Bücher haben ihre Geschichte. Erst recht, wenn es sich um Drucke des 15. Jahrhunderts handelt. In der Universitätsbibliothek werden rund 3700 Drucke aus dieser Zeit aufbewahrt. Erschlossen sind sie seit 2014 in einem vierbändigen Katalog. Für die Erarbeitung des Kataloges wurde jedes Buch in die Hand genommen. Von einer Vielzahl der Drucke ist jetzt die individuelle Geschichte bekannt. Welche Persönlichkeiten, welche Bibliotheken haben die Bücher vor der UBL besessen? Wie sind die früheren Besitzer mit den Büchern umgegangen? Haben sie ihre Bücher mit Buchmalerei verschönert oder nur lieblos in einen Behelfseinband gesteckt? Haben die Vorbesitzer Nachrichten über sich oder Gedanken zum Gelesenen eingetragen oder wurden die Bücher unbeachtet ins Regal gelegt? Einige dieser Bücher und ihrer Geschichten werden wir in loser Folge hier vorstellen und beginnen mit der Reise des Isocrates:
1. Ein Isocrates geht von Hand zu Hand
Engelhard Funck wollte nach Hause. In Schwabach bei Nürnberg um 1450 geboren, hatte er in Erfurt und an italienischen Hochschulen Jura studiert. Zwanzig Jahre hatte er darauf in Rom zugebracht und an der römischen Kurie als Anwalt besonders die Belange seiner deutschen Landsleute vertreten. Natürlich war er mittlerweile am päpstlichen Hof „gut vernetzt“ und wusste, wie er sich eine Pfründe in der Heimat verschaffen konnte. So wurde er zum Dechanten am Würzburger Neumünster ernannt.
Zu den Dingen, die er aus Rom mitnahm, gehörten auch Bücher, moderne Editionen antiker besonders griechischer Autoren. Die noch relativ neue Kunst des Buchdrucks ermöglichte solche antiken Texte, die oftmals nur in wenigen kostbar gehüteten Handschriften die Zeitläufte überstanden hatten, in sauber redigierten Fassungen einer größeren Leserschar zugänglich zu machen. Solche Druckausgaben waren für den humanistischen Gelehrten eine Kostbarkeit. Viele Italienbesucher nahmen sich solche Werke mit nach Hause. So auch Engelhard Funck. Darunter befand sich eine griechische Ausgabe der Reden des Isocrates, gedruckt in Mailand im Jahr 1493.
In Würzburg wurde Funck ein wichtiger Vertreter des deutschen Humanismus, viele Gelehrte standen mit ihm im Briefwechsel, viele besuchten ihn. Einer davon war Johannes Apel, der aus Nürnberg stammte und später auch Kanoniker in Würzburg wurde. Ihm vermachte Funck die wertvolle Isocratesausgabe.
Apel gehörte zu den ersten Priestern, die sich in der beginnenden Reformation verehelichten, noch dazu mit einer Nonne, die er aus dem Würzburger St.Marx Kloster entführte. Der Bischof von Würzburg ließ ihn daher inhaftieren. Nach langen Verhandlungen (auch Luther schreibt eine Flugschrift in dieser Angelegenheit) wird er entlassen. Der Isocrates-Druck stand ihm aber als Gefängnislektüre nicht mehr zur Verfügung, weil er diesen schon zuvor an seinen Kölner Studiengefährten Petrus Mosellanus verschenkt hatte.
Dieser brachte das Buch nach Leipzig, als er hier ab 1517 als Professor für Griechisch wirkte. Mosellanus behandelte die Texte des Isocrates in seinen Vorlesungen. Er übersetzte Isocrates‘ Rede über die Vermeidung des Krieges ins Latein und lässt diese Übersetzung bei dem berühmten Drucker Froben in Basel erscheinen. Leider starb Mosellanus im Jahre 1524, er ist nur 31 Jahre alt geworden.
Damit endet aber die Geschichte des Isocrates immer noch nicht. Caspar Borner, der als Lehrer an der Thomasschule wirkte, erwarb den Druck und ähnliche kostbare Textausgaben aus Mosellanus‘ Nachlass. Später wird Borner Rektor der Universität und gilt als Gründer der Universitätsbibliothek. Borner überzeugte nämlich Herzog Moritz von Sachsen, die Büchersammlungen der aufgehobenen sächsischen Klöster der Universität Leipzig zu überlassen. Diese Schenkung ist der Beginn der UB Leipzig. Borner besorgte die erste Aufstellung und Verzeichnung der Bücher. Als er 1547 starb, vermachte er seiner Universitätsbibliothek auch seine private Büchersammlung und mir die kostbare Isocratesausgabe.
Diese Sitte ihres Gründers hat die Universitätsbibliothek nicht übernommen…
Transliteration der Besitzeinträge, die sich auf dem vorderen Vorsatzblatt befinden
- Besitzeintrag von Petrus Mosellanus:
Fuit liber olim Egglardi Funck, decani Herbipolensis apud divum Iohannem. Hic testamento legavit Iohanni Apello, eiusdem ecclesie canonico. Is in Mysis cum nobis esset auditor, muneri reliquit hunc codicem
(Dieses Buch gehörte Engelhard Funck, Dechant in Würzburg beim Heiligen Johannes [ = das Neumünsterstift]. Er vermachte es testamentarisch dem Johannes Apel, Kanoniker an derselben Kirche. Jener, der mit uns die Musen studierte, überließ diesen Band als Geschenk) - Besitzeintrag des Caspar Borner:
Ego, C.B., ex bibliotheca Mosellani post eius mortem a testamentario hunc coemi plurosque alios (Ich, Caspar Borner, kaufte dieses mit vielen anderen [Büchern] aus der Bibliothek des Mosellanus.)
„Als er 1547 starb, vermachte er seiner Universitätsbibliothek auch seine private Büchersammlung und mir (!) die kostbare Isocratesausgabe.“ Wiedergeburt? 😉
Um allen Spekulationen um verdrängte Besitzwünsche meinerseits und drohenden Erbstreitigkeiten gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: das „mir“ an dieser Stelle ist natürlich eine spätmittelalterliche Ligatur für „mit ihr“.
Vielen Dank für den Hinweis!