein, wie zum Beispiel die Moleküle in einem großtechnischen Trennprozess, oder von immaterieller Natur, wie eine Falschmeldung in den Medien. Die Ergründung der Gesetzmäßigkeiten, die diesen Prozessen zugrunde liegen, ist eine wichtige Teilaufgabe im Spektrum der Forschung der Einzeldisziplinen.

Anliegen von Diffusion Fundamentals ist ein über die Grenzen der Einzeldisziplinen sich erstreckendes Diskussionsforum dieses Phänomens zu schaffen, basierend auf dem Zusammenwirken der Diffusion-Fundamentals-Konferenzserie und des sie begleitenden Diffusion Fundamentals Online-Journals. Die Sicherung der OA-Verfügbarkeit dieser Zeitschrift durch die Universitätsbibliothek Leipzig ist für die internationale Diffusion-Community ein großer Gewinn.

UB Leipzig: Dem Titel nach hätten wir Ihre Zeitschrift in der Physik oder Chemie vermutet. Auf der Zeitschriftenwebsite lesen wir aber, dass sie interdisziplinär ausgerichtet ist und ein Diskussionsforum für Wissenschaftler*innen aus vielen unterschiedlichen Disziplinen, darunter auch aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, schaffen will. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Teilnehmende der ersten Diffusion-Fundamentals-Konferenz, Leipzig 2005. Dafür wurde noch bewusst das Jahr 2005 ausgewählt, das weltweit als das „Jahr der Physik“ begangen wurde. Foto: DF

C.C.: Für die erste Diffusion-Fundamentals-Konferenz wurde noch in der Tat sehr bewusst das Jahr 2005 ausgewählt, das weltweit als das „Jahr der Physik“ begangen wurde, zur Erinnerung an Albert Einsteins „annus mirabilis“ 1905. Unter seinen Arbeiten allein dieses Jahres befinden sich Publikationen zu drei ganz unterschiedlichen Problemen, von denen jede einzelne für sich allein bereits gewichtig genug gewesen wäre, seinen Weltruhm zu begründen. Weniger bekannt ist allerdings, dass zu diesen drei Publikationen neben der Arbeit zur Relativitätstheorie und der zur Quantisierung des Lichts, für die er den Nobelpreis erhielt, auch eine Arbeit über die Diffusion gehört. Mit ihr lieferte er die mikrophysikalische Erklärung für die Bewegung suspendierter Teilchen, so wie sie knapp 100 Jahre zuvor von dem Botaniker Robert Brown entdeckt wurde, und für die sogenannten „Diffusionsgleichungen,“ wie sie genau 50 Jahre zuvor von dem Mediziner Adolf Fick in Analogie zur Wärmeleitungsgleichung aufgestellt worden sind. Das Phänomen der Diffusion hatte also bereits damals Forschende aus allen Disziplinen angezogen.

Dass das Phänomen der Diffusion
oft der Physik oder Chemie
zugeschrieben wird, hängt damit
zusammen, dass dort genaue Angaben
zum Diffusionsverhalten der
betrachteten Systeme möglich sind.
Weit weniger genau sind dagegen
unsere Kenntnisse von den
Bedingungen, unter denen sich
zum Beispiel Falschmeldungen
in den Medien ausbreiten.
Umso spannender ist die Auslotung
dieser Möglichkeiten.

Dass dennoch, wie Sie richtig sagen, das Phänomen der Diffusion noch immer oft der Physik oder Chemie zugeschrieben wird, hängt wohl damit zusammen, dass die dort üblicherweise betrachteten Systeme, darunter insbesondere Festkörper, Flüssigkeiten und Gase, mit bereits wenigen Parametern hinlänglich genau beschrieben sind und damit auch genaue Angaben zum Diffusionsverhalten ihrer Bestandteile, also der Atome und Moleküle, möglich werden. Weit weniger genau sind dagegen unsere Kenntnisse von den Bedingungen, unter denen sich zum Beispiel die eingangs erwähnte Falschmeldung in den Medien ausbreitet – und entsprechend unsicher können daher auch nur die Voraussagen sein.

Umso spannender ist natürlich die Auslotung dieser Möglichkeiten. So kam es, dass in den nachfolgenden Diffusion-Fundamentals-Konferenzen immer öfter Ausbreitungsphänomene außerhalb von Physik und Chemie vorgestellt und entsprechend bei Diffusion Fundamentals online publiziert wurden. Prominente Beispiele hierfür waren die Beiträge über „Genetic and Cultural Diffusion“ von Luca Cavalli-Sforza, dem Begründer dieser Forschungsrichtung, während DFII 2007 in L‘Aquila und die von Dirk Brockmann zur Ausbreitung von Krankheiten und von Anne Kandler über technische Innovationen, als 2009 während DFIII in Athen erstmals eine ganze Sitzung der „Diffusion in Social Sciences“ gewidmet war.

UB Leipzig: Wie lässt sich eine solche Themenvielfalt auf einen gemeinsamen Nenner bringen und wer steht dahinter?

Die beiden Editoren der Zeitschrift, Prof. Kärger und Prof. Heitjans (rechts) während der ersen Diffusion-Fundamentals-Konferenz in Leipzig 2005.
Die Editoren der Zeitschrift, Prof. Kärger (Mitte) und Prof. Heitjans (rechts) während der ersen Diffusion-Fundamentals-Konferenz in Leipzig 2005. Foto: DF

C.C.: Von dieser ersten Diffusion-Fundamentals-Konferenz – organisiert in Leipzig, dem Ort der Herausgabe der bereits erwähnten Pionier-Arbeiten zur Diffusion von Albert Einstein 1905 und Adolf Fick 1855 – ging eine große Zugkraft aus. Damit gelang es den Tagungsorganisatoren (und Editoren des sich daraus entwickelnden Online-Journals), Jörg Kärger in Leipzig und Paul Heitjans aus Hannover, eine Kernmannschaft interessierter Kolleg*innen für die Mitarbeit im Diffusion Fundamentals Editorial Board zu gewinnen, denen viele gute Vorschläge für die Auswahl künftiger Konferenzorte und Vortragsthemen mit wachsender Themenbreite zu verdanken sind. Ständig wiederkehrender Passus in den Vortragseinladungen war dabei der Hinweis auf die Interdisziplinarität der Hörer- und Leserschaft mit der Bitte um Allgemeinverständlichkeit, bis heute mit sehr wechselndem Erfolg. 

Foto: Dirk Brzoska/SAW

Ein wichtiger Schritt bei der Sicherstellung des von Ihnen angesprochenen „gemeinsamen Nenners“ war auf der 6. Diffusion-Fundamentals-Konferenz in Dresden 2015 die Übernahme des Patronats von Diffusion Fundamentals durch die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) und, damit einhergehend, die Bildung einer SAW-„Strukturkommission“ zu dem Thema „Ausbreitung in Natur, Technik und Gesellschaft“. Von nun an stand, neben dem internationalen Editorial Board, auch diese Akademie-Kommission den lokalen Organisatoren bei der Vorbereitung und Durchführung von Tagungen zur Seite. 

In ihrem Bemühen um Interdisziplinarität war für Diffusion Fundamentals dieser Anschluss an die SAW mit ihren drei Klassen, der Mathematisch-naturwissenschaftlichen, der Philologisch-historischen und der Technikwissenschaftlichen Klasse, ein besonderer Gewinn.  Jüngstes Beispiel war der Erfolg der 10. Diffusion-Fundamentals Konferenz im September 2023 in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, mit der nach Europa und Amerika eine Diffusion-Fundamentals-Konferenz erstmals auch in Asien stattfand. Die Beiträge aus den Natur- und den Geisteswissenschaften hielten sich dabei – nach Jahren naturwissenschaftlicher Dominanz – nahezu die Waage.

Teilnehmende der 10. Diffusion-Fundamentals-Konferenz, Taschkent 2023. Die Beiträge aus den Natur- und den Geisteswissenschaften hielten sich dabei – nach Jahren naturwissenschaftlicher Dominanz – nahezu die Waage. Foto: DF

UB Leipzig: Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen der Zeitschrift und der Konferenz? Wie akquirieren Sie Beiträge für die Zeitschrift und wie ist der Begutachtungsprozess organisiert?

C.C.: Entsprechend dem auf unserer Website beschriebenen Prozedere ist die Einreichung von Beiträgen für Diffusion Fundamentals jederzeit willkommen. Wie bereits ausgeführt, ist die Zeitschrift zudem an die internationale Diffusion-Fundamentals-Konferenzserie gekoppelt, die alle zwei Jahre an unterschiedlichen Austragungsorten weltweit stattfindet. Im Vorfeld der Tagungen wird von allen Beitragsautor*innen die Einreichung von Abstracts erbeten. Diese sind in der Regel auf eine oder zwei Seiten beschränkt, folgen aber ansonsten den Formalia „regulärer“ Beiträge. Für die üblicherweise sehr zügige Einschätzung der Eignung der eingereichten Beiträge zur Veröffentlichung in der Zeitschrift sind wir den Mitgliedern des internationalen Diffusion Fundamentals Editorial Boards und der SAW-Strukturkommission „Ausbreitung in Natur, Technik und Gesellschaft“ sowie den lokalen Teams bei der Begutachtung von Beiträgen für die einzelnen Konferenzen sehr zu Dank verpflichtet.

UB Leipzig: Ihre Zeitschrift erscheint bereits seit fast 20 Jahren im Open Access und verlagsunabhängig. Das ist sehr beeindruckend! Warum haben Sie sich dafür entschieden und wie ist es Ihnen gelungen, das Projekt so lange erfolgreich zu führen?

Wichtige Zugkraft beim
Zusammenwachsen unserer
Forschendengemeinschaft
über die Grenzen der
Einzeldisziplinen hinweg war,
dass die Zeitschrift im Open Access
erscheinen konnte, also für jedermann
frei zugänglich war.

C. C.: Wir betrachten den Erfolg von Diffusion Fundamentals natürlich sehr gern als Bestätigung dafür, dass wir mit der Betrachtung von Ausbreitungsprozessen über die Grenzen der einzelnen Disziplinen hinweg in der Tat ein Thema von aktuellem Interesse gefunden haben. Wichtige Zugkraft beim Zusammenwachsen dieser Forschendengemeinschaft über die Grenzen der Einzeldisziplinen hinweg war, dass unsere Zeitschrift im Open Access erscheinen konnte, also für jedermann frei zugänglich war.  Mit großer Freude registriere ich zudem, dass viele der Teilnehmenden die Diffusion-Fundamentals-Tagungen schon als eine Art Familientreffen betrachten. Interessanterweise wird die Tatsache, dass die Vortragenden angesichts des breitgefächerten Fächerspektrums der Zuhörenden auf einen allzu großen Tiefgang verzichten müssen, oft gar nicht einmal als Nachteil empfunden.

Das Erscheinen von Diffusion Fundamentals online im Verbund mit der Diffusion-Fundamentals-Tagungsreihe bietet zudem den großen Vorteil, dass die Nachbereitung von Tagungen (eine der wichtigen Quellen für neue Ideen!) ganz wesentlich durch das Vorhandensein der im Vorfeld der Tagungen bei der Zeitschrift eingereichten und dort im Open Access verfügbaren Publikationen befördert wird.

UB Leipzig: Welche Ratschläge würden Sie anderen Herausgeberteams geben, die eine Open-Access-Zeitschrift gründen möchten? Gibt es dafür ein gutes Erfolgsrezept?

Man sollte von dem Nutzen,
den eine neue OA-Zeitschrift
mit sich bringt, sehr überzeugt sein
und sich dabei auf einen
genügend großen Kreis von
Mitstreiter*innen stützen können.

C.C.: Verübeln Sie es mir bitte nicht, wenn ich – weit entfernt von einer wirklich tiefgehenden Antwort – auf zwei (fast schon triviale) Grundvoraussetzungen verweise. Man sollte, wenn man sich auf ein solches Vorhaben einlässt, von dem Nutzen, den diese neue OA-Zeitschrift mit sich bringt, sehr überzeugt sein und sich dabei auf einen genügend großen Kreis von Mitstreiter*innen stützen können. Und dann sollte dem Herausgeberteam idealerweise – wie das auch bei uns zum Glück der Fall ist – eine so hilfreiche und kompetente Institution wie das Open Science Office der Universitätsbibliothek Leipzig zur Seite stehen.

UB Leipzig: Erzählen Sie uns doch bitte etwas von Ihrer persönlichen Verbundenheit mit der OA-Zeitschrift Diffusion Fundamentals.

IR(Infrarot)-Mikroskopie-Verfahren zur Diffusionsmessung in nanoporösen Materialien. Foto: C. Chmelik

Als Doktorand und später als Postdoc in der Abteilung Grenzflächenphysik der Universität Leipzig unter Jörg Kärgers Leitung war ich von Anfang an in die Organisation und Durchführung der Diffusion-Fundamentals-Konferenzen eingebunden. So waren es für mich natürlich besondere Highlights, als Mitglied der Organisationskomitees der Diffusion-Fundamentals-Tagungen in Leipzig, L’Aquila und Athen mit weltberühmten Diffusions-Forscher*innen in Kontakt zu kommen, wovon ich wiederum auch in meiner wissenschaftlichen Arbeit profitierte. Dies betrifft zum Beispiel das von mir entwickelte und im engen Kontakt mit unseren Mitstreiter*innen im Institut für Technische Chemie unserer Universität erprobte Verfahren zum Einsatz der IR(Infrarot)-Mikroskopie zur Diffusionsmessung in nanoporösen Materialien. Seine Aufnahme in den „Technical Report“ zur „Diffusion in nanoporösen Materialien“ der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) war für mich eine ganz besondere Anerkennung.

An meiner Verbundenheit mit Diffusion Fundamentals hat sich mit der Übernahme der Leitung des Studienbüros der Fakultät für Physik und Erdsystemwissenschaften nichts geändert, wenn auch die Zeit, die ich hierfür einbringen kann, deutlich knapper wurde. Und es ist wohl auch wahr, dass in zwanzig Jahren Engagement für Diffusion Fundamentals bei mir einiges an Informationen zusammengekommen ist, was für dessen weitere Entwicklung nutzbringend eingesetzt werden kann. Wenn auch mit etwas Sorge, ob dies alles neben meinem „Hauptjob“ wirklich gut zu schaffen ist, bin ich daher der Bitte doch gern gefolgt, bei der Sicherstellung des Open Access von Diffusion Fundamentals als „Principal Contact“ zu fungieren an der Seite von „Support Contact“, den uns netterweise das Open Science Office der Universitätsbibliothek bietet. 

UB Leipzig: Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft der Diffusion Fundamentals?

C.C.: Eine große Leserschaft quer durch alle Fachrichtungen mit viel Erkenntnisgewinn dank Diffusion Fundamentals.

UB Leipzig: Wir sind begeistert von dieser Initiative und wünschen den Diffusion Fundamentals weiterhin viel Erfolg und noch breitere Resonanz in der Wissenschaftswelt. Herzlichen Dank für das Gespräch!


Die quelloffenen Software Open Journal Systems (OJS) ermöglicht die integrierte Verwaltung und Veröffentlichung von elektronischen Zeitschriften für alle redaktionellen Arbeitsschritte vom Einreichen über mehrstufige Begutachtungsverfahren bis zur Veröffentlichung der Beiträge.

Das Open Science Office der Universitätsbibliothek Leipzig begleitet die Herausgebenden auf dem Weg zur OA-Zeitschrift. Wir übernehmen das Hosting der E-Journal-Software OJS und unterstützen bei deren Einrichtung und Konfiguration, sichern die Langzeitarchivierung der Zeitschrift und bieten zahlreiche administrative und bibliothekarische Services sowie Beratungs- und Schulungsangebote, um die Sichtbarkeit der Publikationen durch Indexierung in fachlich relevanten Datenbanken und Verzeichnissen zu steigern.

Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gern! 

Adriana Slavcheva (UBL)

Dr. Adriana Slavcheva ist an der Universitätsbibliothek Leipzig Open-Access-Referentin im Open Science Office sowie Fachreferentin für Kommunikations- und Medienwissenschaften.

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