Eine Synagoge in der Bibliothek. Die Geschichte der Leipziger Lehrsynagoge

Ein Gastbeitrag von Dr. Anke Költsch

Vom 27.06. bis 04.07.2021 wird die Jüdische Woche in Leipzig zum 14. Mal gefeiert. Das Fest für jüdische Kunst und Kultur hat die UB Leipzig zum Anlass genommen, ihre historischen Verknüpfungen mit dem Judentum näher in den Blick zu nehmen. Die Geschichte der sogenannten Lehrsynagoge an der UB Leipzig im 18. Jahrhundert wird daher im Folgenden näher beleuchtet.

Die Lehrsynagoge, diente – anders als der Name es vermuten lässt – nicht der Ausbildung von Rabbinern, sondern christlichen Theologen zum Studium des Judentums und seiner Rituale und später der interessierten Öffentlichkeit zur Information und Attraktion. Sie steht damit in der Tradition der (Lehr- und Kuriositäten)Kabinette in der Frühen Neuzeit, wie weiter unten nachzulesen ist. Bilder der Räumlichkeit selbst oder der Einrichtungsgegenstände sind nicht überliefert worden, dafür ein doch umfangreiches schriftliches Begleitwerk, was heute – wenn man den Vergleich überhaupt ziehen darf – in einigen Teilen einem Ausstellungskatalog entspräche.

Christoph Wallich beschreibt die Gegenstände der Mayerischen Synagoge, religiöse Riten und Texte.

Dieser Beitrag bezieht sich also auf die Beschäftigung mit der Jüdischen Religion an der protestantischen Universität Leipzig und den speziellen Verwicklungen von Lehrsynagogen mit der kurfürstlichen Residenz Dresden und dem Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg im 18. Jahrhundert.

Mit der europäischen Renaissance und Reformation stieg das Interesse an der antiken Weisheit und Architektur, z. B. an Modellen des Jerusalemer Tempels (wie beispielsweise in Hamburg) oder des nach dem Auszug aus Ägypten angefertigten Zelts für die Anbetung Jehovas, der sogenannten Stiftshütte, sowie am Christentum der Apostelzeit. Am Hebräischen als einer Sprache der Heiligen Schrift hatten die historischen Fächer der Theologie, die Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte, reges Interesse.

Durch die Aufklärung etablierte sich eine bestimmte Weise zu denken, zu argumentieren und zu urteilen, die sich an den Prinzipien der Vernunft ausrichtete. Die deutschen Aufklärer wollten den christlichen Glauben erneuern und modernisieren, wofür sie auf eine historische Quellenkritik und auf die Geschichte des Christentums – und damit in gewisser Weise auch des Judentums – setzten.

Auf der Suche nach Ursprung & Wahrheit mittels Sprachstudien und Übersetzungen

Im 17. Jahrhundert und zu Beginn des 18. Jahrhunderts betrieb die lutherische Orthodoxie intensive Sprachstudien. In jener Zeit entstanden Lexika und Grammatiken zur Erlernung von Sprachen wie Hebräisch, Aramäisch oder Jiddisch, einzelne Teile des Talmuds wurden ins Lateinische übersetzt und Erläuterungen zum Talmud und zu rabbinischen Schriften verfasst. Die Messias-Lehre war dabei von besonderer Bedeutung. Es wurde der Versuch unternommen, die Messianität Jesu aus dem Alten Testament abzuleiten.

Zusätzlich bestand auch ein großes Interesse an der jüdischen Glaubenslehre, der jüdischen Mystik (Kabbala) sowie an den zeitgenössischen Riten und Gebräuchen der Juden. Dies alles diente nicht nur der Bibelexegese, sondern auch der religiösen Selbstvergewisserung und dem Ziel der Mission unter den Juden. Zu dieser Zeit fungierten an protestantischen Universitäten nicht selten gelehrte Juden, die zum Christentum konvertiert waren, als Hebräisch-Lektoren und/oder Autoren zu Themen ihrer Herkunftsreligion.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der 1701 in Zeitz (heute in Sachsen-Anhalt) vom Judentum zum Christentum konvertierte Christoph Wallich (1672–1743), der zuvor in Frankfurt/Main eine Ausbildung zum Chasan (Vorsänger im jüdischen Gottesdienst) und Sofer (Schreiber rituell reiner hebräischer Texte) absolviert hatte. Wallich wurde im September 1706 an der Greifswalder Universität immatrikuliert. Dort fertigte er im Auftrag des aus Leipzig stammenden Theologieprofessors Johann Friedrich Mayer (1650–1712) zum Zwecke des Studiums eine Lehrsynagoge mit Gegenständen aus dem jüdischen Kultus für die Studierenden an, die später in den Bestand der Universitätsbibliothek Leipzig überging.

In der Frühen Neuzeit entstanden vermehrt Naturalien- und Kunstkammern, Lehrkabinette und Sammlungen, die im Zeichen der Aneignung, Verfügbarkeit und Erkenntnis des Weltganzen oder von Teilen der Welt standen. Sie wurden von weltlichen und geistlichen Fürsten, Universitäten und Akademien sowie von Privatpersonen eingerichtet. Insbesondere Sammlungen von Institutionen oder einzelnen Gelehrten sollten diesem Anspruch entsprechen, nicht selten durch eine experimentelle und praxisnahe Ausrichtung. Diese Lehrkabinette befanden sich zumeist in der Nähe von oder in Bibliotheken, wie es schließlich beim Paulinum der Universitätsbibliothek Leipzig der Fall war.

Ein Register der

darin befindlichen Sachen

Zur Mayerischen Lehrsynagoge, deren Einrichtung nicht mehr erhalten ist, verfasste Wallich ein kleines Büchlein als Register der sich darin befindlichen Sachen und als theoretische Grundlage, in dem er auf die Bedeutung von Thora und der jüdischen Schriften sowie der jüdischen „Ceremonien“ hinweist. Außerdem sollte „denen Liebhabern der Jüdischen Sachen, Ceremonien, und Antiqvitäten“ damit gedient sein. Die eigentliche Intention zur Errichtung der Lehrsynagoge habe laut Wallich jedoch darin bestanden, den Studierenden „alle Jüdische Aberglauben mit sehenden Augen gantz klar“ begreiflich zu machen. Die mit einer solchen Wortwahl vollzogene Abwertung und Diffamierung des jüdischen Glaubens diente der eigenen religiösen Selbstvergewisserung und Verteidigung und war, wie Antijudaismus und frühneuzeitlicher Antisemitismus, in der lutherischen Kirche jener Zeit weitverbreitet.

Nach dem Tod Mayers wurde die Lehrsynagoge, die zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr vollständig war, während einer medienwirksamen Versteigerung im Jahr 1716 in Berlin für die Universitätsbibliothek Leipzig erworben. Zuvor hatten sich bereits der russische Zar Peter der Große, der sächsische Kurfürst und polnische König August der Starke sowie Karl XII. von Schweden dafür interessiert. Die Greifswalder Lehrsynagoge ist allerdings nicht in Leipzig geblieben. Sie wurde nach Dresden überführt, nachdem eine Kopie für die Universitätsbibliothek Leipzig erstellt worden war. August der Starke hatte bereits 1717 sein Interesse an der Synagoge gegenüber der Universität bekundet. In Dresden gehörte sie zusammen mit den Modellen des salomonischen Tempels und der Stiftshütte zum sogenannten Juden-Cabinet im Wallpavillion des Zwingers.

Die Lehrsynagoge

kommt in den Dresdner Zwinger

Für Michael Korey handelt es sich bei dem Juden-Cabinet im Wallpavillion des Zwingers um „das erste, einer breiten Öffentlichkeit zugängliche jüdische Museum der Welt“ (Korey, S. 20), das etwa 150 Jahre vor der üblichen Datierung einer solchen Institution im eigentlichen Sinn, dem 1895 in Wien eröffneten Jüdischen Museum, entstand. Zu den Ausstellungsobjekten in Dresden gehörten ebenso die Figur eines Rabbiners in Lebensgröße und Kultgegenstände wie Amulette, ein Widderhorn (Schofar), ein Beschneidungsmesser, Ehe- und Scheidungsverträge, aber auch eine Thora und eine Esther-Rolle. Des Weiteren war der Jude Isaac Löbel über mehrere Jahrzehnte als ehrenamtlicher Kurator tätig. Noch im Jahr 1800 schwärmte der zwölfjährige Arthur Schopenhauer während einer Dresdenreise mit seinen Eltern in einem Tagebucheintrag über den Besuch des Juden-Cabinets.

Die Kopie der Lehrsynagoge im Besitz der Universitätsbibliothek Leipzig wurde sogar erweitert und vor Ort als „Meyerische Judenschule“ bezeichnet. Sie war über Jahrzehnte in der im Paulinerkloster ansässigen Universitätsbibliothek untergebracht und für Besucher öffentlich zugänglich. An der Rekonstruktion der einst von Christoph Wallich in Greifswald entworfenen Ausstattung konnte sich dieser auch wieder in Leipzig beteiligen. Im Jahr 1722 ist sein Aufenthalt in Leipzig nachweisbar. Im Sommersemester 1724 bekam Wallich ein Honorar von 43 Reichstalern für die Erstellung zeremonieller Texte der Juden, um so die Synagoge zu vervollkommnen. Zusätzlich erhielt er von der Leipziger Ratsbibliothek den Auftrag zur Anfertigung weiterer jüdischer Handschriften.

Die Reproduktion der Mayerischen Lehrsynagoge wurde in den Räumlichkeiten des Paulinums untergebracht und erweitert.

Verbindung nach Gotha

Durch einen Brief, den Wallich 1726 an den Gothaer Kirchenrat und Vizepräsidenten des Oberkonsistoriums Ernst Salomon Cyprian schrieb, ist bekannt, um welche Handschriften es sich dabei handelte, nämlich um die „Sepher-Thora“ (einer handgeschriebenen Kopie der Thora), dem „Haphtaroth“ (Lesungen aus den Prophetenbüchern), „Schem hamphorasch“ (der voll ausgeschriebene Gottesname) und einer „Megilloth Esther“ (Buch Esther). Eben diese Stücke hatte er für den Leipziger Rat der Stadt „in einer Extra Zierlichkeit, […], geschrieben, wovon, der vor kurtzer Zeit hier durch, u. nach Warschau Passirter Frantzöscher Ambassadeur, selbst gestehen müssen, daß seinen König solche vortreffliche Stücke, in seiner Bibliothec fehleten.“ (Brief Wallich an Cyprian)

Wallich, der in diesem Schreiben vergeblich anbot, für die Bibliothek des Landesherrn von Sachsen-Gotha-Altenburg ebenfalls eine Synagoge und hebräische Handschriften anfertigen zu können, berichtete zu Leipzig noch Weiteres von Interesse. Demnach habe er in Leipzig für den Magister Andreas Winckler (1684–1742), Senior des donnerstägigen Großen Prediger-Collegii, im Jahr 1724 ebenfalls eine Synagoge errichtet.

Möglicherweise ist mit dieser sogar die Kopie aus der Universitätsbibliothek gemeint. Laut dem im 18. Jahrhundert in Leipzig herausgegebenen Zedlers Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste galt Winckler als Liebhaber und Kenner der „orientalischen“ Sprachen und Sammler jüdischer und rabbinischer Bücher sowie Handschriften. Seine Liebe zu den „jüdischen Wissenschaften“ ging so weit, „daß er sich nicht nur viele jüdische Gebete zu seinem eigenen Vergnügen schreiben, sondern auch eine so genannte Jüdische Thora mit allen Zugehör und Kostbarkeiten verfertigen ließ, welche hernach der höchstseelige König von Pohlen, Friedrich August der Andere, an sich gekaufft, und ihr in Dero Königl. Bibliotheck zu Dresden einen Platz vergönnet.“ (Zedler, Sp. 489–491.)

Christoph Wallich hielt sich später in Dresden auf. Vermutlich ist er der ursprünglichen Greifswalder Lehrsynagoge von Leipzig nach Dresden gefolgt. Dort unterrichtete er offensichtlich die hebräische Sprache. Am 21. Dezember 1743 wurde der 71-Jährige auf dem Johannesfriedhof bestattet. Die Spur der Leipziger Lehrsynagoge verliert sich im 19. Jahrhundert. Ihre Geschichte zeigt dennoch den Spannungsbogen von akademischer Auseinandersetzung mit dem Judentum und der jüdischen Religion, die neben religiöser Selbstvergewisserung, missionarischen Absichten sowie Antijudaismus und Antisemitismus auch von Kuriosität und Neugier am Judentum als dem „Anderen“ geprägt war.

Zur Autorin

Anke Költsch hat sich intensiv mit der Geschichte von Juden, die im 17. und 18. Jahrhundert zur lutherischen Kirche konvertierten, mit christlichen Missionsbemühungen unter Juden in der Frühen Neuzeit und mit den Verbindungen von akademischen Interessen an jüdischer Geschichte und Religion beschäftigt. Sie wirkte bereits sowohl an der Ausstellung Leipziger Judentümer in Stadt und Universität, die 2010 in der Bibliotheca Albertina gezeigt wurde, als auch an dem begleitenden Katalog mit. Wir freuen uns, sie für einen Einblick in dieses Kapitel der Bibliotheksgeschichte gewonnen zu haben.

Literatur

Christfried Böttrich, Thomas K. Kuhn und Daniel Stein Kokin: Die Greifswalder Lehrsynagoge Johann Friedrich Mayers. Ein Beispiel christlicher Rezeption des Judentums im 18. Jahrhundert, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2016.

Yaacov Deutsch: Judaism in Christian Eyes. Ethnographic Descriptions of Jews and Judaism in Early Modern Europe, Oxford: Oxford University Press, 2012.

Thomas Döring: „Leipzigs Bibliotheken“, in: Thomas Döring und Cecilie Hollberg, unter Mitarbeit von Tobias U. Müller (Hg.): Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften, Dresden: Sandstein, 2009, S. 130–137.

Andreas Grote (Hg.): Macrocosmos in Microcosmos. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450–1800, Opladen: Leske und Budrich, 1994.

Anke Költsch: Konversion und Integration. Konversionen vom Judentum zum lutherischen Christentum im frühneuzeitlichen Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg, Berlin: De Gruyter, 2021.

Michael Korey: „Der Tempel Salomonis und das Juden-Cabinet im Dresdner Zwinger. Eine Spurensuche“, in: Michael Korey und Thomas Ketelsen (Hg.): Fragmente der Erinnerung. Der Tempel Salomonis im Dresdner Zwinger, Berlin/München: Dt. Kunstverl., 2010, S. 12–25.

Quellen

Christoph Wallich: […] Oder die Mayerische SYNAGOGA in Greiffswalde, Zum Nutzen der studirenden Jugend aufgerichtet, Worinnen die dazu gehörige Jüdische Gebeter samt ihrem Geräthe zu finden. Aus denen Rabbinen deutlich vergestellet, Und mit einer Vorrede Des hochberühmten Theologi BRANDANI HENR. GEBHARDI, Doctoris und P.P.O. zu Greiffswald, Mit einem Curieusen Anhang vermehret, Zum drittenmahl aufgeleget und heraus gegeben von Christoph Wallich, J. C., Braunschweig: Keßler, 1715.

Brief von Christoph Wallich an Ernst Salomon Cyprian, Leipzig, 29. August 1726, in: Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Nachlass Ernst Salomon Cyprian, Chart. A 430, Bl. 600r–601v.

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