Chronotopos als Vorbild für Diamond-Open-Access-Publizieren

Diamanten

Erstes DOAJ gelistetes Journal im Open-Access-Angebot der Universität Leipzig

Die Universitätsbibliothek Leipzig bietet den Angehörigen der Universität Leipzig seit mehreren Jahren einen kostenlosen Service für die Verwaltung und Veröffentlichung von elektronischen Zeitschriften an, basierend auf der Zeitschriftenverwaltungs- und Publikationssoftware Open Journal Systems (OJS). Damit unterstützt sie die Wissenschaftler*innen dabei, neue Open-Access-Zeitschriften zu gründen, beziehungsweise etablierte Schriftenreihen und Zeitschriften auf Open Access (OA) umzustellen.

Im Herbst 2024 haben wir erstmalig eine bestehende OA-Zeitschrift in unsere OJS-Infrastruktur migriert: die Zeitschrift Chronotopos – A Journal of Translation History. Aus diesem Anlass sprachen wir mit dem Redaktionsteam über die Erfahrungen bei der Zeitschriftenherausgabe im Open Access, den Migrationsprozess und die Zukunftsvisionen für den neuen Zeitschriftenstandort Leipzig.

UB Leipzig: Liebe Herausgebende, welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Journal und wer steht dahinter? Was genau bedeutet der Begriff Chronotopos und was hat er eigentlich mit der Translationsgeschichte zu tun?

Das Buch von Michail Bachtin, das namensgebend für die Zeitschrift war.

Hrsg.: Der Terminus Chronotopos (griech. χρόνος – Zeit, τόπος – Ort) wurde von Michail Bachtin (1895–1975) in seiner literaturwissenschaftlichen Theorie eingeführt und beschreibt die untrennbare Verbindung von Zeit und Raum in literarischen Werken. Der Begriff beschreibt die Art und Weise, wie Zeit und Raum in der Literatur organisiert sind und wie sie sich gegenseitig bedingen. Der Chronotopos bildet die strukturelle Grundlage eines Textes und bestimmt, wie Figuren agieren, wie Ereignisse sich entfalten und welche Beziehungen zwischen einzelnen narrativen Ebenen bestehen.

Wir haben diese Zeit- und Raumgebundenheit auf die Translationsgeschichte übertragen, weil eben auch die Handelnden im Translationsprozess der Translation in einem Chronotopos agieren und ihre Handlungen durch diesen bedingt sind. Detailliert haben wir diese Überlegungen im Editorial der ersten Ausgabe von Chronotopos beschrieben, das im Archiv der Zeitschrift nachlesbar ist.

Die erste Ausgabe von Chronotopos aus dem Jahr 2019

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Translation erfährt seit einigen Jahren eine wachsende Dynamik. Chronotopos versteht sich als internationales Forum und zentrale Anlaufstelle für all jene, die sich wissenschaftlich mit Translationsgeschichte befassen oder ein Interesse an diesem Fachgebiet haben.

Im Mittelpunkt steht die Forschung zu historischen Translationsprozessen, die aus der Perspektive der Translationswissenschaft betrieben wird. Gleichzeitig lädt Chronotopos auch Forschende angrenzender Disziplinen ein, ihre Erkenntnisse und Perspektiven beizutragen. Ziel ist es, den interdisziplinären Dialog zu fördern und die Vielfalt historischer Translationsprozesse sichtbar zu machen.

Als Plattform für den wissenschaftlichen Austausch bietet Chronotopos Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte, Publikationen und die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Translationsgeschichte. Damit schafft die Zeitschrift einen lebendigen Ort der Vernetzung, an dem Ideen, Methoden und Erkenntnisse zusammengeführt werden.

UB Leipzig: Wie akquirieren Sie die Beiträge und organisieren den Begutachtungsprozess? Sind die Ausgaben an eine Tagung gekoppelt oder gibt es spezielle Themenschwerpunkte, für die Sie Einreichungen akzeptieren?

Die Webseite des internationalen Netzwerks von Translationshistorikern HTN.

Hrsg.: Die Beiträge für Chronotopos gewinnen wir auf vielfältige Weise. Einerseits schöpfen wir aus unserem Netzwerk und sprechen gezielt Forschende an, andererseits laden wir über Calls for Papers zur Einreichung ein. Darüber hinaus entstehen Publikationen oft aus spezifischen Veranstaltungen oder Forschungsprojekten – ein herausragendes Beispiel sind die Tagungen des HTN (History Translation Network), bei denen sich alle zwei Jahre Translationshistoriker*innen aus aller Welt austauschen. Eine Auswahl dieser Beiträge findet ihren Weg in unsere Zeitschrift.

Neben regulären Ausgaben veröffentlichen wir auch Fokushefte, etwa Bd. 4, Nr. 1: Focus: Translation Theories of Translators, die entweder von Gast-Herausgeber*innen kuratiert oder von uns selbst konzipiert werden. Diese Schwerpunktausgaben ermöglichen es, bestimmte Fragestellungen vertieft zu beleuchten und aktuelle Diskurse innerhalb der Translationsgeschichte aufzugreifen.

Unser Begutachtungsprozess folgt hohen wissenschaftlichen Standards: Alle eingereichten Beiträge durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren, um die Qualität und Relevanz der Forschung sicherzustellen. Dabei legen wir großen Wert auf eine offene, konstruktive Feedback-Kultur.

Wir freuen uns über neue Impulse und laden alle Interessierten herzlich ein, mit uns in den Dialog zu treten – sei es durch Einreichungen, Themenvorschläge oder den Austausch bei Konferenzen und Projekten.

Foto: kiryl, Unsplash

UB Leipzig: Ihre Zeitschrift erscheint bereits seit mehreren Jahren im Open Access und verlagsunabhängig. Warum haben Sie sich damals dafür entschieden und wie ist es Ihnen gelungen, ihre Sichtbarkeit und Reputation in der Fachwelt aufzubauen?

Hrsg.: Die Entscheidung, Chronotopos als Open-Access-Zeitschrift und verlagsunabhängig zu publizieren, beruht auf unserer Überzeugung, dass wissenschaftlicher Austausch frei zugänglich und ungehindert erfolgen sollte. Open Access ermöglicht eine schnelle und faire Verbreitung von Forschungsergebnissen innerhalb der Fachgemeinschaft – ohne finanzielle oder institutionelle Barrieren. Wissenschaft lebt vom Teilen von Erkenntnissen, und wir sind der Meinung, dass ökonomische Interessen diesen Prozess eher behindern als befördern. Deshalb sehen wir diese Publikationsform nicht nur als zeitgemäß, sondern auch als richtungsweisend für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation an.

Wir geben Chronotopos als
Open-Access-Zeitschrift und
verlagsunabhängig heraus
aus Überzeugung,
dass wissenschaftlicher Austausch
frei zugänglich und ungehindert
erfolgen sollte.

Sichtbarkeit konnten wir schon in den Anfangszeiten durch unser eigenes wissenschaftliches Netzwerk aufbauen, das uns in der Anfangsphase maßgeblich unterstützt hat. Besonders wertvoll war dabei die enge Zusammenarbeit mit führenden Forscher*innen unseres Fachgebiets, die als Mitglieder des Editorial und Advisory Boards die Entwicklung der Zeitschrift aktiv begleitet haben. Ihre Expertise und ihr Vertrauen in unser Projekt haben dazu beigetragen, Chronotopos in der Fachwelt zu etablieren.

Wir sind uns bewusst, dass für junge Wissenschaftler*innen Publikationen in kommerziellen, hoch indexierten Zeitschriften oft attraktiver erscheinen, da sie sich positiv auf den akademischen Lebenslauf auswirken. Dennoch erhalten wir auch aus dieser Gruppe zahlreiche hochwertige Einreichungen, da sich Chronotopos in der Translationsforschung als anerkannte Plattform etabliert hat.

UB Leipzig: Chronotopos ist bereits in das Directory of Open Access Journals (DOAJ) gelistet, was ein besonderes Qualitätsmerkmal darstellt. Das streben auch die Redaktionen weiterer OA-Zeitschriften der Universität Leipzig an. Könnten Sie bitte daher kurz den Weg dorthin skizzieren? Was war die größte Herausforderung in diesem Prozess und wie haben Sie sie gemeistert?

DOAJ-gelistet zu sein ist eine echte
Auszeichnung für Open-Access-Journale.
Die größte Herausforderung dafür war,
alle strengen
Anforderungen zu erfüllen –
von einer klaren Open-Access-Policy
über einen transparenten
Peer-Review-Prozess
bis hin zur
sauberen technischen Umsetzung.

Hrsg.: Die Aufnahme in das Directory of Open Access Journals (DOAJ) war für Chronotopos ein wichtiger Meilenstein, denn dies sorgt für mehr Sichtbarkeit und unterstreicht die Qualität der Zeitschrift. DOAJ-gelistet zu sein bedeutet, dass man international leichter gefunden wird und hohe wissenschaftliche Standards erfüllt – eine echte Auszeichnung für Open-Access-Journale.

Der Weg dorthin war durchaus anspruchsvoll. Die größte Herausforderung war, alle strengen Anforderungen zu erfüllen – von einer klaren Open-Access-Policy über einen transparenten Peer-Review-Prozess bis hin zur sauberen technischen Umsetzung. Besonders zeitaufwendig war die detaillierte Dokumentation aller Abläufe.

Wir haben das vor allem durch gute Vorbereitung, Austausch mit anderen Open-Access-Journalen und der Hilfe des Teams an der Universitätsbibliothek Wien gemeistert. Unser Tipp: Frühzeitig die DOAJ-Kriterien prüfen, Prozesse klar strukturieren und sich beraten lassen – dann wird der Antrag deutlich einfacher. Der Aufwand lohnt sich, denn die DOAJ-Zertifizierung macht eine Zeitschrift nicht nur sichtbarer, sondern auch attraktiver für Autor*innen und Leser*innen weltweit.

UB Leipzig: Ihre Zeitschrift erschien ursprünglich am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien und wurde im Herbst 2024, ans Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) unserer Universität „umgesiedelt“. Wie ist der grenzüberschreitende Transfer aus Ihrer Sicht abgelaufen und welche Entscheidungen waren für Sie als Redaktionsteam dabei notwendig?

Hrsg.: Der Transfer von Chronotopos vom Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien zum Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der Universität Leipzig verlief erstaunlich reibungslos. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit der Teams an den Universitätsbibliotheken in Wien und Leipzig konnte die technische Umsetzung schnell und effizient erfolgen.

Die Ausgabe 1/23, die erstmalig an der Universität Leipzig erschienen ist.

Für uns als Redaktion war der Wechsel kaum spürbar – die einzige wirkliche Anpassung bestand in der Änderung der Domain. Alles andere lief nahezu nahtlos weiter, sodass wir uns direkt wieder auf das Wesentliche konzentrieren konnten: die inhaltliche Arbeit an der Zeitschrift. Wir freuen uns, dass Chronotopos nun am IALT angesiedelt ist und von hier aus seine internationale Reichweite weiter ausbauen kann.

UB Leipzig: Welche Ratschläge würden Sie anderen Herausgeberteams geben, die eine Open Access-Zeitschrift gründen möchten? Gibt es ein gutes Erfolgsrezept?

Hrsg.: Ein Open-Access-Journal zu gründen ist eine spannende, aber auch herausfordernde Reise – und ganz ehrlich: Man lernt unglaublich viel unterwegs. Was uns geholfen hat? Vernetzung, Geduld und Teamgeist.

Besonders wertvoll war für uns,
frühzeitig wichtige Forschende
mit ins Boot zu holen –
nicht nur als Aushängeschild,
sondern auch als
aktive Unterstützer*innen.

Von Anfang an ist es wichtig, klare Strukturen und Aufgabenverteilungen zu schaffen, damit sich niemand in der Organisation verliert. Gleichzeitig sollte man offen für Überraschungen bleiben – manche der besten Beiträge kommen unerwartet, und manchmal braucht eine tolle Idee einfach Zeit. Kurze, regelmäßige Kommunikationswege helfen, den Überblick zu behalten und das Team motiviert zu halten.

Besonders wertvoll war für uns, frühzeitig wichtige Forschende mit ins Boot zu holen – nicht nur als Aushängeschild, sondern auch als aktive Unterstützer*innen. Das Editorial und Advisory Board kann viel dazu beitragen, die Zeitschrift sichtbar zu machen und spannende Beiträge von anerkannten Autor*innen zu gewinnen. Und ja, manchmal muss man einfach mutig nachfragen: „Hättest Du Lust, etwas beizutragen?“ – oft wird daraus ein großartiger Artikel.

Was eine Zeitschrift besonders macht, ist ihre Persönlichkeit. Mehrsprachigkeit, individuelle Schwerpunkte und der Mut, auch mal ungewöhnliche oder experimentelle Beiträge zuzulassen, können helfen, sich von der Masse abzuheben. Aber manchmal klappt etwas trotzdem nicht, man findet einfach niemanden für die Gutachten oder ein Autor oder eine Autorin kann nicht liefern. Dann gilt es, mit Kreativität und Kompromissbereitschaft zu agieren. Wir haben unterwegs einiges gelernt und würden heute vielleicht manches anders machen. Aber dann wäre es vielleicht auch eine andere Zeitschrift geworden.

UB Leipzig: Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft von Chronotopos?

Hrsg.: Für die Zukunft von Chronotopos wünschen wir uns vor allem, dass das bemerkenswerte Engagement unserer Community weiterhin eine starke Säule der Zeitschrift bleibt. Es ist uns ein großes Anliegen, dass Chronotopos in Leipzig verwurzelt und hier weiter wächst. Eine zunehmende Sichtbarkeit ist uns wichtig. Und natürlich gibt es den Wunsch, vielleicht irgendwann diesen einen Artikel zu publizieren, der nicht nur das Feld nachhaltig verändert, sondern auch in die Geschichte der Disziplin eingeht. Doch vor allem wünschen wir uns, dass wir weiterhin in solch einem dynamischen, kreativen Team arbeiten können und auch mit unseren herausragenden Autoren stets so inspirierend zusammenarbeiten, wie wir es bisher getan haben. Diese starke Verbindung aus Teamwork und Innovation ist das, was Chronotopos ausmacht – und darauf aufbauend blicken wir mit viel Vorfreude in die Zukunft.

UB Leipzig: Wir sind begeistert von dieser Initiative, freuen uns sehr, dass wir zum Erfolg beitragen konnten und wünschen Chronotopos weiterhin viel Erfolg und positive Resonanz in der Wissenschaftswelt. Herzlichen Dank für das Gespräch.


Die quelloffenen Software Open Journal Systems (OJS) ermöglicht die integrierte Verwaltung und Veröffentlichung von elektronischen Zeitschriften für alle redaktionellen Arbeitsschritte vom Einreichen über mehrstufige Begutachtungsverfahren bis zur Veröffentlichung der Beiträge.

Das Open Science Office der Universitätsbibliothek Leipzig begleitet die Herausgebenden auf dem Weg zur OA-Zeitschrift. Wir übernehmen das Hosting der E-Journal-Software OJS und unterstützen bei deren Einrichtung und Konfiguration, sichern die Langzeitarchivierung der Zeitschrift und bieten zahlreiche administrative und bibliothekarische Services sowie Beratungs- und Schulungsangebote, um die Sichtbarkeit der Publikationen durch Indexierung in fachlich relevanten Datenbanken und Verzeichnissen zu steigern.

Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gern! 

Adriana Slavcheva (UBL)

Dr. Adriana Slavcheva ist an der Universitätsbibliothek Leipzig Open-Access-Referentin im Open Science Office sowie Fachreferentin für Kommunikations- und Medienwissenschaften.

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