Die neu entdeckten Untermieter in der Albertina

Beitrag von Anna Wypych und Jörg Graf

Im alltäglichen Bibliotheksalltag – zwischen dem Ausleihen und der Rückgabe von Büchern, dem Nutzen von Arbeitsplätzen, der Verwendung von Datenbanken oder dem Einlegen einer Pause entweder im Alibi der Albertina oder an einem anderen geeigneten Ort – wird oft vergessen, dass sie ständig da und treue Begleiter sind: Insekten. In einem historischen Gebäude wie der Albertina sind die Einstiegswege und Nahrungsgrundlagen für sie sehr zahlreich: Ein- und Ausgangstüren, viele Fenster, unzählige Schuhsohlen, die tagtäglich die Bibliothek betreten. Ebenfalls ist die Vielfalt der unterschiedlichen Bestandsgruppen eine attraktive Nahrungsgrundlage für die Schädlinge. – Eine große Herausforderung!

Der neugierige erwachsene Nagekäfer, der sich lange als hungrige Larve im holzenden Buchdeckel versteckt hat. Das Insektenmonitoring hat das Ziel, den Bestand vor den Schädlingen zu schützen, wenn möglich auch, bevor es zum Schaden kommt. Foto: Fanny Bartholdt.

Was im Jahr 2017 mit einer Aufstellung von zehn Insektenfallen begonnen hat, ist jetzt bei 250 im gesamten Gebäude der Bibliotheca Albertina angekommen – das IPM (Integrated Pest Management) hat sich zu einem festen Bestandteil der präventiven Konservierung der Bibliotheksbestände entwickelt. 

Dieses systematische Insektenmonitoring hat das Ziel, das Vorkommen der Schädlinge zu dokumentieren, Insektenarten und ihre Stadien zu bestimmen, um damit frühzeitig einen Befall zu erkennen. Die Ergebnisse müssen immer im Kontext des Raumes, der Eintrittswege, der Klimabedingungen und der vorhandenen Hygiene betrachtet werden. Nur so ist es möglich, die Ursachen des Aufkommens zu erörtern und Maßnahmen gegen Schadinsekten zu ergreifen. 

Die UB Leipzig hat in den vergangenen drei Jahren aufgrund von Umbaumaßnahmen und der Corona-Pandemie ihren Betrieb vorübergehend eingeschränkt. Das hat auch das Leben der Insekten im Haus beeinflusst. Gerade in dieser interessanten Phase wurde das Monitoring erfolgreich durchgeführt und weiterentwickelt.

Im Jahr 2022 ist das IPM-Projekt aus der Restaurierungswerkstatt „hervorgekrochen“ und stellt inzwischen eine bemerkenswerte Leistung vieler Mitarbeiter*innen der gesamten Universitätsbibliothek dar. Das zeigt sich täglich in der Arbeitsweise: Transporte werden besser kontrolliert und durch Quarantänemaßnahmen abgesichert, Magazine wurden mit professionellen Staubsaugern ausgestattet und Reinigungszyklen angepasst. Dadurch hat sich die Magazinhygiene deutlich verbessert und viele Kolleg*innen sind nun für das Thema sensibilisiert.

2023 wurden mit den Bibliotheken Veterinärmedizin und Medizin/Naturwissenschaften weitere Standorte der Universitätsbibliothek in das IPM-Programm einbezogen: Sie stellen mit ihrem besonderen Klima, der geringen Luftfeuchtigkeit und der Nähe zu Kantinen neue Herausforderungen dar und zeichnen sich durch eine hohe Aktivität von Papierfischchen aus. Demnächst wird auch die Campus-Bibliothek von IPM-Beauftragten mitbetreut.

Insekten, auch wenn sie Schädlinge sind, können aber auch als Informationsträger für Buchrestaurator*innen und Bibliothekar*innen dienen und uns vieles von der Sammlungsgeschichte, ihren Nutzer*innen und der vormaligen Umwelt „erzählen“. Dies wurde u. a. an der Universitätsbibliothek Leipzig im Kooperationsprojekt „Mikroben als Sonden der Buchbiographie“ von 2018 bis 2021 untersucht. Die Forschungsergebnisse werden in der digitalen Ausstellung „Kontaminierte Bibliothek“ und – ebenfalls für Laien verständlich – im dazugehörigen Katalog „Die kontaminierte Bibliothek“ (über den Buchhandel und in der Bibliotheca Albertina erhältlich) präsentiert.

Eine der Aufgaben des IPM-Beauftragten ist es, sich mit Orten zu befassen, für die bisher niemand die Zeit oder den Mut hatte, sie zu untersuchen. Auf dem Bild: der Fußboden unter den Holzschränken im Lesesaal.

Anna Wypych

Ania Wypych ist Restauratorin in der Restaurierungswerkstatt der Universitätsbibliothek Leipzig.

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