Über eine schaurige Erzählstunde in der Albertina, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ
Beitrag von Leonie Dosch und Claas Vey
Wo sich von 1725 bis 1734 Gelehrte der Theologie, Naturkunde und Medizin trafen und über Vampire diskutierten, versammelten sich 299 Jahre später Interessierte im Rahmen des Wave-Gotik-Treffens an der Universität Leipzig. Unter dem Titel „Vampyrologie des Lesens“ lauschten dicht gedrängt mehr als 150 Menschen im Café Alibi der Bibliotheca Albertina den Ausführungen Prof. Dr. Eric Steinhauers zu Vampiren in der Kunst, Literatur und Wissenschaft.
Was vor 299 Jahren die Gelehrten vielleicht in Angst versetzt hätte, schuf an jenem Freitag eine passende Atmosphäre zu diesem spannenden Thema: Vampire. Bewegte Fächer, die Luft zuwirbelten, klangen wie Feldermausflügel – und die kleinen Geister am Laptop und dem Rednertisch, die zu Halloween noch in der Bibliothek herumflogen, fingen die Veranstaltung passend ein.
Eric Steinhauer ist Bibliothekar, Honorarprofessor und Jurist mit dem Fachgebiet Bibliotheks- und Urheberrecht. Er setzt sich für Open Access und digitales Publizieren ein und hielt vor seiner Vampirstunde im Vortragssaal noch einen Vortrag zu KI und Wissenschaft. Sein Interesse für das Übernatürliche zeigte sich schon bei einer Vorlesungsreihe an der Humboldt-Universität zu Berlin, bei der er jährlich zu Halloween die Kulturwissenschaft des Morbiden thematisierte. Für seinen Besuch in Leipzig anlässlich des Wave-Gotik-Treffens fiel die Wahl auf ein lokales Thema – mit nicht weniger Übernatürlichem. So lud er zur vampirischen Teestunde ein und knüpfte an das europaweit beachtete Leipziger Kompetenzzentrum für Vampirforschung von 1730 an.
Begonnen bei der Angst vor Vampiren – die Wesen galten lange Zeit als real existierend – zog sich in Steinhauers roter Erzählspur der Lebensraum der Blutsauger allmählich in die fiktive Welt der Bücher und Geschichten zurück. Der Vortragende verfolgte die Spur über Dracula, Only Lovers Left Alive, bis hin zu Body Farms. Dabei offenbarte er dem Publikum die verschiedenen Wesensarten, die die Fledermaus in den verschiedenen Gattungen (darunter die Literatur) und Zeiten darstellte: Vom erotisch aufgeladenen Vampir über ein blutsaugendes Monster, bis hin zum aktuellen Verständnis eines Vampires in Form von Edward Cullen, der in der Sonne glitzert. Darüber hinaus verdeutlichte Steinhauer die kulturelle Symbolik des Vampirs im Zusammenhang mit Bibliotheken und Lesen. Die Verbindung wies er bis in die heutige Pop-Kultur nach, in der bei den Simpsons Fledermäuse und Vampire scheinbar grundlos die oberen Regalbretter einer dubiosen Bibliothek verzieren.
Dieser interessante, kulturgeschichtliche Ausflug über das im Sarg schlafende Monster hat sicher eines gezeigt: Auch wenn keine Fledermaus am Abendhimmel ein unheimlicher Gestaltenwandler sein mag, so lässt sich dieses Schreckgespenst auch heutzutage nicht endgültig wegsperren. Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht so erstrebenswert, denn ein bisschen Grusel hat wohl noch niemandem geschadet!?