Der 8. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur am Handschriftenzentrum Leipzig

Impressionen Handschriftenkurs 2022

oder: Wie man Bücher zum Erzählen bringt

Vom 4. bis 10. September 2022 fand an der UB Leipzig der 8. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur statt, bei dem elf Stipendiat*innen zusammen mit dem Team des Leipziger Handschriftenzentrums auf Entdeckungsreise in die Welt des mittelalterlichen Buchs gingen. Für uns war es ein Nikolausgeschenk, als am 6. Dezember auf dem Mittelalter-Blog ein ausführlicher Bericht über diesen Kurs erschien, den vier Kursteilnehmer*innen verfasst haben. Wir freuen uns über das positive Feedback und möchten den Beitrag auch hier über unseren eigenen Blog noch einmal bereitstellen.

Herzlich danken möchten wir auf diesem Weg den Kursstipendiat*innen für die angenehme und auch für uns sehr lehrreiche Woche – und natürlich der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie dem Mediävistenverband e. V., ohne deren finanzielle Unterstützung die Durchführung solcher Kurse nicht möglich wäre.  

Zu guter Letzt findet sich am Ende des Beitrags noch ein Video, mittels welchem mittelalterliche Handschriften für uns alle erfahr- und erkundbar werden. Anschauen lohnt sich!

Und hier der Beitrag von Maximilian Nöldner, Sarah Maria Schnödewind, Svenja Berkensträter und Clara Peinemann 
aus dem Mittelalter-Blog:

Fachprogramm

Erste Eindrücke zur Handschriftenkunde

Nach den letzten nervös abgewarteten negativen Corona-Testergebnissen trudelten wir am Sonntagabend langsam alle im Vortragssaal der Bibliotheca Albertina ein, wo wir elf Teilnehmer*innen des diesjährigen Alfried Krupp-Sommerkurses für Handschriftenkultur, denen die Teilnahme durch Stipendien der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und des Mediävistenverbands ermöglicht wurde, von etwa doppelt so vielen Mitarbeiter*innen des Handschriftenzentrums erwartet wurden. Wir wurden von der kommissarischen Direktorin der UB Leipzig, Charlotte Bauer, begrüßt, die bald das Wort an Dr. Christoph Mackert, den Leiter des Handschriftenzentrums seit dessen Gründung im Jahr 2000, übergab, der nach ein paar einleitenden Worten endlich zu dem kleinen Wagen ging, auf dem acht Handschriften bereitstanden.

Leipzig, Universitätsbibliothek, Codices Ms 775, 766, 934, 1148, 1151, 1166 und 1234

Mit einer nach der anderen ging er herum, gab uns Informationen zu Details, die die jeweilige Handschrift besonders machen, enthielt uns währenddessen jedoch die Informationen zu ihrem Inhalt noch vor. Auf dieser Basis sollten wir uns dann für eine Handschrift entscheiden, an der wir die ganze Woche über in Kleingruppen arbeiten würden. Nachdem so der Grundstein gelegt wurde, konnten wir es kaum erwarten, uns am kommenden Morgen in unsere Handschriften zu vertiefen, die uns auch direkt vorgelegt wurden. Aber wo sollten wir anfangen? Ohne eine Anleitung oder irgendwelche Vorgaben beäugten wir vorsichtig und in Ehrfurcht vor diesen Kostbarkeiten die Handschriften, die wir nun in den Händen hielten. Die meisten entschieden sich schließlich für ein Vorgehen von außen nach innen und wandten sich erst dem Einband zu, bevor sie in die Handschrift hineinblätterten. Der darauffolgende erste Inputvortrag zu Kodikologie und ihren Informationspotenzialen zeigte uns einen planvolleren Umgang mit einer Handschrift. Als Beispiel diente die Leipziger Handschrift Ms 687. Dem Team des Handschriftenzentrums war es gelungen, die verschiedenen Entstehungsschichten dieses Codex unter dem Zusammenwirken aller Disziplinen akribisch aufzudecken. So wurden anhand des Beispiels die vielen möglichen Wege gezeigt, über die wir die Geschichte der Handschrift nachvollziehen und den Codex gewissermaßen zum Reden bringen können.

Als wir uns das nächste Mal unseren Handschriften zuwandten, hatten wir alle eine Liste von Fragen, denen wir nachgehen wollten, und unsere Arbeit nahm Tempo auf. Worauf es dabei im Einzelnen zu achten gilt, zeigten uns die Mitarbeiter*innen des Handschriftenzentrums in weiteren kurzen Vorträgen und durch spontane Hilfestellungen, für die sie jederzeit zur Verfügung standen.

Wasserzeichenkunde

Den Bereich Wasserzeichenkunde brachte uns Katrin Sturm mit ihrer Präsentation näher. Mit einem kurzen Abriss über die historische Papierproduktion führte sie zielgerichtet zur für diesen Aspekt entscheidenden technischen Neuerung des 13. Jahrhunderts: der Erfindung des Schöpfsiebs. In dieses wurden erst einfache, im Laufe der Zeit zunehmend komplexere Zeichen eingearbeitet und sind bis heute auf dem historischen Schreibmaterial sichtbar. Die durch unterschiedliche Formate und Faltung bedingten erwartbaren Schwierigkeiten bei der Identifikation von Wasserzeichen wurden uns nacheinander vorgestellt, wobei den Mühen ein enormer Nutzen gegenübersteht: Die Zuordnung eines Wasserzeichens zu bereits systematisch erfassten Belegen, also zu Papier, das mit demselben Sieb hergestellt wurde, erlaubt eine enorm präzise Datierung im Bereich von ca. 2 Jahren. Zudem sind Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen mehreren Handschriften und teilweise sogar geographische Zuordnungen möglich.

Abzeichnung eines Wasserzeichens in Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1166, Vorderspiegel

Dafür nötige Hilfsmittel wie die Bände von Piccard und Briquet oder das Wasserzeichen-Informationssystem (WZIS) waren ebenso Teil des Vortrags wie die Erläuterung des praktischen Vorgehens bei der Abnahme von Wasserzeichen. Da alle von uns bearbeiteten Codices auch Papierlagen beinhalteten, blieb es in dem Punkt nicht bei reiner Theorie. Unter der Anleitung von Franz Schollmeyer konnten wir unseren Forschungsobjekten per Abreibung und Durchzeichnung bei Gegenlicht sonst kaum erkennbare Wasserzeichen entlocken. Prominent waren darunter unterschiedlich ausgestaltete Ochsenköpfe, die in den Leipziger Beständen (die entsprechende Belegsammlung wurde vom Leipziger Handschriftenzentrum im Rahmen von zwei DFG-geförderten Erschließungsprojekten aufgebaut) besonders zahlreich vertreten sind.

Paläographie

Was alles Paläographie ausmacht, brachte uns Dr. Marek Wejwoda näher. Ausgehend von Einflussfaktoren wie Material, Zweck, Person, Situation, Ort und Zeit betrachteten wir die vorherrschenden Schriften und sprangen in nur 30 Minuten vom 6. bis ins 15. Jahrhundert. Den größten Nutzen der Paläographie (abgesehen davon, dass wir durch sie gewissermaßen noch einmal lesen lernen) sieht man wohl bei der Datierung einer Handschrift. Die Textualis wurde zum Beispiel v.a. vom 13.–15. Jahrhundert verwendet, d. h. wenn man sie identifizieren kann, hat man einen ersten Anhaltspunkt. Dass man darüber hinaus aber noch viel präziser datieren kann, hat Herr Wejwodas Vortrag gezeigt. Bei der Betrachtung einzelner Buchstaben der Textualis, um beim Beispiel zu bleiben, kann man erkennen, dass auch sie über die Zeit hinweg verschiedene charakteristische Formen entwickelten. Doch nicht nur die Zeit können wir so genauer bestimmen, sondern auch den Ort und nicht zuletzt sogar den Schreiber selbst, der in kleinen Details seinen ganz eigenen Duktus zeigt. Diese Unterscheidung von Schreiberhänden ist sehr hilfreich, wenn man den Entstehungsprozess einer Handschrift nachvollziehen möchte. So konnte eine Gruppe im Laufe der Woche feststellen, dass ein Teil von Ms 1148 von mehreren Händen geschrieben wurde. Da die Schreiberwechsel immer zu Beginn einer neuen Lage auftraten und auf der vorausgehenden Lage Schriftraum ungenutzt blieb, liegt es nahe, dass mehrere Schreiber verschiedene Teile eines Vorlagentextes hatten, den sie sich kurzzeitig zur Abschrift ausleihen konnten. Dieses sogenannte Peciensystem ist typisch für Universitäten und gab uns somit einen Hinweis auf die Entstehungssituation von Ms 1148.

Der Schreiber bricht mitten im Wort ab. Die Rückseite des Blattes bleibt leer und wird später von anderer Hand gefüllt. Eine andere Schreiberhand setzt den Text von fol. 70r auf fol. 71v fort. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1148, fol. 70r. u. 71r. Fotomontage.

Schreibsprachenbestimmung

Den Input zu Schreibsprachenbestimmung lieferte Dr. Luise Czajkowski. Wie auch die Einband- oder Wasserzeichenkunde kann die Schreibsprachenbestimmung bei der Datierung und Lokalisierung volkssprachlicher Codices helfen. Die Schreibweise bestimmter Wörter liefert hierbei sowohl für die zeitliche als auch für die regionale Verortung Anhaltspunkte. Die Germanist*innen in unserer Runde wurden an die Anfänge ihres Studiums erinnert: Wie war das nochmal mit der zweiten Lautverschiebung? Und bei der Benrather-Linie, da klingelt doch was …

Dr. Luise Czajkowski erläuterte den Aspekt Schreibsprachenbestimmung

Von einer einheitlichen oder gar geregelten Schreibung im Sinne von Orthographie kann man in der Vormoderne nicht sprechen. Auch wenn es bereits in mittelhoch- und niederdeutschen Sprachen eine mehr oder weniger ausgeprägte konzeptionelle Trennung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit gibt, kann man auch im Schriftsprachlichen eine sogenannte diatopische Varianz feststellen. Man kann eine gewisse Ähnlichkeit zwischen mittelhochdeutschen Schreibsprachen und noch heute gesprochenen Dialekten feststellen, wenn auch keine exakte Übereinstimmung festzumachen ist.

Aus Einführungsseminaren war einigen Teilnehmer*innen eine Karte des deutschen Sprachgebiets mit mehreren eingezeichneten Sprachgrenzen bekannt. Dass keine Orientierung mehr möglich ist, wenn man alle jemals festgelegten oder postulierten Grenzen in einer Karte vereint, weil alles plötzlich eine Grenze ist, zeigt, wie sensibel man bei der Schreibsprachenwahrnehmung und -bestimmung sein muss.

Frau Czajkowski gab uns zum Glück das eine oder andere Hilfsmittel an die Hand, das die Schreibsprachenbestimmung erleichtert, ohne noch einmal ein Einführungsseminar ins Mittelhochdeutsche belegen zu müssen. Hier sei kurz die neue Mittelhochdeutsche Grammatik von Klein et al., die auf Basis des Referenzkorpus Mittelhochdeutsch bearbeitet wurde, erwähnt oder der Historische Südwestdeutsche Sprachatlas von Kleiber, Kunze und Löffler, der auf Urbaren basiert.

Buchschmuck

Neben Buchstabenformen und Schreibweisen bestimmter Laute gibt auch die illustrative Gestaltung der Seiten Aufschluss über die Provenienz des Codex. „Mittelalterliche Bücher funktionieren wie gute Websites,“ so Dr. Christoph Mackert, der in den mittelalterlichen Buchschmuck einführte. Jedes mittelalterliche Buch verfügt über ein unterschiedlich stark ausgeprägtes visuelles Navigationssystem. So weiß der*die Leser*in beim Aufschlagen einer Seite durch Rubrizierung einzelner Buchstaben oder Federzüge, ob hier ein Satzanfang, ein neuer Absatz oder ein Kapitelbeginn markiert wird.

Mittelalterliche Bücher
funktionieren
wie gute Websites.

Die Gestaltung der Initialen kann bei der Datierung und Lokalisierung von mittelalterlichen Handschriften entscheidende Hinweise geben. So deutet beispielsweise eine Fleuronné regional, also eine fleuronné-artige Gestaltung in ausgeprägt geometrischer Form, auf Italien als Entstehungsort hin. Eine Fleuronné-Initiale ohne Floratoren, also die geschwungenen Ausläufer der Initiale, tritt erst im Spätmittelalter im Zuge einer Popularisierung dieser Form auf.

Auch wenn reich illustrierte Codices nur etwa 2% der Überlieferung ausmachen, ist es hilfreich, sich mit Illumination, also Buchschmuck, auseinanderzusetzen und ein Grundwissen zu haben.

Sehr prächtig ausgeschmückte Codices wie etwa der Codex Manesse (Heidelberg, UB, Cod. Pal. Germ. 848) oder das Reichenauer Evangelistar (Leipzig, UB, Rep. I 57) sind nicht der klassische Beschäftigungsgegenstand bei der Arbeit mit mittelalterlichen Büchern. In seltenen Fällen ist es aufgrund von gestalterischen Merkmalen möglich, sogenannte Werkstätten zu identifizieren. Bei einem so glücklichen Fall hilft der Werkstattzusammenhang auch bei der Datierung und Lokalisierung der Entstehung der Illumination, so zum Beispiel bei Werken, die in der Lauber-Werkstatt entstanden sind.

Tierinitiale in Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1151, f. 267v.

Einbandkunde

Weiter ging es mit der Einbandkunde! In diesen Bereich der Handschriftenkunde führte uns Dr. Matthias Eifler mit einer präzisen Präsentation ein. Vermittelt wurde hierbei zunächst, welche Aussagen ein Einband über eine Handschrift bereits ermöglicht, bevor eine Übersicht verschiedener Einbandtypen (z. B. Holzdeckeleinband, Kopert etc.) folgte.

Besonders hilfreich war hierbei ein Überblick über die verschiedenen Hilfsmittel zur Einbandkunde: Neben neueren, allgemeinen Datenbanken zu Einbänden (z. B. die Database of Bookbinding) sind hierbei zunächst Hilfsmittel zu den Einbandstempeln zu erwähnen. Grundlegende Studien sind etwa die Schwenke-Sammlung gotischer Einbände oder die (bislang nur in Leipzig verfügbare) Dissertation Die Leipziger Buchbinder des 15. Jahrhunderts von Gerhard Loh. Ein weiteres wichtiges Werkzeug für die Untersuchung von Bucheinbänden des 15. und 16. Jahrhunderts stellt die (noch im Aufbau befindliche) Einbanddatenbank dar, in der Motive und Stempel systematisch gesucht werden können. Mittels dieser Hilfsmittel konnten die Einbandstempel der von uns untersuchten Codices näher betrachtet werden, indem Durchreibungen angefertigt und mit Belegstellen verglichen wurden. Die Einbandkunde stellte sich dabei als besonders hilfreich für die Verortung der Codices heraus: So sind über die Stempel Zuordnungen zu einzelnen Werkstätten möglich – auch wenn der Begriff der „Werkstätte“ im Plenum zu Recht kritisch diskutiert wurde.

Streicheisenlinien und Beschlägereste auf Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 934

Allerdings ist ein Einband mehr als seine Stempel: So gibt es noch eine ganze Reihe von Bestandteilen der Bucheinbände, die etwas über den Codex verraten können. Bei einigen Codices sind noch Ketten, Beschläge oder Titelschilder – beziehungsweise Spuren dieser – erhalten, die wichtige Indizien zur Entstehungs- und Verwendungsgeschichte geben können. Das Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag von Georg Adler kann hierbei als Hilfsmittel dienen. Last but not least sind noch Makulaturen hervorzuheben. Dabei darf gerade in Leipzig das älteste bekannte Parzival-Fragment natürlich nicht unerwähnt bleiben, das als Falzfragment in einem Codex gefunden wurde.

Sehr deutlich wurde somit der Reiz der Einbandkunde, die für viele noch eine eher unbekannte Teildisziplin darstellte. Erneut zeigte sich dabei, wieso sich beim Codex der Blick von außen lohnt: So können Einbände Indizien zur Provenienz, Entstehung und Verwendung eines Codex geben – und manchmal die ein oder andere Überraschung bieten, selbst wenn natürlich nicht in jeder Handschrift Parzival versteckt ist.

Begleitprogramm

Angesichts eines so dichten und aufwendig vorbereiteten Fachprogramms könnte der Rahmen der Workshopwoche ein wenig in den Hintergrund treten, doch die Mitarbeiter*innen des Handschriftenzentrums scheuten auch in diesem Bereich keine Mühen, um uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. So drückte sich die Leipziger Gastfreundschaft vor Ort in der Bibliotheca Albertina auch durch eine liebevolle Verpflegung aus, die zu jeder Pause frisch zubereitet und in schier unerschöpflichen Mengen auf uns wartete.

Die gemeinsame Unterkunft im wilden Leipziger Süden war verkehrstechnisch günstig über wenige Stationen mit der Tram erreichbar und ließ jede*n Teilnehmer*in frei wählen, ob man nach den arbeitsintensiven Tagen direkt zur Ruhe kommen oder den Abend erst zu späterer Stunde ausklingen lassen wollte. Durch das Stadtzentrum führte eingangs Christoph Mackert und legte zielsicher das inzwischen nur noch schwer zu findende mittelalterliche Bild der Stadt offen, das sich durch die Jahrhunderte kontinuierlich gewandelt hat. Als am stärksten wachsende deutsche Großstadt gilt das bis in die Gegenwart, was Dr. Mackert auch anhand seiner ganz persönlichen Biographie anekdotisch illustrieren konnte. Die Vorstellung der zeitgeschichtlichen Orte endete vor der Nikolaikirche mit einem ganz konkreten Gegenwartsbezug – mehrere Montagsdemonstrationen verschiedener Strömungen schränkten nicht nur den städtischen Nahverkehr, sondern womöglich auch den Zugang zu weiteren eingeplanten Sehenswürdigkeiten ein.

Ein unter die Kurswoche fallender öffentlicher Abendvortrag war in mehrerlei Hinsicht hochkarätig besetzt, was dem 20-jährigen Bestehen des Leipziger Handschriftenzentrums auch angemessen schien: Moderiert von Christoph Mackert diskutierten Prof. Dr. Eva Schlotheuber und Thomas Thibault Döring unter dem Titel Kein Buch war je allein Entwürfe moderner und vormoderner Buchsammlungen. Sowohl die Historikerin, die den Leipziger Werdegang über mehrere Jahre als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Handschriftenzentren begleitete, als auch der Experte für Frühdrucke und Urgestein der Leipziger Universitätsbibliothek ergänzten ihre Perspektiven auf das Thema mit anschaulichen Beispielen aus jahrzehntelanger Arbeit mit den historischen Artefakten.

Zusätzlich machte das Vokalensemble amarcord auf der Grundlage historischer Missale die Vergangenheit auf einer weiteren medialen Ebene erfahrbar. Beide Diskutant*innen ließen es sich nicht nehmen, den Kurs im Anschluss noch etwas näher kennenzulernen und umgekehrt an ihrer langjährigen Erfahrung teilhaben zu lassen.

Beim halbtägigen Ausflug nach Merseburg blieb der erwartete Wolkenbruch aus und uns empfing der Leiter des Domstiftsarchivs und der Domstiftsbibliothek Markus Cottin, der die Besichtigung des imposanten Sakralbaus anführte. Schwerpunkte waren dabei natürlich die Grabplatte des glücklosen Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden sowie der gesonderte Ausstellungsraum für die beiden Merseburger Zaubersprüche – welche auch für Teilnehmer*innen des Sommerkurses nur als Faksimile zugänglich sind. Stattdessen präsentierte uns Markus Cottin in den Räumlichkeiten des Domstifts vier historische Codices, die paläographische Höhepunkte wie die karolingische Minuskel oder auch ausgefeilten Buchschmuck enthielten und hautnah untersucht werden durften. Beim abschließenden Abendessen neben der Stadtkirche St. Maximi zeigte sich dann doch noch eine Andeutung der prognostizierten Niederschläge – in Form eines pittoresken Regenbogens.

Die Teilnehmer*innen des diesjährigen Handschriftenkurses mit Markus Cottin (links) vor dem Dom in Merseburg

Und wie die Farben des Regenbogens, so setzt sich auch die Erforschung von Handschriften aus vielen schillernden Teildisziplinen zusammen, die erst in ihrem Zusammenspiel ein vollständiges Bild zeichnen. Denn es ist oft nicht der Inhalt einer Handschrift, der uns etwas über ihren Hintergrund verrät, sondern der Einband, die Wasserzeichen, der Buchschmuck, die Schrift und die Schreibsprache, die zusammengenommen den Codex zu einem individuellen Objekt machen und auf diese Weise seine Geschichte erzählen können. Wir danken allen Mitarbeiter*innen des Handschriftenzentrums für diese schöne und lehrreiche Woche und hoffen, dass wir bald beim Blick auf eine unbekannte Handschrift genauso schnell (und korrekt) auf die Aufforderung „Datieren Sie mal!“ antworten können wie Sie.

Regenbogen über der Merseburger Innenstadt

Selbst zum Handschriften-Profi werden:

Mittelalterliche Handschriften mit dem Leipziger Handschriftenzentrum verstehen lernen

Christoph Mackert (UBL)

Dr. Christoph Mackert ist Leiter des Handschriftenzentrums an der Universitätsbibliothek Leipzig.

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