Von der Radikalkur bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts
Im Jahr 1833 durchlief die UB Leipzig eine vom zuständigen Dresdner Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts verschriebene, weitreichende Radikalkur. Gemeinhin kann man von einem Professionalisierungsschub sprechen, indem die Leitungsstruktur zugunsten eines (damals freilich männlichen) ausgewiesenen hauptamtlichen Bibliothekars reformiert und auch eine neue Bibliotheksordnung eingeführt wurde, die zugleich den Katalog mit Blick auf Erwerbung, Katalogisierung und Verfügbarmachung berührte. Damit und mit einem verlässlichen und auskömmlichen Etat war es der UBL möglich, sich von da an bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Leuchtturm in der deutschen Bibliothekswelt zu entwickeln. Dieser Aufstieg verlangte allerdings moderne Kataloge, die mit der Bestandserweiterung und Erwerbungsgeschwindigkeit Schritt halten konnten. An dieser Stelle beginnt nun die zweite Etappe unserer dreiteiligen Reise.
Diese massiven Veränderungen zogen, wie schon zu erahnen ist, die Anfertigung neuer Kataloge nach sich. Die Neukatalogisierung fand unter der Leitung des Ebert-Schülers und ersten hauptamtlichen Bibliothekars Ernst Gotthelf Gersdorf (1804–1874), mit der langen Amtszeit von 1833 bis 1874, statt und nahm abermals über zwei Jahrzehnte in Anspruch. Der Philosoph Gustav Hartenstein (1808–1890) war die ausführende Kraft dahinter: Es wurde Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl ein Nominalkatalog (NK I) angelegt, der alle Titel unter den Autorennamen, die Anonyma unter dem Titel, alphabetisch erfasst, als auch an einem Sach- bzw. Realkatalog gearbeitet, der die Titel Sachgruppen und damit Wissensgebieten zuordnet. Neben diesen Katalogen gab es weitere Spezialkataloge u. a. für Musikalien und Karten.
Der Realkatalog, der sogenannte Gesamtkatalog (GK), wurde seit 1853 in Form eines Bandkataloges mit handschriftlichen und später gedruckten Einträgen erstellt. Dieser umfasste im Jahr 1865 142 Bände und zuletzt 120 Sachgruppen in 319 Bänden. In diesem Sachkatalog befinden sich die Nachweise aller Werke bis zum Erscheinungsjahr 1939, dann wurde er zugunsten eines neuen Zettelkatalogs abgebrochen. Innerhalb der Sachgruppen, die nach der damaligen Wissensordnung angelegt wurden, sind die Titel zunächst alphabetisch und dann chronologisch aufgeführt und wiederum mit der Signatur verknüpft. In den Signaturen spiegeln sich sodann die Sachgebiete wider.
Dieser haptisch schöne, in Leder gebundene Katalog diente nach dem Wiederaufbau der Albertina bei Bedarf noch als bibliothekarisches Auskunftsmittel und optisches Schmuckstück im Lesesaal West. Um mehr Arbeitsplätze im ehemaligen Auskunftsbereich zu schaffen und die historisch wertvollen Bände zu schützen, wanderte der Katalog später in den für Nutzer*innen unzugänglichen Bereich zum Standort der Altregistratur der Bibliothek.
Der Nominalkatalog (NK I) wurde parallel zum Gesamtkatalog von 1858 bis 1929 mittels loser Blätter organisiert, die in Schachteln, sogenannten Kapseln, aufbewahrt werden. Heute liegen 927 solcher Kapseln vor und jede Kapsel beheimatet ca. 300 lose Nominalblätter, was auf einen Gesamtumfang von etwa 278.000 Blättern schließen lässt, die alle dem gleichen Aufbau folgen. Für jede Person oder Organisation wurde ein Blatt angelegt – bei produktiven Geistern wurden es naturgemäß auch mehr.
Die Autor*innen wurden mit allen Vor- und Zunamen und möglichst individualisiert aufgenommen, z. B. durch die zusätzliche Angabe von Lebensdaten, damit bei Namensgleichheit keine Verwechslungen entstehen konnten. Darunter wurden ihre Publikationen aufgelistet und um die Signaturen ergänzt. Für die alphabetische Einordnung der Sachtitel diente das erste unabhängige Substantiv. Zum Teil wurden die Nominalblätter eines bestimmten Begriffs oder eines Verfassers – wie bspw. Immanuel Kant – zu Konvoluten gebunden. Allerdings hatten die losen Blätter im Gegensatz zum gebundenen Katalog den Vorteil, dass neue Blätter problemlos hinzugefügt werden konnten – anders als es noch beim Vorgängerkatalog der Fall war.
Im Nominalkatalog finden sich sowohl Monographien als auch mehrbändige Werke aus den Erscheinungsjahren 1501–1929 (vereinzelt auch davor und danach), Schriftenreihen (Serien) und Zeitschriften. Die Titel wurden dabei normiert erfasst, d.h. zunächst nach dem sächsischen Regelwerk und später nach den Preußischen Instruktionen, was auch ein wenig die politischen Verhältnisse und Deutungshoheiten versinnbildlicht.
Als Kontrollmöglichkeit zum NK I wurde der sogenannte Nomenclator („NK II“) als Register geführt, in das alle Blätter der Reihenfolge nach nochmals eingetragen wurden. Die UBL suchte also Wege, um mit dem Wachstum der Bücher Schritt zu halten und die Bestände in moderner Form zu verwalten. Dazu gehörte auch ihre sachliche Erschließung, die es dem Nutzer und später auch den Nutzerinnen erlaubte, nach Themen zu recherchieren. Hierbei repräsentieren die Sachkataloge das zeitgenössische Ordnungsprinzip und die Hierarchisierung von Wissen und sind damit selbst eine wichtige historische Quelle für die Erforschung kognitiver und normativer Ordnungsvorstellungen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden nicht nur die Erschließungsregelwerke wie die Preußischen Instruktionen, die auch in Leipzig Anwendung fanden, entwickelt und verfeinert, sondern auch eine Idee aus der Notwendigkeit geboren. In Ermangelung einer deutschen Nationalbibliothek – immerhin war das Deutsche Reich mit seiner Gründung 1871 eine recht junge Nation – und im Angesicht des immer weiter aufwachsenden Publikationswesens entstand das Bedürfnis nach einem Gesamtverzeichnis der in Deutschland vorhandenen Drucke und ihrer Standorte. Darin zeigt sich die Vorstellung einer überregionalen, virtuellen Nationalbibliothek, die das vorhandene Wissen dokumentiert. Das Projekt war zunächst auf die preußischen Universitätsbibliotheken beschränkt, zeigte aber nach dessen Abschluss 1908, dass eine Ausweitung sinnvoll und angebracht war.
Ein Deutscher Gesamtkatalog in alphabetischer Ordnung sollte entstehen, weswegen ab dem Jahr 1935 102 Bibliotheken des Deutschen Reiches an dieser Mammutaufgabe und logistischen Großleistung arbeiten sollten. Auch die UBL war nach heutigen Begriffen eine Projektpartnerin und ergänzte ihre Titel im Verzeichnis. Ziel war es, ein zentrales Nachweismittel – auch für den Fernleihverkehr – zu erzeugen. Allerdings konnten durch den Zweiten Weltkrieg die Arbeiten nie beendet werden, sodass heute lediglich ein Verzeichnis vom Buchstaben A bis Beethordnung gedruckt vorliegt. Wie überragend und fortschrittlich dieses Projekt war, zeigt ein Blick in die Gegenwart: Ein übergreifender deutscher Nationalkatalog – trotz der zahlreichen Datenbanken, der elektronischen Verbundkataloge oder des Karlsruher Virtuellen Katalogs (KVK) – existiert bis heute nicht.
Doch kommen wir zurück in die UBL und verharren einen kurzen Moment in der Zeit um die Jahrhundertwende, denn hier wurde noch ein ganz anderes Projekt in Angriff genommen. Wie wir aus dem ersten Abschnitt der Kataloggeschichte wissen, trennte Joachim Feller (1638–1691) im 17. Jahrhundert die Drucke von den Handschriften, verfasste eigens einen Katalog für diese und ließ ihn drucken. Der nächste gedruckte Katalog, der einen Teilbestand der Handschriften erfasste, wurde danach erst im Jahr 1898 von Victor Gardthausen (1843-1925) zu den griechischen Handschriften im Leipziger Harrassowitz Verlag veröffentlicht. Dieser Band gehörte der größeren Unternehmung an, einen mehrbändigen Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek zu Leipzig zu erstellen. Weitere Bände zu Spezialbeständen sollten in den nächsten drei Jahrzehnten in dieser Reihe folgten.
In neuerer Zeit wurde eine „Neue Folge“ der Katalogisierung der Handschriften nach modernen Standards in Angriff genommen. In dieser Reihe entstanden vom Jahr 2000 bis 2016 insgesamt sieben (Teil-) Bände, die den Reichtum und die Bandbreite der Handschriftenbestände der UBL-Bestände eindrücklich darlegen und von Expert*innen ihres Fachs erstellt wurden. Bis heute arbeitet die UBL kontinuierlich und erfolgreich an der weiteren Erschließung und Digitalisierung der Handschriftenbestände der Bibliothek. Auf weitere Spezialkataloge, bspw. zu den Musikhandschriften und Sonderbestände, kann an dieser Stelle leider nicht eingegangen werden.
Mit diesem Hinweis auf die jüngsten Entwicklungen wird jedoch deutlich, dass die Katalogisierung eine auf Dauer angelegte Aufgabe ist, die uns auch auf dem noch folgenden, letzten Abschnitt unsere Reise durch die Kataloggeschichte begleiten wird.
Zum Nachlesen:
Schneider, Ulrich Johannes (2020): Deutsche Nationalkataloge – Herausforderungen an das deutsche Bibliothekssystem. In: ABI Technik 40 (1), S. 40–51. DOI: 10.1515/abitech-2020-1005.
Schneider, Ulrich Johannes (2009): Universitätsbibliothek Leipzig. In: Ulrich von Hehl, Uwe John und Manfred Rudersdorf (Hg.): Fakultäten, Institute, zentrale Einrichtungen. 2. Halbband, Bd. 4,2. 5 Bände. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 1473–1494.
Vielen Dank für diese interessante kleine Reihe. Ich freue mich schon auf den 3. Teil. Mich hat überrascht, dass immer noch Kataloge gedruckt werden. Werden z.B. die Bände aus der „Neuen Folge“ tatsächlich genutzt? Oder ist das nur zur Archivierung gedruckt worden?
Liebe Nutzer*in,
die gedruckten Kataloge werden je nach Zeitraum und Fachcommunity unterschiedlich genutzt.
Im Bereich der mittelalterlicher Handschriften findet die Erschließung in der Tat digital im Manuscripta Mediaevalia (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/) statt. Die gedruckten Kataloge sind hier nur eine sekundäre Erschließungsmöglichkeit.
Bei den Handschriften seit der frühen Neuzeit werden die gedruckten Kataloge allerdings von den Forschenden noch stark genutzt, weil es keine zentralen digitalen Nachweisinstrumente oder ein übergeordnetes Erschließungsinstrument gibt. Die gedruckten Kataloge bieten zudem viel dichtere Beschreibungen und tiefergehende Erschließungen. Im Vergleich zu den digitalen Nachweisen sind gedruckte Kataloge außerdem immer noch die kostengünstigere Erschließungsmöglichkeit. Angesichts der schieren Menge an neuzeitlichen Handschriften ist das kein unwesentlicher Faktor. Ich hoffe, die Antwort hilft Ihnen weiter.
Liebe Nutzer*in,
bei der Erschließung geschlossener Bestände (Fonds) sind Handschriftenkataloge als abschließende Publikationen sehr sinnvoll und erbringen einen wissenschaftlichen Mehrwert, z.B. durch kontextualisierende Einleitungen mit übergreifenden Informationen und Ergebnissen und speziell auf das Bestandsprofil zugeschnittenen Registern. Sie bieten also eine sehr dichte Beschreibung und tiefgehende Erschließung. Traditionell werden diese Publikationen gedruckt. Die gedruckten Kataloge werden je nach Zeitraum und Fachcommunity unterschiedlich genutzt, kommen aber immer noch zum Einsatz und sind wichtige Instrumente in der Forschung. Bei vergleichenden Arbeit mit zahlreichen Quellen werden beispielsweise weiterhin verschiedene Bücher und Kataloge nebeneinandergelegt und das Digitalisate einer Handschrift dann auf dem Monitor angezeigt.
Die Handschriften der UBL werden allerdings auch in den elektronischen Fachportalen nachgewiesen. Im Bereich der mittelalterlicher Handschriften findet die Erschließung digital derzeit noch im Manuscripta Mediaevalia (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/) statt. Eine vollständige Migration in das neue Handschriftenportal (https://handschriftenportal.de/) wird nächstes Jahr stattfinden, wo u. a. die Erschließungsdaten für mittelalterliche und neuzeitliche Buchhandschriftlich gebündelt werden. In der Datenbank Kalliope (https://kalliope-verbund.info/) werden Nachlässe und Autographen nachgewiesen. Neuzeitliche Handschriften werden weiterhin in Kalliope erfasst und, wenn es sich um buchlange Handschriften handelt, künftig eben auch im Handschriftenportal.
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