Wie wir es mittlerweile für große Abschiede handhaben keine sieben …

Sondern zehn Fragen an … Charlotte Bauer 

Das Blogteam sah sich dieser Tage vor ein schier unmögliches Unterfangen gestellt: Ein Abschiedsbeitrag für Frau Bauer, die scheidende Vize-Direktorin, sollte erstellt werden, in Form von sieben (+ drei) Fragen, einem der Formate, mit denen wir arbeiten. Uns war klar, dass sich Frau Bauer nur schwer in so ein Format bringen lässt, wir haben es trotzdem versucht. In einem persönlichen Interview beantwortete sie unsere Fragen auf ihre eigene, lebendige und unnachahmliche Weise. Was sie im Folgenden lesen, ist der Versuch, diese Stunde schriftlich nachzubilden.

Frage 1

Zu Beginn ein Blick zurück: Als Sie an der Universitätsbibliothek Leipzig angefangen haben, war Ihnen da schon klar, dass Sie hier über 30 Jahre bleiben und wirken werden? Hat es Sie nie weggezogen? Und jetzt, nach über 30 Jahren: Was werden Sie am meisten vermissen? Was werden Sie eventuell auch überhaupt nicht vermissen?

Charlotte Bauer vor dem Teil der zerstörten Albertina (vor deren Wiederaufbau)

Als ich hier an der UB Leipzig angefangen habe, wäre mir im Traume nicht eingefallen, dass ich so lange bleiben werde. Ich traf damals auf viele Kolleg*innen, die über 40 Jahre an der UB waren, und das fand ich schon … merkwürdig. Ich hätte es mir also nie träumen lassen, dass ich ebenfalls so lange hierbleibe. Dass es dann doch über 30 Jahre geworden sind, hat damit zu tun, dass es mich tatsächlich nie weggezogen hat, weil ich die Arbeit an der UB Leipzig immer so spannend fand und immer in irgendeinem Projekt steckte: Plötzlich war da dann schon wieder das nächste. Schlicht und ergreifend habe ich mich nie gelangweilt. Hätte ich mich gelangweilt, wäre ich weggegangen. Ich hatte durchaus Angebote, woandershin als Direktorin zu gehen. Aber erstens ist Leipzig eine großartige Stadt, von wo aus ich mir nie hätte vorstellen können wegzugehen. Zweitens hatte ich immer Bedingungen an der UB, unter denen ich mich sehr, sehr wohl gefühlt habe. 

Was werde ich vermissen? Das ist insbesondere der Kontakt mit den Kolleg*innen. Zu vielen hatte ich einen relativ engen und teilweise persönlichen Kontakt, was mir immer besonders viel Freude bereitet hat. Ich bin ja grundsätzlich der Meinung, Menschenfeinde sollten keine Führungspositionen übernehmen. Ich finde, Empathie gehört auf jeden Fall dazu, um ein Team zu leiten. 

Kolleg*innen der UB Leipzig auf der Treppe der Albertina im September 2024 (Foto: Swen Reichhold)

Was ich nicht vermissen werde? Das ist der 95. Kampf um einen Etat, Überlegungen, wo Personal einzusparen ist – das werde ich überhaupt nicht vermissen. Da bin ich heilfroh, dass ich das nicht mehr machen muss. 

Frage 2

Am 9. März 2022 wurde Ihnen von der damaligen Rektorin Prof. Beate Schücking offiziell die Ehrenbürgerschaft der Universität Leipzig verliehen. 2017 wurde die UB Leipzig Bibliothek des Jahres. Das waren bewegende Augenblicke in Ihrer Karriere. Waren es aber die eindrücklichsten? Oder gibt es andere Lieblingsmomente? Haben Sie eine andere Liste an Highlights?

Die Ehrenbürgerschaft der Universität Leipzig hat mich vollkommen verblüfft und sprachlos gemacht. Da war ich fassungslos. Es war natürlich eine große Ehre, nicht nur für mich, sondern auch für die Bibliothek – so habe ich das immer gesehen. 

Verleihung der Ehrenbürgerschaft 2022 an Charlotte Bauer (links) durch Prof. Dr. Beate Schücking (rechts) (Foto: Swen Reichhold)

Klasse war natürlich auch, als wir 2017 Deutschlands „Bibliothek des Jahres“ geworden sind. Allein schon wegen des grandiosen Festes (⇨ Fotostrecke im UB-Blog). Aber auch, weil dort tatsächlich unsere jahrelangen gemeinsamen Bemühungen eine Würdigung gefunden haben. Das war einfach sehr, sehr schön. 

  • Charlotte Bauer, Vize-Direktorin der UBL bei der Preisverleihung zur "Bibliothek des Jahres" 2017 (Foto: UBL)

Bewegende Momente waren für mich aber immer wieder, wenn Projekte ihren Abschluss gefunden haben, die uns teilweise jahrelang beschäftigt haben, wie die Einführung von Libero oder die diversen Bauten oder der digitale Wandel. Das hat mich immer sehr bewegt. Ich fand es schön, wenn Dinge und Pläne erfolgreich umgesetzt werden konnten, wie das Offene Magazin oder die Benutzungsveränderungen in der Albertina oder die Umbauten verschiedener Standorte oder die Einweihung der Bibliothek Medizin / Naturwissenschaften: Über 20 Jahre habe ich daran gearbeitet.

Aber man muss (schon) sagen: Für die Seele sind solche Ehrungen wie die Ehrenbürgerschaft natürlich sehr schön. Klar!

Frage 3

Aus dem Bildarchiv haben wir folgendes Bild von Ihnen hervorgezaubert. Es zeigt Sie bei einem Fest in der sogenannten „ZW 1“ (= Zweigstelle 1 / Zweigstelle am Augustusplatz). Können oder wollen Sie kurz etwas dazu sagen? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Foto und Ihrer Arbeit in der ZW 1? Viele unserer Leser*innen können sich vermutlich gar nicht mehr an diese Einrichtung erinnern, obwohl sie große Bedeutung für Sie und auch für die UB Leipzig hatte. Vielleicht können Sie uns ein Stück mitnehmen in die Vergangenheit? 

Charlotte Bauer (links) 2005 in der sogenannten ZW 1 mit einem entsprechenden Schild (rechts) (Foto: UBL)

Die ZW 1 war praktisch meine erste Station an der UB Leipzig. Dieses Bild ist, wenn ich mich recht entsinne, tatsächlich der Abschied von der ZW 1 im Jahr 2005. 

In der ZW 1 war immer was los. Das war dort für mich eine sehr schöne Zeit, zumal die Truppe dort auch großartig war. Ich freue mich zum Beispiel wahnsinnig, dass zu meiner Verabschiedung Frau Pastrnek kommt – schon über 80-jährig. Die Kolleg*innen in der ZW 1 waren einfach massive Benutzung trainiert und mit ihnen konnte man richtig toll arbeiten. 

Die Zweigstelle 1 war seit 1968 bis zu ihrem Ende die Benutzungseinrichtung der UB. Ganze Generationen von Studierenden haben sie als die eigentliche Bibliothek wahrgenommen. Viele Nutzer*innen haben sogar gedacht, ich wäre die Bibliotheksdirektorin. Sie studierten alle dort – also am Augustusplatz, wo sich auch die ZW 1 befand – und kein Mensch kannte die Albertina. Die Albertina fand in den Köpfen der Studierenden nicht statt. 

  • Die ZW1 im Wandel der Zeiten.

Wie gesagt, die Benutzungseinrichtung der UB war allerdings auch in einem – obwohl ein Neubau – beklagenswerten Zustand. Als ich dort 1992 zum ersten Mal reinkam, dachte ich: „Ach du lieber Gott!“ Alle Büros waren komplett fensterlos, es war wirklich ein Großbau des Kommunismus. Wenn man telefonierte, fragte man als erstes immer, wie ist denn eigentlich das Wetter draußen? Denn das bekamst Du nicht mit! Unfassbar!

Dann gab es dort überall inzwischen verrostete Kinderbadewannen, weil es an den verschiedensten Stellen reintropfte. Und in den Lesesälen standen teilweise Gerüste, weil die Decke runterfiel. Baulich befand sich die ZW 1 also wirklich in einem schlimmen Zustand. Gleichwohl haben alle ihr Bestes gegeben.

Mit dem Wiederaufbau der Albertina zu Beginn der 2000er Jahre galt es dann ja, zwei Fragen zu klären: Erstens, wie wird die Albertina gestaltet? Denn beschlossen war ja „nur“ der Wiederaufbau, aber wie die inhaltliche Ausgestaltung werden sollte, das war nicht von vornherein klar. Da bildeten sich manche tatsächlich ein, wir belassen es bei der Forschungsbibliothek, so unter dem Motto: „Ja nicht so viele Nutzer*innen!” Und diese waren alle höchst erstaunt, dass ich als Leiterin der ZW 1 den Vorschlag machte: „Na selbstverständlich werden die geisteswissenschaftlichen Bücher hier zusammengeführt und wir suchen für die ZW 1 einen neuen Inhalt.“ Das konnten sie gar nicht fassen damals.

  • Bibliotheca Albertina kurze Zeit nach Beendigung des Wiederaufbaus: Außenansicht (2005/2006, Foto: UBL)

Nachdem dann aber klar war, wie die Albertina inhaltlich ausgestaltet werden sollte, galt es sich zweitens zu überlegen, wie wird es dann mit der ZW 1? Man hörte von der Umgestaltung des Uni-Zentralgebäudes, wodurch die Wirtschaftswissenschaften hier hinkommen sollten; die Informatik und die Mathematik waren schon dort. Damit war relativ schnell klar, wir nutzen den Umbau der ZW 1 dazu, Standorte zusammenzuführen. Das war die erste Standortzusammenführung, die wir hatten. Außerdem haben wir beschlossen, die Lehrbuchsammlung ebenfalls mit in den neuen Standort reinzugeben, weil sie sich sowieso am Augustusplatz befand und in der Albertina war dazu kein Platz.

Mir war sehr wichtig, dass der Umbau der ZW 1 so gestaltet wird, dass in das neue Gebäude Licht hineinkommt. Das begriffen die Kolleg*innen, die dort schon 20 Jahre arbeiteten, am Anfang gar nicht, bis sie dann irgendwann in ihren Büros saßen mit Licht und meinten: „Jetzt verstehen wir Sie!“

Frage 4

Was vielleicht nicht alle, aber doch viele Kolleg*innen wissen: Sie sind leidenschaftliche Bäckerin, die auch keinen Halt vor „Hundekuchen“ aus eigens bereitetem, gedörrtem Rindfleisch macht. Ihr obligatorischer Backurlaub für die Weihnachtsplätzchen ist legendär und wird uns sicher in Erinnerung bleiben. Wenn Sie nun aber ein UBL-Plätzchen backen dürften / sollten / würden, wie sähe es aus und wie würde es schmecken?

Ich votiere für ein Kirschherz!

Was gibt es zum Kirschherz zu sagen? Das Kirschherz wird in ganz verschiedenen – mehreren – Arbeitsschritten hergestellt. Man muss sehr genau arbeiten und man braucht Geduld. Es sind feinste Zutaten nötig: Erst einmal eine stabile Basis aus einem vorzüglichen Lebkuchenteig, das wird zuerst gebacken. Anschließend muss man sauber arbeiten: Eine wunderbare Art Creme aus bestem Lübecker Marzipan mit ein paar geriebenen französischen Walnüssen und gutem Schwarzwälder Kirschwasser werden in der Form der Herzchen an den Rand gespritzt. In das entstehende Loch wird gute Kirschkonfitüre gegeben. Dann muss das Werk trocknen – einen Tag lang. Danach muss man die gute Belgische dunkle Kuvertüre temperieren: Dazu erwärmt man sie erst auf 48 Grad. Dann lässt man sie abkühlen auf 28, um sie dann wieder auf 31 Grad zu erwärmen. Das macht man, damit die Glasur glänzt. Danach werden die Herzen schön in die Glasur getaucht, woraufhin das ganze Werk wieder trocknen muss. Abschließend werden die Herzen zur Verzierung mit hellbrauner Glasur filiert. 

Also: Das Kirschherz sieht einfach gut aus! – Wie wir ja auch sehen. Es gibt ganz viele verschiedene Schritte, beste Zutaten sind notwendig und eben Geduld sowie Genauigkeit und natürlich ein hohes Organisationstalent. Ich finde, das beschreibt die Arbeit an der Bibliothek aber doch sehr gut!

Fan-Club des Bauer’schen gedörrten Rindfleischs, das selbstverständlich kein einfacher ‚Hundekuchen‘ ist (Layout und Foto: Annika Schröer)

Frage 5

In Ihrer Zeit an UB Leipzig haben Sie drei verschiedene Direktor*innen mit den unter­schiedlichsten Visionen, Schwerpunkten und Charakteren erlebt, haben mit Ihnen eng zusammengearbeitet. Welche Eigenschaften haben Sie an den einzelnen Persön­lichkeiten dabei besonders geschätzt?

Also das waren Ekkehard Henschke bis 2005, danach Ulrich Johannes Schneider bis 2022, und dann Anne Lipp. Völlig unterschiedliche Menschen, die aber alle für die UB Leipzig gebrannt haben und sie immer voranbringen wollten. 

  • Dr. Anne Lipp, Direktorin der UBL ab 2022 (Foto: Swen Reichhold)

Es waren ja wirklich völlig unterschiedliche Zeiten, zu denen die drei Direktor*innen agierten: Herr Henschke, der die ganze Aufbauarbeit geleistet hat unter schwierigsten Bedingungen, Herr Schneider, der darauf schon aufbauen konnte und dann aber die Forschungsbibliothek entwickelt hat und Frau Lipp, die jetzt sehr mit dem Ausbau forschungsunterstützender Dienstleistungen und mit der Konsolidierung des Ganzen beschäftigt ist. Alles sehr wichtige Sachen!

Ich kann gar nicht sagen, welche Eigenschaften ich jeweils besonders geschätzt habe. Was ich aber wirklich gut fand, war, dass ich gesehen habe, dass es ihnen immer um die UB ging. UND: Alle drei haben mich wirklich mehr als nur ertragen. Ich bin ja nun ein sehr lebhafter, direkter Mensch, es gab dabei aber trotzdem nie Schwierigkeiten. Alle drei hatten immer die Größe, mich machen zu lassen. Das weiß ich noch heute sehr, sehr zu schätzen und das halte ich nicht für selbstverständlich.

  • Charlotte Bauer und Dr. Anne Lipp (Foto: Swen Reichhold)

Frage 6

Im Jahr 2011 haben Sie zusammen mit dem damaligen Direktor der UB Leipzig, Prof. Ulrich Johannes Schneider, in der Reihe BIS (Bibliothek in Sachsen) einen Beitrag geschrieben mit dem Titel „Mein Traum von Bibliothek“. Dürfen wir vielleicht so platt fragen: Ist denn Ihr Traum in Erfüllung gegangen?

In diesem Artikel ging es ja vor allem um den Lernort Bibliothek. Hier würde ich sagen: Dieser Traum hat sich durch die intensive Arbeit aller Kolleg*innen wirklich erfüllt. Wir haben tolle Gebäude. Aber das nicht allein, wir haben aus diesen Gebäuden jeweils auch etwas gemacht. Wir haben neue Gebäude immer mit neuen Services verbunden und das ist das alles Entscheidende. Wir haben heute gänzlich andere Nutzungsbedingungen als noch vor 20 Jahren. Mittlerweile ist es völlig selbstverständlich, dass der Garderobenzwang aufgehoben ist, dass man trinken kann, dass Sessel und Sofas in den Lesebereichen stehen. Überhaupt gibt es diverse Arbeitsplatzmöglichkeiten, RFID-Automaten sind vorhanden sowie funktionsfähige Einheiten, in denen man lange Öffnungszeiten anbieten kann. Ich würde sagen: Hier ist ein sehr, sehr hohes Niveau erreicht, das es zu halten gilt. 

Noch nicht erreicht, noch nicht geschafft ist die Bibliothek der Künste, für die ich die qualifizierte Bauanmeldung noch in meiner Rente weiterschreiben werde. Genauso steht noch der Neubau „Forum Recht“ aus, der geplant ist und für den die Bauanmeldung geschrieben wurde.

Was Herr Schneider und ich aber insgesamt in dem angesprochenen Beitrag angerissen hatten, wie wir die Bibliothek als Lernort verstehen, ich glaube, da können wir mit Fug und Recht sagen, das ist gelungen, ist erreicht und muss immer wieder neu verteidigt werden.

Frage 7

Unzählige Projekte – seien es Bauvorhaben und Umgestaltungen der Bibliothek, Projekte im Bereich der IT-Infrastruktur, der OA-Transformation, Ausstellungen, Umstruktu­rierungen im Bereich der Literaturversorgungs- und Informationssysteme oder auch Forschungsprojekte – haben Sie in Ihrer Zeit begleitet. Welches Unternehmen fanden Sie dabei besonders spannend? Und welches hat Sie zunächst vielleicht am meisten irritiert?

Irritiert hat mich nichts! So schnell irritiert mich auch nichts. Jede Merkwürdigkeit hat immer auch ihr Gutes. Mein Motto ist ja bekanntlich: Aus jeder Sch*** was machen. Bis hin zu den Brandschutzmaßnahmen: Daraus haben wir Positives gemacht, indem wir neue und bessere Lampen hängen konnten und vor allem, dass die Aufstellung in den Freihandbereichen zum Beispiel jetzt besser sortiert ist. Nein, so im Rückblick, hat mich nichts irritiert.

Und was war besonders spannend? Am meisten gelernt habe ich bei der Einführung von Libero. Das war die erste Aktion, die wir als Projekt aufgezogen haben und der Beginn, wenn wir heute von Digitalisierung sprechen. Die Libero-Einführung war ein ganz entscheidender Meilenstein, die Arbeitsgruppe habe damals ich geleitet. Es war das erste Mal, dass wir dabei die tätigen Fachleute in die Projektgruppe hereingeholt und nicht per se die Fachreferent*innen wirken lassen haben, wie das früher so üblich war. 

Charlotte Bauer bei einer Einführung in Libero 2002 (Foto: UBL)

Ich habe bei dem ganzen Prozess extrem viel vom Funktionieren der Bibliothek gelernt. Wir waren damals, glaube ich, auch die einzige Bibliothek in Sachsen, welche die Einführung nicht von der IT, sondern von der Direktion hat steuern lassen. Es ist für mich nie ein IT-Projekt im eigentlichen Sinne, sondern tatsächlich ein IT- und Organisationsentwicklungsprojekt gewesen. Wir haben es genutzt, um alle Geschäftsgänge zu analysieren. Ich habe jetzt noch seitenweise Flussdiagramme von mir gefunden, die ich angefertigt habe, um zu sehen, wie alles funktioniert und voneinander abhängt. Die Libero-Einführungen haben wir ebenfalls dazu genutzt, den integrierten Geschäftsgang einzuführen. Das heißt also auch, dass wir seit über 20 Jahren digitale Workflows besitzen und anwenden. 

All das war extrem spannend und ich habe dabei auch IT-seitig sehr viel gelernt: dass man immer im Blick haben muss, wie man Parameter setzt, wenn man Veränderungen vornimmt, was sie für Auswirkungen haben und wie sich alles aufeinander bezieht. Das war extrem anstrengend, wirklich herausfordernd, aber ganz toll. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht und ich habe da wirklich etwas fürs Leben gelernt, weil ich mich in die Prozessabläufe intensiv eingearbeitet habe. Das hat mir Jahre später noch geholfen. Mir konnte dann keiner so schnell mehr etwas vormachen.

Dann waren da natürlich als weitere spannende Sache die Bauprojekte, wie zum Beispiel die Campus-Bibliothek als 24-Stunden-Bibliothek und die RFID-Einführung. Diese Projekte hatten für das gesamte Bibliothekssystem Folgen, da mit ihnen auch Geschäftsabläufe angepasst werden mussten. Es war der Beginn einer völlig neuen Benutzung. Diese Transformation – zusammen mit den Hunderten von Sitzungen – war extrem anstrengend und herausfordernd, aber auch total spannend. Zum Beispiel, als endlich die Open-Access-Policy im Senat der Universität Leipzig verabschiedet wurde oder die Durchsetzung einer E-only-Policy für Zeitschriften schon im Jahre 2009. Hier konnte ich beim Rektorat die Gunst der Stunde nutzen, als mal wieder die Mittel knapp waren, und gewinnbringend argumentieren: „Wenn wir die E-only-Policy einführen, könntet Ihr so viele Buchbindermittel einsparen!“.

Also: Es gab ganz, ganz viele spannende und unterschiedliche, sehr vielgestaltige Dinge, von denen ich nicht eines missen möchte. Ich möchte kein Projekt herausheben, aber am meisten gelernt habe ich wahrscheinlich bei Libero – also ich selbst.  

Frage 8

An grauen und verzagten Tagen kommt einem doch ab und an einmal die desperate Wendung über die Lippen: „Ach, hätte ich das vorher gewusst!“. Was hätten Sie – aus der Retrospektive – denn gern vorher schon gewusst, was Ihnen später geholfen hätte? Oder sind Sie bei manchen Dingen andererseits froh, diese nicht vorher gewusst zu haben?

Es gibt bei mir auch durchaus graue und verzagte Tage, ich bin natürlich auch bloß ein Mensch. Aber diesen Gedanken hatte ich nie, weil für mich das Glas grundsätzlich halb voll ist. Was hilft es einem, wenn man Dinge vorher gewusst hätte? Ich habe immer versucht, mich auf Situationen, auch auf schwierige Situationen, möglichst gut einzustellen. 

Frage 9

Wie geht es weiter? Welche Entwicklung(en) soll die Bibliothek nach Ihrer Amtszeit nehmen? Was wünschen Sie den Kolleg*innen für die Zukunft?

Wichtig: Es ist jetzt ein Unterschied, was ich Euch wünsche und welche Entwicklungen die Bibliothek meines Erachtens nach meiner Amtszeit nehmen sollte. 

Beim zweiten Aspekt werde ich nämlich den Teufel tun, etwas dazu zu sagen. Ich habe mich nicht umsonst im letzten Jahr aus dem Organisationsentwicklungsprozess herausgenommen, weil ich finde, dass jetzt andere dran sind; sie sollten jetzt gestalten können!

Charlotte Bauer 2024 (Foto: Swen Reichhold)

Was ich allerdings als generelle Empfehlung mitgeben möchte, ist, dass allen Mitarbeiter*innen immer bewusst sein muss, dass wir als Bibliothek eine Serviceeinrichtung sind. Diesen Servicegedanken gilt es täglich neu aufzulegen. Das darf man nie vergessen. Wir sind eine sehr teure Einrichtung, denn eine Bibliothek an sich hat keinen Wert. Vielmehr muss sie sich diesen jeden Tag neu erarbeiten, indem alle Angehörigen der Hochschule – und zwar alle – genau wissen, was sie von ihrer Bibliothek haben. Im Notfall gehen sie dafür auf die Straße, wie es ja schon passiert ist.

Den Kolleg*innen wünsche ich natürlich, dass sie weiterhin aufeinander achten, dass diese menschliche und angenehme Atmosphäre bei allen Streitigkeiten, die es ja natürlich wie in einer guten Familie überall gibt, bewahrt wird. Dass dieses Gefühl, das ich immer als so typisch und so besonders empfunden habe im Vergleich zu anderen Einrichtungen, dass das erhalten bleibt. Dazu bedarf es Offenheit. Auch wenn einem Dinge mal nicht so gefallen, sollte man sie rechtzeitig ansprechen, wenn man noch nicht so verbissen ist, dass es richtig schlimm ist oder wird. Ich wünsche mir, dass man immer auch die Sorgen und Probleme der Mitmenschen im Auge behält. Also kurz: dass dieses Familiengefühl erhalten bleibt!

Frage 10 

Nach gefühlt Tausenden von Bausitzungen: Ist Ihnen eine Bausitzung ganz besonders in Erinnerung geblieben? Wenn ja, welche und warum? Gab es Bauberatungen, die es sogar in Ihre Träume geschafft haben?

Tatsächlich. Eine Bausitzung werde ich nie vergessen. Das muss so 2007 gewesen sein. Damals gab es immer riesige Bausitzungen, zu denen auch der große Bauleiter aus Dresden kam, weil es ja um den gesamten Universitätskomplex ging. Ich rückte dort eines Tages damit heraus, dass 70 bis 80 der Leseplätze als Sessel und Sofas geplant waren, die bitte direkt in die Lesebereiche hineingestellt werden sollten. Da weiß ich noch, wie der Bauleiter einen Tobsuchtsanfall bekam: Ob ich denn nun völlig verrückt geworden sei? Das war wirklich herrlich!

Aber: Davon ließ ich mich ja nun überhaupt nicht beeindrucken und wir bekamen unsere Sofas.

  • Hier sind die besagten Sofas! (Campus-Bibliothek 2007, Foto: UBL)

Mittlerweile ist das der Standard, aber damals war es tatsächlich der Durchbruch. Mittlerweile fragen die Kolleg*innen vom Staatshochbauamt immer: „Frau Bauer, wo wollen Sie Ihre Sofas hinhaben?“ Aber das war damals noch so außergewöhnlich. 2009 ist ja nun auch noch nicht so lange her – Aber heute kann sich das niemand mehr vorstellen. Putzig, oder?

Wir bedanken uns, für dieses Gespräch und vor allem für die Leidenschaft, mit der sie die Universitätsbibliothek Leipzig zu einem modernen und beliebten Arbeitsort umgestaltet haben, sowohl für die Nutzer*innen als auch für die Mitarbeitenden. Wir wünschen Ihnen alles Gute!

Charlotte Bauer und Dr. Anne Lipp bei der Verabschiedung am 13.12.2024 (Foto: Swen Reichhold)

Credits:

  • Titelbild auf der Grundlage von einem Foto von Swen Reichhold (13.12.2024), rechts das Porträt von Hartwig Ebersbach
  • Die Fragen stellten Dr. Sophia Manns-Süßbrich und Katrin Sturm.

Charlotte Bauer

Charlotte Bauer ist die stellvertretende Direktorin der Universitätsbibliothek Leipzig.

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