Stage cleared

Die japanische Videospielesammlung geht auf Reisen

Vielen nicht bekannt mag das GamesLab der Universitätsbibliothek Leipzig sein. Von 2016 an beherbergte die Campus-Bibliothek etwa 4.500 japanische Videospiele mit den dazugehörigen Konsolen zum Zwecke der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Im Januar 2024 ist die Sammlung an die Universität Liége weitergezogen. Aus diesem Anlass haben wir uns mit einigen Fragen an Dr. Martin Roth, welcher maßgeblich für dieses Projekt verantwortlich war, gewandt.

André Lahmann (AL): Mit deinem Ruf nach Leipzig 2015 konntest du eine Schenkung der CERO über 4.500 japanische Videospiele an die UB Leipzig vermitteln. Welchen Stellenwert hatte zu diesem Zeitpunkt die Sammlung für dich und deine Forschungsarbeit an der Universität Leipzig?

Martin Roth (MR): Die Sammlung bot zahlreiche, in Europa bis heute einzigartige Forschungsmöglichkeiten und war damit ein Meilenstein in der europäischen Forschung zu japanischen Videospielen und Videospielen insgesamt. Für mich konkret war sie der Ausgangspunkt für eine Reihe von kleinen und großen Forschungsprojekten, deren Ergebnisse ich bis heute aufarbeite und veröffentliche.

Internationales
Paradebeispiel

Die Sammlung war außerdem ein wichtiger Beweggrund für viele einschlägige Forscher*innen aus aller Welt, nach Leipzig zu kommen. Ihre maßgeblich von der UB Leipzig vorangebrachte Erschließung gilt international bis heute als Paradebeispiel für die forschungsorientierte Bereitstellung von Videospielen im universitären Kontext.

Die Sammlung im GamesLab in der Campus-Bibliothek (Foto: André Lahmann)

AL: Das Medium Videospiele und vor allem auch die Forschung daran stellte die UBL vor etliche Herausforderungen, der sie sich allerdings sehr gerne annahm und in enger Zusammenarbeit mit dir ein GamesLab an der Campus-Bibliothek einrichtete, damit die Sammlung auch vor Ort von Forschenden und Interessierten genutzt werden konnte. Außerdem wurde mit dir zusammen im DFG-geförderten diggr-Projekt an der UBL daran geforscht, wie Daten zu Videospielen für die Forschung genutzt werden können – dabei gab es auch eine weite internationale Kooperation. Was macht das Forschen an Videospielen besonders?

MR: Wir haben tatsächlich gemeinsam viel geschafft und viele spannende Projekte und Veranstaltungen auf den Weg gebracht, was ohne die Bereitschaft und den Weitblick vieler Mitarbeiter*innen der UBL nicht möglich gewesen wäre.

Die Herausforderungen
machen es spannend

Die Herausforderungen, vor die uns das Medium in diesem Zusammenhang gestellt hat, machen es auch so spannend: Abhängigkeit / Zusammenspiel mit vielerlei Hardware, die Variabilität und Flüchtigkeit der Spielwelt bzw. des Geschehens auf dem Bildschirm, die Abhängigkeit der Spielinhalte bzw. deren Erleben von den jeweiligen Entscheidungen der Spielenden, und die Vielfältigkeit der Spiele.

Im Kontext der Sammlung kommt hier noch die große Anzahl kulturell geprägter Spiele hinzu, die auf die Regionalität von Spielekulturen verweisen und deren Analyse eines regionalwissenschaftlich bzw. japanologisch geschulten Blickes und oft auch entsprechender Sprachkenntnisse bedarf. All diese Aspekte fordern uns dazu heraus, methodisch und theoretisch neue Wege zu gehen, wie sie auch für die UBL bei der Erschließung nötig waren.

AL: Die Sammlung wird nun Ende Januar 2024 die UB Leipzig verlassen – was ist genau geplant?

MR: Die Sammlung wurde mir damals kurz vor meiner Berufung an die Universität Leipzig mit der Bitte anvertraut, sie für die wissenschaftliche Forschung zu öffnen und möglichst vielen Forscher*innen zur Verfügung zu stellen. Während meiner Zeit in Leipzig haben wir dieses Ziel wie ich meine sehr erfolgreich verfolgt. Nach meinem Weggang wurde das Forschungsfeld der digitalen Medien bzw. Videospiele leider nicht weiter ausgebaut. Die Sammlung direkt an meinen jetzigen Arbeitsort in Kyoto zu holen, schien mir vom Auftrag der Schenker abzuweichen, denn der Wert der Sammlung ist ja besonders außerhalb Japans groß, da die entsprechenden Spiele dort nicht ohne Weiteres für die Forschung zugänglich sind.

Die Suche dauerte
nicht lang

Die Suche nach einer neuen Bleibe dauerte nicht lang: Die Sammlung wird nun als Leihgabe an das GamesLab der Universität Liége übergeben, das seit vielen Jahren Videospiele aus unterschiedlichen Perspektiven erforscht. Die Spiele werden ja nicht jünger und sowohl Hardware als auch Software zeigen bereits erste Ermüdungserscheinungen. Daher war es wichtig, rasch einen Ort zu finden, an dem die Forschung weitergeführt werden kann.

AL: Gibt es bereits weitere Interessenten, die die Sammlung in der Zukunft gerne als Leihgabe zur Forschung in Empfang nehmen würden?

MR: Viele enge Kolleg*innen haben sich bereits vor meinem Weggang aus Leipzig sehr interessiert gezeigt und dieses Interesse auch in jüngster Zeit wiederholt bekräftigt. Der Verbleib der Sammlung und ihre aktive Nutzung sowie Zugänglichkeit ist also durchaus ein Thema im Forschungsfeld der japanischen Videospiele.

Vor diesem Hintergrund kann ich mir gut vorstellen, dass die Sammlung in einigen Jahren an andere Standorte in Europa wechselt. Zunächst bin ich aber sehr gespannt darauf, was die Forscher*innen in Liége damit tun.

  • Vorher (Foto: André Lahmann)

AL: Du bist 2019 einem Ruf an die Ritsumeikan University in Kyoto, Japan gefolgt und forschst seitdem dort. Ist geplant, die Sammlung auch in Japan zu beforschen

MR: Die Sammlung wird formal an die Ritsumeikan Universität bzw. das Ritsumeikan Center for Game Studies übergeben, welches sie dann nach Liége entleiht. Sowohl die Metadaten der Sammlung, als auch die Spiele selbst werden also sicher ein wichtiger Gegenstand unserer Forschung in Kyoto sein, und hoffentlich auch weiter Anlass für viele internationale Kooperationsprojekte.


Weitere Blogbeiträge zur Sammlung und zum Projekt:

André Lahmann

André Lahmann ist Fachreferent für Mathematik und Informatik sowie Produktmanager der finc-Kataloge an der Universitätsbibliothek Leipzig.

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