Eine Schenkung von Nachlassunterlagen Wilhelm Wundts an die Universitätsbibliothek Leipzig

Wilhelm Wundt zwischen seinen Mitarbeitern am Institut für experimentelle Psychologie um 1913, von links nach rechts: Ottmar Dittrich, Wilhelm Wirth, Wilhelm Wundt, Otto Klemm und Friedrich Sander (Universitätsbibliothek Leipzig)

Wilhelm Wundt zwischen seinen Mitarbeitern am Institut für experimentelle Psychologie um 1913, von links nach rechts: Ottmar Dittrich, Wilhelm Wirth, Wilhelm Wundt, Otto Klemm und Friedrich Sander

Wilhelm Wundt am Vorlesungskatheder, Scherenschnitt um 1900

Im Sommer 2022 wurde ein umfangreicher, privater Nachlass von Wilhelm Wundt als Schenkung seiner Nachfahren an die Universitätsbibliothek Leipzig übergeben. Wer war dieser Prof. Dr. Wilhelm Maximilian Wundt und was hat er mit der Universität Leipzig zu tun?

Wilhelm Wundt (1832–1920) gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Gelehrten in der Geschichte der Leipziger Universität und der gesamten Wilhelminischen Epoche. Er wirkte in vielfacher Weise für die Entwicklung einer modernen, von metaphysischen Erklärungsmodellen emanzipierten, rein wissenschaftlich begründeten Psychologie. 1879 gründete er als Privatinitiative das erste experimentalpsychologische Institut in Deutschland, das 1883 von der Universität Leipzig anerkannt und 1884 als „Institut für experimentelle Psychologie“ etatisiert wurde.

Blick in das private Arbeitszimmer von Wilhelm Wundt in der Goethestr. 6 in Leipzig, 1912

Neben der experimentellen Psychologie waren die Philosophie und die Völkerpsychologie wichtige Arbeitsfelder Wundts. Er lehnte jede metaphysische Philosophie ab und sah das Fach als beschränkt auf Ethik, Logik und Erkenntnistheorie an. In seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten widmete sich Wundt v. a. der Völkerpsychologie, die erklären wollte, wie individuelle Ideen mit kollektiven Vorstellungen zusammenhingen. Seine Vorstellung, die Psychologie als Grundlagen- und Verbindungswissenschaft zwischen Geisteswissenschaften, Medizin und Naturwissenschaften zu definieren, fand ihren Ausdruck in seinem Hauptwerk „Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythos und Sitte“ (1900–1920).

Wilhelm Wundt mit seinen Enkelkindern August und Hermann und seiner Schwiegertochter Senta Wundt im Garten seines Heidelberger Hauses im August und September 1916, daneben Eleonore Wundt mit August und Hermann Wundt und schließlich Hermann Wundt alleine

1872 heiratete Wilhelm Wundt die aus Kiel stammende Sophie Mau (1844–1912). Kennengelernt hatte er sie im Hause seines Freundes, des Geschichtsprofessors Wilhelm Wattenbach (1819–1897) in Heidelberg, einem Cousin von Sophie Mau. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Max Wundt (1879–1963), Professor für Philosophiegeschichte an der Universität Tübingen, Eleonore Wundt (1876–1957) und die jung verstorbene Louise, genannt Lilli (1880–1884).

Nach Wundts Tod pflegte Eleonore Wundt in Großbothen bei Leipzig, wohin Wilhelm Wundt nach Ende seiner Lehrtätigkeit 1917 umgezogen war, das Andenken ihres Vaters und begründete dort das sogenannte Wilhelm-Wundt-Archiv, in dem sie alle erreichbaren Unterlagen Wundts sammelte. 1947 übergaben Eleonore und Max das Archiv an das Psychologische Institut der Universität Leipzig, von wo es Mitte der 1970er Jahre an das Leipziger Universitätsarchiv abgegeben wurde.

Die erste Seite aus dem Gästebuch in Großbothen. In den Monaten vor seinem Tod wurde Wilhelm Wundt mehrere Male von seinem Sohn Max, von Helga Feddersen, Emil Kraepelin, Felix Krueger und Eduard Spranger besucht. Eduard Spranger trug ein: „Von Berlin per Bahn in Treue und Sehnsucht“. Felix Krueger war von Grimma nach Großbothen gewandert

1958 schließlich schenkte Max Wundt Unterlagen seiner Schwester, die bis in das Jahr 1920 reichten, ebenfalls dem Psychologischen Institut, wo sie in das Wundt-Archiv eingegliedert wurden. Die Unterlagen Eleonores, die in die Jahre nach 1920 datieren, wurden auf ihren eigenen Wunsch hin nach ihrem Tod vernichtet.

Der gesamte im Universitätsarchiv aufbewahrte Nachlass Wundts wurde 2012–2015 an der Universitätsbibliothek Leipzig in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt in den Verbundkatalog Kalliope katalogisiert und digitalisiert. Insgesamt 5.551 Objekte des Wundts-Nachlasses sind infolgedessen in Kalliope nachgewiesen.

Neben diesem wissenschaftlichen Nachlass Wilhelm Wundts befand sich ein umfangreicher privater Nachlass von Sophie und Wilhelm Wundt im Besitz der Nachkommen ihres Sohnes Max Wundt. Diesen Nachlass haben Dr. Hermann Wundt (Tübingen) und Dr. Konrad Wundt (Marburg) im Sommer 2022 der Universitätsbibliothek Leipzig als Schenkung übergeben.

Der älteste erhaltene Brief von Sophie Wundt an Wilhelm Wundt vom 29. Mai 1872

Enthalten sind in diesem Nachlassteil Unterlagen weiterer Familienmitglieder, namentlich von Eleonore und Max Wundt sowie dem Archäologen August Mau (1840–1909), ein Bruder von Sophie Wundt. Den Kern der Sammlung bilden der Briefwechsel von Sophie und Wilhelm Wundt sowie die Korrespondenz von Sophie Wundt mit Mitgliedern der Familie Mau. Die Unterlagen von Max Wundt beinhalten Dokumente aus seiner Militärzeit während des Ersten Weltkrieges, Unterlagen zur Genealogie der Familien Wundt und Mau sowie das Originalmanuskript seiner „Geschichte der europäischen Philosophie“. Weiterhin enthält der Bestand 14 Fotoalben und mehrere hundert einzelne Fotografien der Familien Wundt und Mau sowie Tagebücher von Eleonore und Sophie Wundt. Insgesamt liegen in der Sammlung 655 Familienbriefe, darunter 234 Briefe an Wilhelm Wundt und 138 Briefe, die Wilhelm Wundt geschrieben hatte. Ergänzt wird die Sammlung durch einzelne Briefe von Mitgliedern der Familie von Rumohr. Sophie Wundts Mutter Luise (1812–1902) war eine geborene von Rumohr und stammte damit aus einem altehrwürdigen holsteinischen Adelsgeschlecht.

Selbstgebastelte Pappfigur aus der Familie von Sophie Wundt; auf der Rückseite befindet sich eine aufgeklebte Schlaufe, so dass mit einem Holzstock die Figur für ein Figurentheater verwendet werden konnte. Die Figur diente der Darstellung von Schillers Drama Wallenstein, um 1850

Der private Nachlass Wilhelm Wundts und seiner Familie ist aus mehreren Gründen für die Forschung im Allgemeinen und für die Geschichte der Universität Leipzig im Besonderen von herausragender Bedeutung. Dokumentiert werden neben der Biographie Wundts das Leben einer bildungsbürgerlichen Familie in Leipzig. Durch die großzügige Schenkung von Dr. Hermann und Dr. Konrad Wundt bleibt der Nachlass nach menschlichem Ermessen der Nachwelt erhalten und steht nach seiner Erschließung in den Verbundkatalog Kalliope der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Im Namen der gesamten Universität Leipzig dankt die Direktorin der Universitätsbibliothek Leipzig, Dr. Anne Lipp, Hermann und Konrad Wundt für ihre Schenkung.

Alle Abbildungen dieses Beitrags: Universitätsbibliothek Leipzig.

Thomas Fuchs

Prof. Dr. Thomas Fuchs ist Leiter der Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Leipzig.

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