…unsere langjährige Kollegin, die die Arbeiten in der Restaurierungswerkstatt beinahe dreißig Jahre wesentlich geprägt hat und sich nun, zu unser aller Erstaunen, auf ihren wohlverdienten Ruhestand freuen kann. (Hinweis: Dieses Gespräch entstand im Februar 2020.)
1. Liebe Frau Feller, Sie sind schon lange bei uns an der UB, wie lange eigentlich genau und was haben Sie vorher gemacht?
Ich habe den Beruf des Handbuchbinders von der Pike auf in der Restaurierungswerkstatt der Deutschen Bücherei gelernt, wo ich bis 1989 gearbeitet habe. Nach meiner Ausbildung studierte ich vier Jahre im Fernstudium an der Fachschule für Restaurierung am Museum für Deutsche Geschichte in Berlin. Seit dem 1. April 1989 bin ich in der Restaurierungswerkstatt der Universitätsbibliothek Leipzig tätig. Aus diesem „Aprilscherz“ wurden schließlich 31 Arbeitsjahre, in denen ich viele Kolleg*innen und auch Vorgesetzte habe kommen und gehen sehen.
Jetzt, am Ende meiner Arbeitskarriere muss ich oft an den hoch geschätzten Dr. Dietmar Debes denken, der am Anfang mein Vorgesetzter war. Ihn bekam ich schon vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn zu sehen: vor meiner Türschwelle. Er wollte mir persönlich mitteilen (ich verfügte – wie so viele damals – noch nicht über einen Telefonanschluss), dass ich am ersten Arbeitstag erst 9 Uhr (statt um 7 Uhr) zum Dienst erscheinen sollte: Vorher gab es kein Wasser in der UB. Er teilte mir also mit, dass ich später kommen sollte und fügte lachend hinzu: „Und die zwei versäumten Stunden holen Sie in der Rente nach!“ Nun ist es soweit, und ich bin ratlos und muss lächeln: Wie wohl die Gleitzeitbevollmächtigten damit umgehen werden?
2. Was ist Ihre Lieblingsarbeit beim Restaurieren?
Diese Frage kann ich leider nicht beantworten. Stellen Sie sich vor, Sie fragen Eltern danach, welches ihrer Kinder sie am meisten lieben. Ich habe mich eigentlich über jede Arbeit gefreut, weil ich sie gerne gemacht habe: egal ob Papier- oder Pergamenthandschriften, Ledereinbände, Einzelblätter oder Ausstellungsvorbereitungen. Diverse Sonderarbeiten bleiben natürlich besonders in Erinnerung, z. B. das gerahmte Faksimile einer Seite des Bagdad-Korans, das ich 2017 im Auftrag von Prof. Schneider für den scheidenden US-Konsul Scott Riedmann gefertigt habe.
3. Der Codex Sinaiticus gilt als einer unserer bedeutendsten Kunstschätze. Was fasziniert Sie an dem Stück besonders?
Der Codex verfügt über mehrere Besonderheiten, von denen jede für sich genommen schon beeindruckend ist. Die fast quadratische Form der Blätter, zur Zeit seiner Entstehung in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts noch unüblich, ist sein Markenzeichen, daran ist er sofort zu erkennen. Die Einzigartigkeit der griechischen Majuskeln mit den vier Spalten auf jeder Seite ist natürlich auch imposant. Aber für mich als Restauratorin ist das Pergament das Faszinierendste. Es ist so dünn wie Papier! Mir ist kein Pergament dieser Größe bekannt, das so dünn ist und für mich ist diese Frage noch nicht abschließend beantwortet. So birgt der über 1.600 Jahre alte Codex immer noch Geheimnisse. Das finde ich aber eigentlich auch schön!
Was mich allerdings stört, wenn ich in unserer Dauerausstellung im Erdgeschoss unsere Kostbarkeiten bewundere, ist die beschnittene Abbildung des Codexblattes. Auf der großen Lichttafel ist das Blatt rechteckig, was natürlich nicht den originalen Maßen entspricht. So kann die spektakuläre fast quadratische Form in ihrer Schönheit leider nicht mehr nachvollzogen werden.
Gute Erinnerungen habe ich an das Erschließungsprojekt mit der British Library. Ich war mit der konservatorischen Beschreibung unserer 43 Blätter beauftragt. Alle möglichen Informationen wurden auf Deutsch und auch auf Englisch (für die Kolleg*innen in London) erfasst. Das war eine spannende Arbeit im Tresormagazin und eine schöne Zeit mit meiner Kollegin Sophia Manns-Süßbrich, die mir half, die englischen Vorgaben auszufüllen. Sie staunte nicht schlecht, als sie auf einmal nach Knochenabdrücken suchen sollte…
4. Abgesehen von dem „Sahnehäubchen“, dem Codex Sinaticus: Welche Objekte haben Ihnen während Ihrer langjährigen Tätigkeit in der UBL am besten gefallen?
Auch das ist wiederum schwer zu sagen, weil wirklich so viele großartige Dinge durch meine Hände gingen. Fasziniert haben mich die orientalischen Handschriften, die eine besondere Herausforderung darstellten. Ihre Papiere sind mit den europäischen überhaupt nicht vergleichbar und da gestaltete sich meine Arbeit besonders kniffelig. Aber gerade das war sehr spannend.
5. Welche Wünsche haben Sie für die historischen Bestände in der UB Leipzig?
Dass die Klimaanlage nicht ausfällt. Das klingt vielleicht banal, aber unsere Bestände mögen es kühl und verhältnismäßig trocken (ideal wäre eine Temperatur von 18°C und eine relative Luftfeuchte von 50%). Das ist sehr wichtig, damit sie auch noch die nächsten Jahrhunderte gut überstehen. Ich hoffe, dass die Bestände sorgsam aufbewahrt, aber auch genutzt und benutzt werden und dass mit ihnen sorgsam umgegangen wird. Ich bin überzeugt, dass auch in Zukunft diese Kostbarkeiten geschätzt und geschützt werden.
6. In den Jahren Ihrer Tätigkeit haben Sie sicher auch Kurioses zu berichten. Bitte erzählen Sie uns doch eine Anekdote!
Diese Anekdote ist nicht sehr alt und hat eigentlich mit unseren Beständen gar nichts zu tun. Allerdings war ein Zettel das Kurioseste, was mir unterkam. Bei der Umsetzung des Altars der Paulinerkirche von der Thomaskirche in das neue Paulinum wurde eine leere Flasche Sternburger Hell mit einem sich darin befindlichen Papierknäuel gefunden. Eben dieses Knäuel kam auf meinen Arbeitstisch und ich konnte die Fragmente eines Zettels wiederherstellen, so dass die Schrift teilweise lesbar war. Nachdem ich den Namen „Heinrich Magirius“ entziffern konnte, ging es ganz schnell: Herr Magirius gab Auskunft über einen Scherz der an der Restaurierung des Altars der Thomaskirche Beteiligten.
Diese Geschichte ging auch durch die Presse.
7. Womit tauschen Sie in Zukunft Ihre Restaurierungswerkzeuge bzw. worauf freuen Sie sich am meisten?
Das ist gar nicht so spektakulär, für mich aber sehr wichtig. Ich kann mir meinen Tag nach Lust und Laune einteilen, aufstehen, wann ich möchte und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, mal einen ganzen Tag schmökern. Wellness, Ausflüge, Ausstellungen, Kunst und Kultur, für alles das ist jetzt die Zeit da, die ich mir vorher abknapsen musste. Aber: Am meisten freue ich mich darauf, auch mal einen Tag zu „verplempern“ und nichts zu tun.
Das Gespräch führten Ute Feller und Sophia Manns-Süßbrich im Februar 2020. Wir hoffen, dass Frau Feller den Eintritt in ihren Ruhestand auch trotz der derzeitigen Einschränkungen durch Covid19 genießen kann, und wir wünschen ihr auf diesem Weg alles Gute und viel Gesundheit.