­­Über infrastrukturelle Arbeit, den Wert von Rundfunkdaten und die Bibliothek als Publikationsdienstleisterin

Halbzeit-Reflexion aus dem aktuellen Volontariat

“[A]t first it feels alien to think about a resource
in terms of the features that matter
to the organization and retrieval of it,
rather than in terms of mastering its content.”

Marcia Bates, 1999, Informationswissenschaftlerin

Es ist eine kleine Tradition, dass die Volontär*innen der UB Leipzig zur Halbzeit ihrer zweijährigen Ausbildung hier im Blog berichten, wie sie ihren Einstieg in die Bibliothekswelt erlebt haben.

Bibliotheksvolontär*innen sind (meist) Fachwissenschaftler*innen, die in einem zweijährigen Mix aus praktischer Ausbildung („Durchlauf“), eigenständiger Projektarbeit und begleitendem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaft auf die Arbeit an wissenschaftlichen Bibliotheken vorbereitet werden. Die UB Leipzig besetzt ihr Volontariat alle zwei Jahre, jeweils mit einem Schwerpunktbereich. Bei mir ist das der Bereich „Open Science“, zu dem Tätigkeitsfelder wie Open-Access-Publizieren, Forschungsdatenmanagement oder Bibliometrie gehören.

Vor meinem Volontariat war ich in der Kommunikations- und Medienwissenschaft tätig. Die dort gemachten Forschungs- und Publikationserfahrungen helfen ein wenig beim Hineinfinden, zumindest in den Schwerpunkt, aber natürlich verlangt der „Seitenwechsel“ viele neue Fähigkeiten. Um diese – zumindest ansatzweise – zu erwerben, ist ein Volontariat ein Privileg. Im „Durchlauf“ erhalte ich die Gelegenheit, alle Arbeitsbereiche und Standorte der UBL kennenzulernen, viele Gespräche zu führen (ein riesengroßes Dankeschön allen Kolleg*innen, die mir ihre Zeit schenken!), Sitzungen und Meetings zu diversen Themen beizuwohnen und eigene Projekte voranzutreiben.

Über Beobachten, Zuhören, Mitdiskutieren und Mitmachen verwandele ich mich quasi selbstläufig in einen „Bibliotheksmenschen“. Erstmals richtig gefühlt habe ich den Seitenwechsel beim Mitlaufen mit Sabine Volkmer und Elias Haslinger im Bereich „Bibliotheken und Service“. Mit ihnen öffnete sich mir erstmals die Tür eines geschlossenen Magazins. An mehreren Tagen durfte ich beim Einholen bestellter Bücher und anderer Medien helfen (dem sogenannten „Ausheben“). Viele andere Kolleg*innen haben mir dann z. B. das „Libero“ erklärt, die Bibliothekssoftware, die wir (noch) nutzen, und die diversen Geschäftsgänge für Bücher, Zeitschriften und E-Medien.   

Ich könnte viel berichten. Wäre dies ein Buch, verdiente jede Arbeitsgruppe ein Kapitel. An dieser Stelle sollen drei Schlaglichter genügen. Sie stehen stellvertretend für:

  1. meinen Respekt gegenüber der „unsichtbaren“ Arbeit, die tagtäglich an Bibliotheken geleistet wird,
  2. meine Freude darüber, dass wissenschaftliche Bibliotheken text- wie nichttextliche Medien zunehmend gleichwertig bearbeiten und für
  3. meine neu entstandene Passion für sogenanntes „Diamond Open Access“.

Infrastrukturelle Arbeit

Foto: Brecht Corbeel, Unsplash

Es liegt im Wesen von Infrastrukturen, dass sie im Alltag unauffällig bleiben (sollen). Die beste Infrastruktur ist schließlich die, die zuverlässig im Hintergrund läuft, die die Basis für andere, auf ihr aufsetzende Tätigkeiten bildet, selbst aber nicht in den Wahrnehmungsfokus der Endnutzer*innen rückt.

Von der Datenquelle zum Datum im Katalog. Die AG „Index“ kümmert sich um das Einpflegen, Aufbereiten und kontinuierliche Aktualisieren der Kataloginhalte.
Quelle: UBL, AG Index, Anschauungs- und Lernmaterial

Von außen fühlt sich das stabil an: Die Bibliothek hat einen digital verfügbaren Bestand. Hat sie den wirklich? Bei näherem Hinsehen zerfällt die Imagination eines „Zustands“ in viele einzelne Vertragsmodalitäten, Einspielungen, Überschreibungen, „Matchings“ von Metadaten. Wenn sich Bibliotheken nach außen präsentieren, liegt es nahe, die repräsentative historische oder moderne Architektur ihrer Gebäude oder einzigartige Werke ihrer Bestände zu zeigen. Ebenso habe ich in den vergangenen Monaten Gefallen an grafischen Modellierungen von IT-Abläufen gefunden. Sie verleihen dem vermeintlich Unsichtbaren einen ästhetischen Ausdruck, manifestieren das Flüchtige, erzeugen eine interessante Spannung aus Identifizierbarkeit und Rätselhaftigkeit. Diese Spannung motiviert nachzufragen, mehr wissen zu wollen. Als Beispiel oben rechts ein Schaubild, anhand dessen mir die „AG Index“ ihre Arbeit nähergebracht hat.

Viel mehr als Schriftgut

Universitätsbibliothek Leipzig, Standort Erziehungs- und Sportwissenschaft; Foto: Thomas Kademann

Im Begleitstudium wird uns eine ganzheitliche Perspektive auf Bibliotheks- und Informationswissenschaft vermittelt. Das schließt ein, sich vom alten Bild der Bibliothek als Ort bzw. Intermediär primär für Schrift- und Textgut zu lösen. Das ist mit Blick auf die Bestände der UBL und die Tätigkeiten ihrer Mitarbeiter*innen ein Leichtes: Das Kompetenzzentrum Sonderbestände pflegt, erweitert und erschließt Münz- und Fotosammlungen sowie Nachlässe mit vielfältigen Objekten, hat große Expertise in der Bilddigitalisierung und Visualisierung digitaler Sammlungen. Öffentlichkeitsarbeit und Ausstellungswesen kommunizieren ohnehin multimodal. Die AG E-Medien und der im Haus ansässige FID Media lizensieren Filmportale sowie Datenbanken mit filmischen Elementen. Die UBL hat die (DVD-)Kollektion der Arthouse-Videothek „Westend“ übernommen, aus deren Beständen regelmäßig Filmabende und -diskussionen gestaltet werden. Kolleg*innen im Bereich Open Science beraten zu Forschungsdatenmanagement und Datenpublikationen…

Für mich als Kommunikations- und Medienwissenschaftler ist es spannend, die sukzessive Erweiterung des Selbstverständnisses wissenschaftlicher Bibliotheken mitzuerleben – allzumal an der UBL, die mit dem FID Media und dem ehemaligen Sondersammelgebiet 3.5 „Kommunikations- und Medienwissenschaft“ ein ausgewiesenes Medienprofil hat.

Ein Beispiel für aktuelle Anstrengungen in diesem Bereich ist das von der UBL gemeinsam mit dem ZDF als Pilot aufgebaute Rundfunksucheportal „rufus“. Seine Bedeutung erschließt sich nicht zuletzt im Vergleich mit dem Nachweis textlicher Materialien: Historisches Schriftgut wird in Deutschland in einem ausgeklügelten System von Zuständigkeiten gesammelt, in diversen Verzeichnissen nachgewiesen, und ist heute – dank großer Anstrengungen vieler Stakeholder – oft in Form von Digitalisaten einsehbar. Die Pflichtabgabe für Druckerzeugnisse an die Deutsche National- und die Landesbibliotheken bildet eine verlässliche Basis für das Archivieren und Nachweisen des modernen Schriftguts.

Welche Themen berichtete die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ eigentlich am 18. Oktober 1993? Das Portal Rundfunksuche hat die Antwort.
Foto: REGINE THOLEN, Unsplash

Vergleichbare politische Rahmenbedingungen und institutionenübergreifende Infrastrukturen stecken im Bereich des Rundfunkkulturerbes noch in den Kinderschuhen. Das Rundfunksucheportal will den Öffnungsprozess unterstützen, indem es erstmals in Deutschland digitale, von außerhalb der Archive mögliche Recherchen auf Basis von Metadaten erlaubt. Für Forschung und Wissenschaft ist das ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine Zukunft, in der Rundfunkdaten einmal genauso einfach und komfortabel recherchierbar sein sollen wie Alte Drucke, Handschriften, Presseerzeugnisse oder Literatur im Allgemeinen.  

Diamonds are forever  

Im Schwerpunkt ist mein Volontariat im Bereich Open Science angesiedelt, und hier vor allem im Programm Open-Access-Publizieren. Vielleicht hat bei mir diesbezüglich das größte Umdenken eingesetzt. Als Wissenschaftler habe ich die Open-Access-Transformation eher passiv mitgelebt als sie aktiv mitgestaltet. Viele meiner Publikationen sind Open Access, aber weniger, weil das beim Veröffentlichen mein Hauptaugenmerk war, sondern z. B. Fachzeitschriften über die Teilnahme an Transformationsverträgen auf Open Access umstellten, oder weil – u. a. dank der Arbeit vieler Kolleg*innen in den Open Science Offices und Publikationsdiensten der Hochschulbibliotheken – Open-Access-Zweitveröffentlichungen nach Ablauf urheberrechtlicher Fristen Standard geworden sind.    

Foto: Zhiqiang Wang, Unsplash

In den vergangenen zehn Jahren wurde im Bereich Open Access enorm viel erreicht. Obgleich intensive Debatten über die richtigen Wege und Anreize geführt werden, bleibt der Grundgedanke richtig: Ergebnisse der von öffentlichen Geldern finanzierten Wissenschaft sollten allen Interessierten ohne Zeitverzögerung digital zugänglich gemacht werden. Zugleich ist Open Access selbst zu einem wichtigen Geschäftsmodell geworden. Nicht missverstehen: Closed Access ist immer die schlechtere Alternative. Was einmal „frei“ ist, kann nicht wieder hinter einer Paywall verschwinden. Insbesondere die Großverlage haben sich selbstverständlich aber auf die neuen Bedingungen eingestellt und verdienen auch an Open Access (sehr) gut – ohne dass immer transparent würde, für was genau welche Kosten anfallen; und ohne, im Zeitschriftenbereich, das Versprechen auf grundlegende Transformation einzulösen, die den Verträgen ihren Namen gibt.

Vor diesem Hintergrund hat sich in den vergangenen Jahren der Ruf nach sogenanntem „Diamond Open Access“ (DOA) verstärkt. In der Minimaldefinition umfasst DOA Publikationsangebote, die für Lesende wie Autor*innen kostenfrei sind. Konkret heißt das, dass z. B. keine „Article / Book Processing Charges (APCs / BPCs)“ anfallen. Stattdessen werden alternative Finanzierungsquellen gesucht. Fachgesellschaften oder FIDs finanzieren etwa wichtige Fachjournals zunehmend aus eigenen Mitteln. Oder die finanzielle Last wird auf viele Schultern verteilt.

Darüber hinaus bestimmt sich DOA als wissenschaftsgeleitetes bzw. -geführtes Publikationssystem („scholar-led“). Dahinter steht die Idee, wissenschaftliches Publizieren konsequent nicht-kommerziell zu organisieren und der Wissenschaft selbst Hoheit über alle Entscheidungen zu geben. In diesem Kontext agieren bundesweit und international immer mehr Hochschulbibliotheken und Rechenzentren als aktive Anbieterinnen dazu nötiger Infrastruktur. Das beginnt bei den Repositorien und Publikationsservern, die an fast allen Universitäten mittlerweile Standard sind und Self Publishing ermöglichen; geht eine Stufe höher weiter bei „Institutional Publishing Service Providers“ (IPSP), die ausgewählte verlagsähnliche Leistungen erbringen oder vermitteln; und kann potenziell in die Gründung von Open-Access-Hochschulverlagen münden. In einem Praktikum an der Bibliothek der TU Berlin und dem dort ansässigen Verlag „Berlin Universities Publishing“ habe ich im Rahmen meines Volontariats Einblicke in Workflows, Qualitätssicherungs- und Governancestrukturen gewinnen können.

Hier diskutieren wir gemeinsam mit dem Team des Projekts „OA-STRUKTKOMM“ der HTWK Leipzig, was für potenzielle Publikationsworkflows zu berücksichtigen ist.
Quelle: Eigenes Foto

In einer Projektgruppe im Bereich Open Science der UBL überlegen wir derzeit, was aus der großen Spanne möglicher Dienstleistungen für Forschende und Wissenschaftler*innen der Universität Leipzig mittel- und langfristig zusätzlich sinnvoll wäre. Dabei tauschen wir uns mit anderen Akteur*innen in Leipzig und Sachsen aus. In meiner Masterarbeit möchte ich im kommenden Frühjahr Bedarfe erheben.


Langeweile – das wird hoffentlich deutlich – kommt im Volontariat nicht auf. „Eigentlich würde uns so ein Volontariat allen guttun“, meinte eine langjährige Mitarbeiterin mal, als ich wieder von irgendwoher kam. Recht hat sie. Ich kann diese Erfahrung nur weiterempfehlen. Die nächste Möglichkeit dazu startet am 1. Oktober 2026, die Ausschreibung folgt „asap“.

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