Das Koptische Markusevangelium P.Lips. inv. 3000
Kabinettausstellung vom 23.6. bis 28.8.2022
kuratiert von Dr. Almuth Märker, realisiert von Jörg Graf
– The Making of –
Die Präsentation des Markusevangeliums sollte das Sixth Papyrus Curatorial and Conservation Meeting begleiten. Dieses Meeting führt regelmäßig Restaurator*innen und Kustod*innen aus den Papyrussammlungen Europas zusammen. Es war coronabedingt zweimal verschoben worden und konnte nun endlich am 23. und 24. Juni 2022 stattfinden. Veranstaltungsort war diesmal Leipzig. Die Kabinettausstellung zum Markusevangelium „Ein 1.300 Jahre alter Papyruskodex tritt ans Licht“ sollte das in Fragen der Papyrusrestaurierung kompetente Publikum des internationalen Treffens gleichermaßen fesseln, wie sie den Sichtweisen eines breiteren Publikums gerecht werden musste.
Die Aufgabe, die Ausstellung zu kuratieren, kam mir als Kustodin der Papyrus- und Ostrakasammlung zu. Im Folgenden beschreibe ich den mentalen Prozess der Ausstellungskonzeption, sozusagen das „Making of“ der Papyrusschau. Mit den Kolleg*innen der Öffentlichkeitsarbeit und der Restaurierungswerkstatt wurde das Ausstellungskonzept schließlich umgesetzt.
Das Markusevangelium stellt in der Papyrussammlung der Universitätsbibliothek Leipzig eine Besonderheit dar. Es war ursprünglich ein Kodex, d. h. ein Buch, in dem geblättert werden konnte, also keine Rolle, dem typischen Schriftträger des Alten Ägyptens. Dieser Papyruskodex aus dem 8. Jahrhundert hatte ca. 1.000 Jahre im Wüstensand Ägyptens in vielen kleinen und größeren Fragmenten überdauert. Der Leiter unserer Restaurierung, Jörg Graf, setzte diese Fragmente in der Werkstatt zu einem Kodex zusammen, indem er die einzelnen Teile zwischen Plexiglasscheiben geschützt verglaste. So lassen sich die Tafeln wie die Seiten eines Buches umblättern, wobei vier Doppel“seiten“ jeweils eine der sechs Lagen bilden. Die Voraussetzung für diese innovative Art der Verglasung war im Verlaufe eines ganzen Jahrzehnts durch die Forschungsarbeit der Pariser Koptologin Anne Boud’hors, einer Spezialistin der koptischen Papyrologie, geschaffen worden. Sie wies jedem noch so unscheinbaren Fragment die richtige Position innerhalb des Evangeliums zu.
Klar war, dass alle sechs Lagen dieses besonderen Kodex in der Ausstellung gezeigt werden sollten.
Die Maße der Vitrine legten den äußeren Rahmen fest. Ebenso war die Dimension der sechs Papyruslagen eine gegebene und unveränderliche Größe. Bei diesem Schritt der Ausstellungsplanung kam ganz praktisch der Zollstock zum Einsatz. Am Ende stellte sich heraus, dass das Markusevangelium zwar vollständig präsentiert werden konnte, dass in der Vitrine daneben aber nur ein Spielraum von wenigen Zentimetern blieb. Diese Situation vor Ort zwang dazu, von verschiedenen anderen Ideen für die Ausstellungsgestaltung Abstand zu nehmen.
Nicht gezeigt werden konnten:
Die Entscheidung, sich für die Kabinettausstellung von anderen Ideen, wie Kanister, Inventarbuch und Werkzeug zu verabschieden, war gut und wichtig. Nichts ist gefährlicher für die Wirkung von Ausstellungsobjekten, als wenn sie den Anschein erwecken, in die Vitrine gequetscht worden zu sein. Beim Betrachten durfte keinesfalls der Eindruck entstehen, hinter dem Glas drängelten sich verschiedene Gegenstände. Es blieb für die Konzeption also nur das Markusevangelium. Der Papyrus sollte einzig und allein für sich sprechen.
Zwei Methoden verhalfen dem Markusevangelium in der schmalen Vitrine zu seiner Wirkung: (1) Jede der sechs Lagen präsentiert sich auf andere Art und Weise, sodass die konservatorische Finesse, mit der das Evangelium verglast wurde, anschaulich und begreifbar wird. (2) Außerdem wurde auf historisch-wissenschaftliche Texte verzichtet. Stattdessen wird in sechs Stationen, die mit ihrer Anzahl den sechs Lagen des Kodex entsprechen, über 1.300 Jahre hinweg die Geschichte des Leipziger koptischen Markusevangeliums erzählt.
Die erste Lage präsentiert sich mit leicht angehobenen Seiten und macht den schmerzhaften Verlust des gesamten Buchanfangs bewusst.
Die zweite Lage liegt geöffnet und leicht angekippt, sie gibt durch ihre Auffächerung eine erste Vorstellung davon, wie die verglasten Doppelblätter des Papyruskodex zu einer Lage zusammengefügt wurden.
Die dritte Lage steht geschlossen und aufrecht in der Vitrine. Sie gewährt der Person, die von oben schaut, Einblick in die Scharniere der Doppelblätter und dadurch in die Machart der Konservierung.
Die vierte bildet gemeinsam mit der fünften Lage den Höhepunkt der Vitrine, wobei die fünfte durch eine leicht höhere Position in ihrer Wirkung noch einmal verstärkt wird. Es sind die beiden Lagen mit dem umfangreichsten Texterhalt. Sie blättern sich nach vorne auf und stehen in der Vitrine im Goldenen Schnitt. Sie machen den eigentlichen Wow-Effekt der Ausstellung aus.
Die sechste Lage zeigt sich wieder geschlossen und aufrecht. Durch eine leichte Schrägstellung leitet sie das betrachtende Auge aus der Vitrine hinaus, so wie die erste Lage es durch ihre Schrägstellung hineingeleitet hatte.
Die Texte der sechs begleitenden Texttafeln stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang zu den Lagen. Vielmehr durchlaufen sie in sechs Schritten die 1.300-jährige Geschichte des koptischen Markusevangeliums. Jeweils in der letzten Zeile ist eine Zeitangabe zu lesen, sodass die sechs Texttafeln nacheinander von links nach rechts betrachtet einen Zeitstrahl ergeben. Die Zeitangaben sind in den sechs Farben des Regenbogens gehalten: Die kurzen Texte bringen in chronologischer Reihenfolge Licht in die Geschichte des Markusevangeliums.
Gesteigert wird der Effekt noch, wenn man an einem ruhigen Vormittag die Tür zum Ausstellungsraum öffnet und ins Dunkle tritt. Durch den Bewegungsmelder ausgelöst, geschieht dann genau das:
Ein 1.300 Jahre alter Papyruskodex tritt ans Licht.