Seit einigen Jahren wird an der Universitätsbibliothek Leipzig eine Technologie eingesetzt, die für die Darstellung von digitalen Bildern durchaus als kleine Revolution zu betrachten ist. IIIF (sprich Triple-I-F) steht für International Image Interoperability Framework, eine Technologie, um digitalisierte Werke interoperabel und maschinenverarbeitbar über Webschnittstellen verfügbar zu machen. Eine etwas detailliertere Einführung in die technischen Details hinter IIIF wurde von uns schon in einem vorherigen Beitrag gegeben. IIIF in Verbindung mit dem Mirador-Viewer kommt bereits innerhalb der Digitalen Sammlungen an der Universitätsbibliothek Leipzig zum Einsatz, hier besonders für die Präsentation der Altbestände, wie beispielsweise für mittelalterliche Handschriften oder für Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17).
1. Ein Beispiel: Die Präsentation mittelalterlicher Handschriften mittels IIIF
Die Universitätsbibliothek Leipzig arbeitet sukzessive daran, ihren Bestand von ca. 3.000 mittelalterlichen Handschriften möglichst vollständig zu digitalisieren. In den letzten Jahren konnten hierfür in beträchtlichem Umfang auch Gelder des Landesdigitalisierungsprogramms Sachsens eingesetzt werden.
Unmittelbar nach der Digitalisierung der Handschriften werden die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angefertigten und qualitätsgesicherten Images über Kitodo in IIIF-fähige Präsentationen überführt. Damit stehen sie umgehend für alle Nutzerinnen und Nutzer weltweit frei zur Verfügung. Auf der UB-Website sind jeweils die 20 zuletzt fertiggestellten Digitalisate für jeden sichtbar. Die digitalisierten mittelalterlichen Handschriften werden darüber hinaus auf einer eigenen Website im Überblick nachgewiesen, solange der Gesamtauftritt der Digitalen Sammlungen der UBL noch in Arbeit ist.
Forschende im Bereich Handschriften standen bisher häufig vor Problemen, die sich mit den konventionellen Darstellungsmöglichkeiten von Digitalisaten nicht lösen ließen. So kommt es z. B. vor, dass mehrere Handschriften, d. h. schriftliche Überlieferungszeugen desselben Textes, an verschiedenen Bibliotheken und damit an ganz unterschiedlichen Orten im Internet vorgehalten werden und diese nicht ohne Weiteres für einen Vergleich nebeneinander auf einem Bildschirm darstellbar sind. Durch die Nutzung von IIIF und eines IIIF-Bildbetrachters wie Mirador ist es nun aber möglich, sich mehrere dieser Überlieferungsträger ohne Aufwand parallel anzeigen zu lassen. Es gibt hier keinerlei Grenzen, theoretisch könnten wir uns auch 20 oder 30 Handschriften auf einem Bildschirm anzeigen lassen, sofern dieser nur groß genug ist.
Aber nicht nur in Sachen Text- und Lesartenvergleich, sondern auch für Recherchen und Vergleiche im Bereich der Paläographie (Schriftkunde) sowie der Buchmalerei bietet die ortsunabhängige und institutionenübergreifende Digitalisatpräsentation durch IIIF der Forschung ganz neue Möglichkeiten und einen bisher (fast) ungeahnten Komfort.
Ein weiteres, vereinzelt vorkommendes Szenario sind sogenannte Codices discissi, also zerstreute Reste einer gemeinsamen Ursprungshandschrift, die nun an verschiedenen Einrichtungen aufbewahrt werden. Auch hier bietet die Nutzung von IIIF Abhilfe. Wissen wir, wo diese Teile einer Handschrift überall liegen, können wir uns über die einzelnen Links die Handschrift digital zusammenfügen und als ganze unter Nutzung der IIIF-Technologie darstellen lassen. Am Beispiel des Codex Sinaiticus lässt sich dies sehr anschaulich verdeutlichen. Diese in der Mitte des 4. Jahrhunderts geschriebene und mutmaßlich älteste überlieferte vollständige Fassung des Alten und Neuen Testaments liegt verteilt an vier verschiedenen Institutionen: der British Library, der Russischen Nationalbibliothek, dem Katharinenkloster auf dem Sinai und der UB Leipzig. Unter Nutzung von IIIF lässt sich der Codex dagegen als digitales Ganzes darstellen, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer dies zwangsläufig bemerken.
2. Ein Handschriftenportal für Deutschland
Im Herbst 2018 startete ein DFG-finanziertes Infrastrukturprojekt zur Erstellung eines nationalen Web-Portals für Buchhandschriften des Mittelalters und der Neuzeit in deutschen Kultureinrichtungen. Unter Projektleitung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz wirken die UB Leipzig, die Bayerische Staatsbibliothek in München und die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel zusammen. Die UB Leipzig als zweiter großer technischer Partner neben Berlin übernimmt u. a. die Implementierung von IIIF im Handschriftenportal, wird außerdem eine dauerhafte Dienstleistung für das Hosten von IIIF entwickeln und natürlich andere Einrichtungen rund um das Thema IIIF beraten.
IIIF Outreach
Als Kick-Off-Veranstaltung für den Leipziger Projektteil fand am 15. und 16. Oktober 2018 in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ein IIIF Outreach Event statt, bei dem über die Möglichkeiten des International Image Interoperability Framework informiert und die Einsatzmöglichkeiten von IIIF im gerade entstehenden Handschriftenportal gezeigt wurden.
Neben Präsentationen der am Projekt beteiligten Institutionen war es besonders interessant zu sehen, wo überall in der Welt IIIF eingesetzt wird und wie ein solcher Einsatz praktisch aussehen kann. Régis Robineau sprach über den Einsatz von IIIF und Mirador im Biblissima-Portal, auf dem in Zusammenarbeit von zehn französischen Einrichtungen das schriftliche Kulturerbe des Mittelalters und der Renaissance zusammengetragen wird und welches bereits 13 verschiedene IIIF-Quellen vereint. Ein ähnliches Vorhaben unter der Verwendung von IIIF verfolgen die Verantwortlichen hinter e-codices, die alle mittelalterlichen und ausgewählte neuzeitliche Handschriften der Schweiz in einer virtuellen Bibliothek frei zugänglich machen. Innerhalb des internationalen Portals Fragmentarium soll eine digitale Bibliothek aufgebaut werden, die auf die Erforschung mittelalterlicher Handschriftenfragmente spezialisiert ist. Auch hier bildet IIIF die Grundlage für die Anzeige der digitalisierten Fragmente. Gedacht als soziale Plattform für Bibliotheken, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende, soll mit Hilfe von Fragmentarium wissenschaftlich an Fragmenten gearbeitet werden.
Auf eben jene interaktive Komponente soll auch bei der Entwicklung des Handschriftenportals großen Wert gelegt werden, was sich laut Robert Giel von der Berliner Staatsbibliothek, dem Handschriftenportal-Gesamtprojektleiter, in der zweiten Projektphase in der Erweiterung um Workspaces für Nutzerinnen und Nutzer niederschlagen wird, in denen eigene Forschungsdaten dokumentiert und mit anderen geteilt oder publiziert werden können. Leander Seige, der Verantwortliche für die IT-Entwicklung auf Seiten der UB Leipzig, stellte in diesem Zusammenhang die geplanten Weiterentwicklungen der Annotations- und Suchfunktionen des IIIF-Viewers Mirador und deren grafische Umsetzung vor.
Auf Seiten der UB Leipzig freuen wir uns auf die Herausforderungen, die mit der Entwicklung des Handschriftenportals und der damit verbundenen Weiterentwicklung der IIIF-Technologie auf uns zukommen werden. Sowohl Kulturerbeinstitutionen als auch Forschende können mit dem Einsatz von IIIF nur gewinnen, indem ein freier (digitaler) Zugang zu kulturell und wissenschaftlich bedeutenden Zeugnissen der Zeit ermöglicht werden soll.