Gäste aus dem Kloster

Die Priorin von St. Marienthal Schwester M. Juliana Lindner OCist mit der stellvertretenden Direktorin der UB Leipzig Charlotte Bauer sowie Mitarbeitern des Leipziger Handschriftenzentrums: Dr. Christoph Mackert, Dr. Matthias Eifler und Dr. Werner Hoffmann (v. l. n. r.)

Die Priorin von St. Marienthal Schwester M. Juliana Lindner OCist mit der stellvertretenden Direktorin der UB Leipzig Charlotte Bauer sowie Mitarbeitern des Leipziger Handschriftenzentrums: Dr. Christoph Mackert, Dr. Matthias Eifler und Dr. Werner Hoffmann (v. l. n. r.)

Wertvolle Handschriften aus der Abtei St. Marienthal in der UB Leipzig

Am 28. Januar 2016 erhielt das Leipziger Handschriftenzentrum Besuch aus der Zisterzienserinnenabtei St. Marienthal in der Oberlausitz.

Begleitet von der Priorin, Schwester M. Juliana Lindner OCist (Ordo Cisterciensis) wurden wertvolle Handschriften nach Leipzig gebracht. In stabilen Transportkisten gelangten die Marienthaler Schätze in die Universitätsbibliothek, wo sie für die Dauer der Bearbeitung sicher im klimatisierten Magazin aufbewahrt werden.

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Anlass war ein Anfang des Jahres gestartetes, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt, dessen Ziel es ist, Kleinsammlungen mittelalterlicher Handschriften aus Bibliotheken und Sammlungen in Ostdeutschland wissenschaftlich zu erschließen.
Bei diesem Projekt handelt es sich um Handschriften und Fragmente, die in der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung bislang weitgehend unbekannt oder nur mangelhaft erschlossen waren. Die Ergebnisse werden kontinuierlich über die Projektseite im zentralen deutschen Handschriftenportal präsentiert.
Sie sollen somit ohne Zeitverzug interessierten Fachkolleginnen und -kollegen aus den mediävistischen Disziplinen zur Verfügung stehen. Für die Projektbestände aus sächsischen Institutionen kann 2016 mit Hilfe des Landesdigitalisierungsprogramms Sachsen eine Digitalisierung erfolgen.

Handschriften aus dem Kloster St. Marienthal

Foto: Kloster St. Marienthal
Foto: Kloster St. Marienthal

Unter den Projektpartnern ist auch die Zisterzienserinnenabtei St. Marienthal bei Ostritz. Das Kloster, das idyllisch in einer Schleife der Neiße direkt an der polnischen Grenze liegt, wurde 1234 durch die Königin Kunigunde von Böhmen gegründet und ist neben St. Marienstern (bei Kamenz) eines der beiden Frauenklöster im heutigen Sachsen, die kontinuierlich seit der Gründung bis zum heutigen Tag bestehen blieben: Heute besteht der Konvent aus 15 Schwestern. Die Klosterbibliothek umfasst über 10.000 Bände, von denen ca. 4.000 Bände zum historischen Altbestand zu zählen sind. Darunter befinden sich auch die elf Handschriften und drei Fragmente, die jetzt im Handschriftenzentrum wissenschaftlich erschlossen werden.

Deckfarbeninitiale beim Introitus des Trinitatisfestes (St. Marienthal, Klosterbibliothek, F 1/3, 102r)

Es handelt sich hauptsächlich um liturgische Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert, welche die Gesänge für die Messfeier (Graduale) und das Stundengebet (Antiphonar) enthalten.

Die großformatigen Bände tragen noch die historischen Einbände mit Buchbeschlägen und Buckeln aus Metall. Manche sind außerdem mit prachtvoller Buchmalerei verziert. So finden sich in einem Graduale aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts am Beginn der Hochfeste, etwa beim Eingangsgesang (Introitus) zum Trinitatisfest, qualitätsvolle Deckfarbeninitialen auf Goldgrund.

Wiederentdeckt: das verloren geglaubte Altzeller Kapiteloffiziumsbuch

Inzwischen ist ein Teil der St. Marienthaler Handschriften bearbeitet. Bei Fragen stand die Klosterbibliothekarin Schwester M. Hildegard Zeletzki OCist dem Bearbeiter stets hilfreich zur Seite.

Spaltleisteninitiale am Beginn der Benediktregel (St. Marienthal, Klosterbibliothek, H 1/3, 113r)

Als besonderer Schatz erwies sich die älteste Handschrift (H 1/5): ein Kapiteloffiziumsbuch, das paläographisch auf das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts zu datieren ist. Sie enthält die Benediktregel und das Martyrologium, also ein Verzeichnis der zu feiernden Heiligenfeste. Ein Abschnitt aus beiden Texten wurde vom Konvent im täglichen Kapitel (der Konventsversammlung) gelesen, wodurch sich auch der Name ergibt. Der Band ist mit prachtvollen Spaltleisteninitialen ausgestattet, etwa am Beginn der Benediktregel mit einer A-Initiale, die den Heiligen Benedikt bei der Unterweisung eines Schülers zeigt.

Die im Martyrologium nachgetragenen Namen der Verstorbenen beweisen, dass der Band ursprünglich nicht für St. Marienthal, sondern für das Zisterzienserkloster Altzelle (bei Nossen) angelegt worden ist. Der Band ist somit identisch mit einem Kapiteloffiziumsbuch (Regula cum kalendario), von dem die Forschung zwar aus dem ältesten Altzeller Bücherverzeichnis wusste, das man aber bislang für verloren hielt. Der Codex wurde 1173/74 im Kloster Pforta bei Naumburg geschrieben und ausgestattet und dem von Pforta aus gegründeten Tochterkloster in Altzelle bei der Besiedlung im Jahr 1175 übergeben. In Altzelle wurde das Buch dann 365 Jahre lang benutzt: Dies beweisen die Namen der verstorbenen Äbte, die in Randeinträgen im Martyrologium nachgetragen wurden.

Von Altzelle nach St. Marienthal

Blick in die barocke Saalbibliothek des Klosters St. Marienthal (Foto: Kloster St. Marienthal)
Blick in die barocke Saalbibliothek des Klosters St. Marienthal (Foto: Kloster St. Marienthal)

Im Zusammenhang mit der Säkularisation Altzelles in der Reformationszeit am 21. Februar 1540 gelangte das kostbare Kapiteloffiziumsbuch in das Kloster St. Marienthal. Wohl auf Betreiben des letzten Abtes Andreas Schmiedewald († 1545) wurden wertvolle und für das Selbstverständnis des Konventes wichtige Codices in Sicherheit gebracht, nämlich in die beiden damals zum katholischen Böhmen gehörenden Lausitzer Frauenklöster St. Marienthal und St. Marienstern, denen der Altzeller Abt das gesamte Mittelalter hindurch als Vaterabt vorgestanden hatte. So ist es zu erklären, dass das Kapiteloffiziumsbuch nicht unter den umfangreichen Buchbeständen war, die der Leipziger Professor Caspar Borner in den 1540er Jahren in die Leipziger Universitätsbibliothek überführen ließ. Stattdessen wurde das Buch seitdem weiterhin von den Nonnen in St. Marienthal für die Lesung im Kapitel verwendet.

Der Fund des Altzeller Kapiteloffiziumsbuchs ist sowohl für die historische als auch für die kunstgeschichtliche Forschung von großer Bedeutung.

Eintrag zur Kanonisation des Bischofs Benno von Meißen 1523 (St. Marienthal, Klosterbibliothek, H 1/3, 51r, Ausschnitt)
Eintrag zur Kanonisation des Bischofs Benno von Meißen 1523 (St. Marienthal, Klosterbibliothek, H 1/3, 51r, Ausschnitt)

Künftig kann die sicher auf 1173/74 zu datierende Handschrift für Untersuchungen zu den klösterlichen Skriptorien und zur Buchmalerei im mitteldeutschen Raum herangezogen werden. Auch für die Forschung zur Geschichte der Abtei Altzelle ist der Band von größter Bedeutung: Neben den exakten Sterbedaten der Äbte, die bislang teilweise nicht bekannt waren, enthält er auch Einträge zur Einführung von Heiligenfesten im Kloster, bis hin zu Bischof Benno von Meißen, dessen Kanonisation erst 1523 erfolgte.

Der Fund hat gezeigt, dass die Erschließung unbekannter Handschriften immer wieder zu aufschlussreichen Neufunden führt.

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