Einblicke in das aktuelle Leipziger Bibliotheksvolontariat von Dr. Helge Perplies
Als ich mich im April 2022 auf mein Vorstellungsgespräch an der UBL vorbereitet habe, ist mir auf der Webseite der Bibliothek ein Foto aufgefallen, das die Teilnehmer*innen des ersten Alfried Krupp-Sommerkurses für Handschriftenkultur zeigt – darunter auch mich. Es war eine spannende und lehreiche Woche, während der wir mit anderen interessierten Doktorand*innen und Studierenden über Handschriften gebrütet haben, wunderbar betreut vom Team des Handschriftenzentrums. Elf Jahre und ein erfolgreiches Vorstellungsgespräch später habe ich dann im Oktober mein Volontariat an der Universitätsbibliothek Leipzig (UBL) begonnen, mit Schwerpunkt in eben jenem Handschriftenzentrum.
Ein Bibliotheksvolontariat, das muss vielleicht erklärt werden, ist in Sachsen das, was in vielen anderen Bundesländern ein Referendariat ist, also die Ausbildung zur wissenschaftlichen Bibliothekarin bzw. zum wissenschaftlichen Bibliothekar – nur eben ohne Verbeamtung. Neben der praktischen Ausbildung an der UBL gehört dazu auch ein Masterstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von beidem wird noch zu sprechen sein.
Zunächst brachte das Volontariat für mich und meine Familie einen Umzug mit sich, von Heidelberg, wo ich die letzten fünf Jahre am Germanistischen Seminar gearbeitet hatte, nach Leipzig. Es war also ein Wechsel von einer (bibliotheksnahen) Forschungsarbeit hin zu einer (forschungsnahen) Bibliotheksarbeit. Es war darüber hinaus auch ein Wechsel in eine neue und uns bis dahin weitgehend fremde Stadt, vor der zwar ausnahmslos alle Menschen geschwärmt haben, in der man aber dennoch erst einmal ankommen muss. Erfreulicherweise hatten wir viel Glück bei der Wohnungssuche, so dass ich jetzt jeden Morgen mit dem Fahrrad durch Auwald und Clara-Zetkin-Park zur Arbeit fahren darf. Wenn ich also morgens mal zu spät kommen sollte, dann habe ich wahrscheinlich zu lange den Blick auf das Elsterflutbett genossen – oder vorher zu lange meinen Sohn bespaßt.
Denn kurz bevor ich an der UBL anfangen sollte, wurde unser erstes Kind geboren, so dass ich gleich in Teilelternzeit in meine neue Stelle gestartet bin – was sicher nicht optimal war, aber von Direktion und Handschriftenzentrum sehr entgegenkommend unterstützt wurde, wofür ich überaus dankbar bin. Ich habe also schon einmal mit dem Studium begonnen und bin erst Ende November voll an der Bibliothek eingestiegen.
Zu den Aufgaben, die ich allerdings schon von Anfang an gemacht habe, gehörte die Teilnahme an der wöchentlichen Dienstberatung der Direktion und der Bereichsleitungen. Hier habe ich direkt einen Einblick in die Abläufe an der UBL bekommen, in die Zusammenarbeit und das Ineinandergreifen der einzelnen Bereiche, aber auch in die Probleme im Bibliotheksalltag. Die Protokolle der Sitzungen zu schreiben, stellte mich gerade am Anfang vor große Herausforderungen, da vieles für mich neu war und häufig auch nur in Abkürzungen verhandelt wurde – das sorgte aber eben auch für den nützlichen Druck, im Zweifelsfall nachzufragen und die Dinge wirklich zu verstehen.
Ebenfalls noch in meine Anfangszeit fiel ein Workshop an der UB Erfurt zu Theorie und Praxis der Handschriftenerschließung. Es war für mich eine großartige Gelegenheit, tief in das Thema einzusteigen – immerhin eine Kernaufgabe der Handschriftenzentren – und zugleich einige meiner neuen Kolleg*innen kennenzulernen.
Ich habe in den zwei Tagen trotz nachwuchsbedingtem Schlafmangel erstaunlich viel gelernt, aber es sorgte auch für seltsame Verknüpfungen: So habe ich nach meiner Rückkehr an einem Knisterbuch meines Sohnes prompt eine Buchschließe italienischen Stils erkannt – die schließen nämlich auch üblicherweise von vorn nach hinten.
Im Rahmen meines Volontariats bin ich im Handschriftenzentrum an der Entwicklung des neuen Handschriftenportals beteiligt, über das mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften aus deutschen Sammlungen recherchiert und präsentiert werden. Um die Suche zu verbessern, werden fachspezifische Thesauri aufgebaut, die rechercherelevante Begriffe vereinheitlichen und hierarchisch organisieren sollen. In Leipzig werden unter anderem die Thesauri zu Schriftarten, Schreibsprachen und Textsorten entwickelt, was gut zu meinem fachlichen Hintergrund als Mittelaltergermanist passt, weshalb ich hier auch stark involviert sein werde.
Darüber hinaus darf ich mich aber auch einer Handschriftenbeschreibung widmen: Es handelt sich um eine Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, die vor allem lateinische Texte zu juristischen Themen, aber auch einige kürzere deutsche Texte enthält, die medizinischen und medizinisch-astrologischen Inhalts sind.
Die Handschriftenbeschreibungen werden hier am Leipziger Handschriftenzentrum regelmäßig im ganzen Team diskutiert, wobei alle ihre jeweiligen Fachgebiete und Spezialisierungen einbringen können, von den verschiedenen Sprachen über die verschiedenen Schriften und den Buchschmuck bis hin zu den materiellen Eigenschaften des Buches wie Einband oder verwendeter Beschreibstoff.
Wenn ich gerade nicht im Handschriftenzentrum arbeite oder in der Dienstberatung Protokoll schreibe, dann bin ich auf meinem Durchlauf durch die Bibliothek, denn im Rahmen meines Volontariats darf ich alle Bereiche zumindest einmal kennenlernen. Gestartet bin ich in der Benutzung, was auch deshalb ein guter Einstieg war, weil wir im ersten Semester einige Veranstaltungen hatten, die sich mit Auskunfts- und Informationstätigkeit oder Trends der Bibliotheksbenutzung beschäftigt haben. So ließen sich hier die Inhalte des Studiums schön mit der Praxis verbinden. Inzwischen bin ich mit dem Bereich Benutzung (fast) durch und starte in den Bereich Bestandsentwicklung und Metadaten.
Auch hier ergeben sich wieder Berührungspunkte mit dem Studium, etwa beim Thema Fachinformationsdienste – Dr. Henriette Rösch, die Leiterin des Bereichs Betsandsentwicklung und Metadaten, war dabei so freundlich, die Einführung zum Fachinformationsdienst adlr.link vorzuziehen, so dass ich es als Teil der Klausurvorbereitung nutzen konnte. Denn Klausuren gehören leider auch zum Studium dazu, zwar nur eine pro Semester, aber fünfzehn Jahre nach meiner Magisterprüfung noch einmal auf diese Art Wissen nachweisen zu sollen, fühlte sich doch recht merkwürdig an. Davon abgesehen macht es mir aber viel Spaß, wieder zu studieren und mir auf diese Weise Wissen anzueignen. Die Themen decken ein sehr weites Feld ab, von der Geschichte des Bibliothekswesens über Informationskompetenz und elektronisches Publizieren bis hin zu Management, Mitarbeiterführung und Marketing.
Die Seminare finden blockweise alle zwei bis drei Wochen jeweils freitags und samstags am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin statt. Die ersten Blöcke habe ich – noch in Heidelberg – zu Hause vor dem Computer verfolgt, aber seit unserem Umzug nehme vor Ort an den Veranstaltungen teil. Das ist sehr schön, nicht nur, weil es weniger Zeit vor dem Bildschirm bedeutet, sondern auch, weil es die Möglichkeit bietet, wieder öfter in Berlin zu sein.
Ein weiterer Vorteil des Studiums vor Ort ist, dass ich so besser Kontakte zu meinen neuen Kommiliton*innen knüpfen kann. Neben einem inhaltlichen Austausch darüber, wie die Dinge an den unterschiedlichen Bibliotheken gehandhabt werden, ergibt sich manchmal auch ein ganz praktischer Austausch, wenn Kommiliton*innen zum Praktikum nach Leipzig kommen – mit der SLUB in Dresden ist sogar ein wechselseitiges Praktikum geplant.
Bei meinen eigenen Praktika, die ich absolvieren werde, soll es vor allem darum gehen, Lücken in meiner Ausbildung zu schließen (denn selbst die UBL kann nicht alles abdecken …), aber natürlich freue ich mich auch einfach darauf, andere Bibliotheken kennenzulernen. Das gilt ebenfalls für die verschiedenen Standorte der UBL, denn bislang war ich tatsächlich „nur“ in Albertina. „Nur“ in Anführungszeichen, denn die Albertina ist ein rundweg toller Ort, ob nun zum Arbeiten, zum Forschen und zum Pausemachen, aber ich bin eben auch auf die anderen Standorte sehr gespannt.
Man kann sich vorstellen, dass so ein Volontariat mit einigem organisatorischen Aufwand verbunden ist, und ich bin sehr dankbar, nicht nur für die enge Betreuung durch die Ausbildungsleiterin der UBL, Dr. Sophia Manns-Süßbrich, und durch Dr. Christoph Mackert als Leiter des Handschriftenzentrums, sondern auch für die Bereitschaft der Bereichsleitungen, meinen Durchlauf zu organisieren, und für die Zeit der Kolleg*innen an der UBL, die mich geduldig in die Geheimnisse ihre Arbeit einführen.
Als ich im September 2011 an dem Handschriftenkurs teilgenommen habe, hätte ich nicht erwartet, elf Jahre später an der UBL ein Bibliotheksvolontariat zu beginnen. Es fühlt sich zu final an, von sich schließenden Kreisen zu sprechen – immerhin bin ich erst ein knappes halbes Jahr hier –, aber es fühlt sich gut an, (wieder) hier zu sein.