Unsere Kolleginnen arbeiten beide im Bereich Bestandsentwicklung und Metadaten. Ute Weller ist in der Erwerbung von Monografien tätig und Sylke Schnabel leitet die AG Zeitschriften. Daraus erklärt sich allerdings noch nicht, weshalb wir sie gemeinsam befragt haben. Aber: Die beiden eint ein Datum – der 1. September 1982. Seit diesem Tag, also in diesem Monat seit genau vierzig Jahren, sind sie an der Universitätsbibliothek Leipzig tätig.
1. Sie arbeiten jetzt schon lange in der Bibliotheca Albertina in der Beethovenstraße. War das schon immer so, oder haben Sie vorher oder zwischendurch an anderen Standorten der Universitätsbibliothek Leipzig gearbeitet?
Ute Weller: Nach meiner Lehre 1984 habe ich bis 1990 in der ZW1 (heute Campus-Bibliothek) in der Ausleihe und im Kabinett (Sonderlesesaal) gearbeitet. Im Oktober 1990, nach meiner zweiten Babypause, habe ich dann in der Albertina in der Abteilung Geschenk (kurz und knackig auch gern nur als „Geschenk“ bezeichnet) angefangen. 1991, als die „Siemens-Welle“ anrollte, wurde ich dann im Kauf gebraucht. Seitdem bin ich eine „Käuferin“.
Sylke Schnabel: Ich habe nach meiner Ausbildung (1982–1984) zum „Bibliotheksfacharbeiter“ bis heute immer in der Bibliotheca Albertina in der Beethovenstraße gearbeitet. Innerhalb des Hauses war ich in verschiedenen Dienststellen tätig. Zuerst arbeitete ich drei Jahre in der „Titelaufnahme“ und war unter anderem verantwortlich für die Vervielfältigung der Katalogkarten (an sogenannten Org.-Automaten mittels Lochstreifen …). Unterbrochen wurde meine Tätigkeit durch das dreijährige Studium an der damaligen Fachschule für Bibliothekare an der Deutschen Nationalbibliothek hier in Leipzig. Nach dem Studium arbeitete ich kurze Zeit im Team der Auskunft und später für längere Zeit in der Dienststelle Geschenk, wo umfangreiche Schenkungen der damaligen „VW-Stiftung“ einzuarbeiten waren. Seit 1993 bin ich in der Arbeitsgruppe (AG) Zeitschriftenbearbeitung und dort seit 1996 als AG-Leiterin tätig.
2. 1990 war ein besonderes Jahr, wahrscheinlich für alle, die damals in der DDR oder in der BRD gelebt haben. Hatten die Ereignisse auch unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit und den Arbeitsalltag in unserer Bibliothek?
Ute Weller: Es war schon sehr verrückt. Keiner wusste über das neue Arbeitsrecht richtig Bescheid. Als ich im Oktober, wie gesagt, nach meiner Babypause wieder einsteigen wollte, war plötzlich keine Stelle mehr für mich da. In der ZW1 konnte ich wegen der Schichten nicht mehr arbeiten. Der für das Personal zuständige Kollege sagte mir klipp und klar ins Gesicht: „Wir haben keine Stelle für Sie. Wenn mal wieder was frei ist, melden wir uns bei Ihnen.“ Was war das denn für eine Aussage? Auf meine Frage, ob ich jetzt entlassen sei, oder ob ich mein Geld weiter bekäme, sah er mich nur fragend mit großen Augen an. Ich habe mich dann an die Kollegin vom Betriebsrat gewandt. Natürlich wurde ich weiterbeschäftigt (sonst wäre ich jetzt nicht hier). Die Anzahl der Gelder, über die wir plötzlich verfügten, war auch sehr ungewohnt. Das daraus entstandene Arbeitspensum war enorm und hatte nichts mehr mit der vermeintlichen „Gemütlichkeit“ einer Bibliothek zu tun.
Sylke Schnabel: Die Zeit um 1990 war eine ganz besondere Zeit und hatte auch Auswirkungen auf die Arbeit an der UBL … Allerdings gab es in meinem persönlichen Arbeitsalltag nicht gleich gravierende Veränderungen. Erst in den Jahren danach hat sich auch für mich viel verändert – insbesondere mit dem Wiederaufbau der Albertina …, der Erweiterung der Service-Angebote, der Zusammenlegung vieler kleiner Standort zu großen Bibliothekszentren … und ganz besonders, die Computerarbeit, die über die Jahre enorm zugenommen und das manuelle Arbeiten immer mehr abgelöst hat.
3. Während Ihrer Arbeit in der Albertina sind Sie sicher auch schon von vielen Arten von Bauarbeiten „heimgesucht“ worden, aber haben auch in Zeiten der Baufälligkeit gearbeitet. Was war das Anstrengendste, an das Sie sich erinnern?
Ute Weller: Das Anstrengendste war vielleicht die Zeit, als die Auslage für die Fachreferent*innen in die fünfte Etage ausgelagert war. Die Bücher mussten umständlich über Fahrstuhl, Baustelle und durch viele schwere Türen transportiert werden. Da wir immer mal wieder an anderen Stellen unsere Zelte bzw. Schreibtische aufstellen mussten, war es auch enorm wichtig, dass unsere Lieferanten uns finden. Damals war der Kontakt noch intensiver und persönlicher. Da wurde nix mit DHL, DPD, UPS o. Ä. geliefert (oder, wenn, dann nur sehr wenig).
Sylke Schnabel: Für mich persönlich waren insbesondere in den Jahren der Baufälligkeit vor dem Wiederaufbau der Albertina die zahlreichen Transportarbeiten sehr anstrengend. Mir fällt da gleich spontan ein, wie wir z. B. mit alten Bücherwagen umfangreiche Transportarbeiten leisten mussten. Auch die Auslagerung und Rückführung von Teilbeständen während des Wiederaufbaus der Albertina waren mit viel körperlicher Arbeit verbunden.
4. Sie haben beide Ihre berufliche Karriere noch in der DDR begonnen. Gibt es etwas, das Sie vermissen? Und was vermissen Sie nicht? Worüber sind Sie froh, dass es das nicht mehr gibt? Was ist geblieben?
Ute Weller: Ich vermisse am meisten die Kataloge. Ich habe sehr gern in ihnen herumgesucht und „herumgekrabbelt“. Am wenigsten vermisse ich den Signierdienst und die Anrufe eines recht strengen Kollegen, der dann doch noch was gefunden hatte, was man selbst nicht fand. Geblieben ist mir meine liebe Lehrkollegin und Freundin Sylke und noch eine Handvoll Kolleg*innen aus 40 Jahren Arbeitsleben.
Sylke Schnabel: Wenn ich an die DDR-Zeit zurückdenke, habe ich besonders schöne Erinnerungen an die Gemeinschaft der jungen Kolleg*innen, gefördert durch die Organisation „FDJ“. Mein Leben wurde durch die vielen schönen gemeinsamen Erlebnisse, das „füreinander da sein“ sehr positiv beeinflusst. Bis heute resultieren aus dieser Zeit Freundschaften unter dem Kolleg*innenkreis von damals … Nicht vermissen tue ich hingegen den regelmäßig stattgefundenen „Presseschau – Politunterricht“. Dank der modernen Computertechnik bin ich froh, nicht mehr den allmorgendlichen „Signierdienst“, das heißt das Bearbeiten von nationalen und internationalen Bestellscheinen, absolvieren zu müssen. Auch das tägliche Einstellen der neuen gedruckten Katalogkarten in die entsprechenden Zettelkataloge vermisse ich nicht. – Da bin ich der modernen Computertechnik von heute schon auch sehr dankbar …
5. In den vergangenen Jahrzehnten haben auch viele Betriebsausflüge, Weihnachts- und sonstige Feiern stattgefunden. Welche waren besonders gelungen? An welche erinnern Sie sich gern? Ging auch manches daneben? Das merkt man sich ja meistens besonders gut.
Ute Weller: In sehr guter Erinnerung sind mir die Weihnachtsmärchenaufführungen der Mitarbeiter*innen für die Kinder, Rentner*innen und Mitarbeiter*innen geblieben. Die Proben dafür begannen schon im Sommer. Aus dem Fundus der Oper Leipzig haben wir die Kostüme geliehen. Das war ein Mordsgaudi. Die Proben waren sehr, sehr lustig. Auch legendär waren die Wochenendausflüge der ZW1 in die Buchholzmühle (ein Uni-Objekt). Dort gab es einen sehr strengen Hausmeister. Da ist einmal eine Herdplatte noch nicht ausgeschaltet gewesen, aber der Deckel vom Herd war geschlossen. Das musste sein, sonst hätte der Hausmeister gemeckert. Aber nach einer Weile roch es verdächtig verbrannt. Auweia, da war was los! Aber außer einem angeschmorten Deckel ist nichts passiert.
Sylke Schnabel: Ja, an unsere Betriebsausflüge denke ich sehr gern zurück. Ich bin der Universität Leipzig sehr dankbar, dass wir bis heute in den Genuss kommen, einen Tag für einen Gemeinschaftsausflug freigestellt zu werden. Es ist ein „Geschenk“ mit den Kolleg*innen auch einmal privat unabhängig vom Arbeitsalltag unterwegs sein zu können und gemeinschaftliche Erlebnisse zu haben. Als besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Betriebsfest in den 80ern, zu dem die gesamte Belegschaft ins Ring-Café in Leipzig eingeladen war, einige von uns den Abend kulturell gestaltet haben und dass man in gelassener Atmosphäre verschiedene Kolleg*innen ganz anders kennenlernen konnte. Die Weihnachtsmärchen waren eine besonders schöne Tradition zu DDR-Zeiten. Auch ich kam noch in den Genuss an zwei Märchen teilnehmen zu können. Es hat viel Spaß gemacht. Neben der Aufführung für die Kinder der Mitarbeiterschaft, wurden die Märchen auch für die Mitarbeiter*innen selbst und die ehemaligen Kolleg*innen aufgeführt.
6. Als Sie in der UBL begonnen haben, hatten sich nur einige Frickel-Elektronik-Fans mit Computern beschäftigt, mittlerweile läuft (fast) alles digital und dadurch hat sich Vieles geändert. Ist Ihre Arbeit von heute überhaupt noch mit der von damals zu vergleichen?
Ute Weller: In der ZW1 wurde ja als erstes damit begonnen, für die Ausleihverbuchung den PC einzusetzen. Damals ohne Bildschirm. Man musste sich arg konzentrieren und wenn man gleich bemerkt hat, dass man sich vertippt hat, hieß es löschen und noch mal anfangen. Am nächsten Tag gab es dann entsprechende Fehlerprotokolle. Das war mühsam und manchmal zum Haareraufen. Ich habe es aber trotzdem geliebt. Niemals hätte ich damals gedacht, dass uns der Computer mal so sehr an den Schreibtisch fesseln wird. Vergleichen kann man die Arbeit von damals und heute gar nicht mehr. Viele denken immer noch, der Bibliothekarsberuf sei sooo romantisch. Wenn man dann versucht zu erklären, was wir heutzutage so machen, sind sie schnell enttäuscht.
Sylke Schnabel: Auch in meinem Arbeitsbereich, bei der Arbeit mit gedruckten Zeitschriften, erfolgen inzwischen die meisten Tätigkeiten am Computer. Nur die Arbeit an den Objekten selbst ist bis heute noch manuell.
Mein Arbeitsalltag hat sich schon sehr verändert in den letzten 40 Jahren und ist kaum noch mit den ersten Dienstjahren vergleichbar.
7. 40 Jahre – so lange halten nicht mal viele Ehen. Was mögen Sie an Ihrer UBL-Ehe und was nicht? War schon mal eine „Paartherapie“ nötig?
Ute Weller: Ich mag, dass die Arbeitszeiten sehr flexibel sind, was ja nicht immer so war. Therapie ist manchmal nötig, wie in einer langen Ehe auch. Da ist auch nicht alles eitel Sonnenschein. Wenn neue Bibliothekssysteme, Umstellungen oder auch die E-Book-Bearbeitung auf uns einprasseln, ist es nicht einfach. Eigentlich hat sich unsere Arbeit so sehr verkompliziert, dass man schon manchmal nicht mehr alles so schnell erfassen und umsetzen kann. Das ist schade, aber so ist der Lauf der Dinge. Ich hoffe persönlich, dass der Charakter unserer Albertina nicht unter der ganzen Digitalisierung leidet und wir noch recht lange ein Haus für Bücher sein dürfen.
Sylke Schnabel: Eine wirkliche Paartherapie zwischen der UB und mir war in den 40 Jahren nicht notwendig. Aber was ich ehrlich zugeben möchte ist, dass ich während meiner Lehrzeit, als „Sechzehnjährige“ beschlossen hatte, hier bleibe ich nicht lange …
Und schon sind 40 Jahre vergangen und ich bin immer noch hier. Rückblickend kommt mir die Zeit gar nicht so lange vor. Heutzutage ist es ja nicht mehr so üblich, so lange an einer Stelle zu bleiben. Auch in einem Lebenslauf klingt es nicht sehr aufregend, wenn man 40 Berufsjahre in einem Satz beschreiben kann. Trotzdem bin ich bis heute stolz und dankbar, in dieser besonders schönen Bibliothek arbeiten zu dürfen.