Die Digitalisierung der Leipziger Hochschulschriften 1949–1965
Die Universität Leipzig blickt auf eine lange Forschungstradition zurück, in der über Jahrhunderte hinweg zahlreiche Hochschulschriften entstanden, die das akademische Interesse und den Wissensstand ihrer Zeit bezeugen. Teilweise sind die Schriften unikal. Sie zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gehört zu den zahlreichen Aufgaben der Leipziger Universitätsbibliothek. Die Bestandserhaltung ist jedoch für jede Epoche vor eigene Herausforderungen gestellt. Während Holzwurm und Tintenfraß als Gefahr für mittelalterliche und frühneuzeitliche Schriften durchaus bekannt sind, sind die spezifischen Bedrohungen für jüngere Druckschriften, wie die Leipziger Dissertationen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, meist weniger geläufig.
So ist der Papierzerfall, auch Papierfraß genannt, ein ernsthaftes und weitreichendes Problem für Druckschriften spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er tritt bei Papier auf, für das in der industriellen, massenhaften Produktion Holzschliff verwendet wurde. Das Papier wird auf Grund seiner chemischen Beschaffenheit als „sauer“ bezeichnet. Noch bis Anfang der 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde säurehaltiges Papier produziert. Es wird mit der Zeit gelblich-bräunlich, brüchig und zerfällt im schlimmsten Fall bei Berührung oder Bewegung in Folge von sich auflösenden Zelluloseketten (Abbauprozess durch Säure). Die Verfahren der Entsäuerung können hier zunächst rettend wirken, verlangsamen den unaufhaltsamen Prozess allerdings nur.
Ein weiteres Problem ergibt sich bei Schriften des 20. Jahrhunderts, die mit Hilfe des maschinellen Spiritus-Umdruck-Verfahrens (Hektografie, im maschinellen Einsatz auch Ormigverfahren genannt) vervielfältigt wurden. Das Verfahren erlaubte eine einfache Reproduktion von Schriften und wurde daher rege, besonders für sogenannte Graue Literatur und Flugblätter, genutzt. In den 1990er Jahren wurde das Umdruckverfahren hingegen zunehmend von den bis heute gebräuchlichen Kopiergeräten abgelöst.
Der im Spiritus-Umdruck-Verfahren verwendete Farbstoff ist sehr lichtempfindlich. So lichtempfindlich, dass er mitunter innerhalb weniger Stunden im Tageslicht verblassen kann. Aus diesem Grund sind die in der UB Leipzig befindlichen Ormig-Kopien aus Bestandschutzgründen von der Benutzung ausgeschlossen.
Papierzerfall und Lichtempfindlichkeit gefährden auch den Bibliotheksbestand der Leipziger Dissertationen aus den ersten beiden Jahrzehnten der DDR, auch wenn nicht alle Schriften gleichermaßen davon betroffen sind. Die Bestandserhaltung ist hier dennoch vor eine große Aufgabe gestellt. Daher bemüht sich die UB Leipzig um eine nachhaltige Sicherung der Inhalte ihrer Hochschulschriften, die auch die Arbeiten der damals eigenständigen Deutschen Hochschule für Körperkultur umfassen. Zum Teil wurden die Schriften aus den früheren Jahren der damaligen Karl-Marx-Universität bereits auf Mikrofilmen und Mikrofiches gesichert.
Um neben dem Bestandsschutz auch eine bessere Zugänglichkeit zu diesen Schriften zu erreichen, wurde im Jahr 2019 ein umfassendes Digitalisierungsprojekt für die Hochschulschriften aus den früheren Jahren der DDR (1949–1965) aufgelegt, deren Inhalte bis dato noch nicht gesichert waren. Das Jahr 1965 bildet dabei aus urheberrechtlichen Gründen eine Zäsur. Titel, die vor 1966 erschienen und als vergriffen gelten, konnten bis zum Sommer 2021 als „vergriffene Werke“ digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Ab 2022 wird statt des festen Jahres 1965 eine sogenannte „moving wall“, d. h. eine zeitlich mitwandernde, rückwärtsgerichtete Digitalisierungsschranke, von 30 Jahren greifen.
Das Digitalisierungsprojekt wird durch das Landesdigitalisierungsprogramm des Freistaates Sachsen finanziell ermöglicht und an der SLUB Dresden koordiniert. Nachgewiesen sind die Bestände sowohl auf sachsen.digital, das alle über das Landesdigitalisierungsprogramm finanzierten Digitalisierungsprojekte in Sachsen versammelt, als auch im Katalog der UBL. Etwa 1.500 Dissertationen stehen so als Open-Access-Ressource bereits zur Verfügung – bis Ende 2022 sollen weitere 1.000 folgen.
Bei der Digitalisierung der Hochschulschriften, die zum großen Teil durch externe Dienstleister passiert, stehen die Digitalisierungswerkstätten immer wieder vor Herausforderungen, denn neben den konservatorischen Aspekten, sind die Originale auch mit Besonderheiten versehen, für die individuelle Lösungen gefunden werden: etwa für Faltblätter, eingeklebte Fotos oder einzelne Blätter in übergroßen Formaten. Problematisch sind auch sehr enge Bindungen, die es erforderlich machen, die Exemplare buchbinderisch aufzutrennen, da sonst der Text nicht vollständig fotografiert werden kann.
Mit dem Projekt zur Digitalisierung von Hochschulschriften dokumentiert die UB Leipzig nachhaltig die Forschung an der Universität Leipzig und gewährt einen frei zugänglichen Blick in die Universitätsgeschichte, der für Historiker*innen und Geschichtsinteressierte aufschlussreich ist. Aber auch für manche Familiengeschichte mag dies spannend sein, wenn man auf diese Weise in den Doktorarbeiten seiner (Ur-)Großeltern lesen kann.
Dieser Beitrag entstand mit der Unterstützung von P. Biedermann, H. Rösch und J. Schröter. Vielen Dank!
Die hier gezeigten Bilder stammen aus den folgenden Dissertationen:
Donner, H. (1956). Studien zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Reiche Israel und Juda.
Jentsch, W. (1949). Paideia Kyriu: Das neutestamentliche Erziehungsdenken im Rahmen seiner Umwelt.
John, H. (1950). Über den Aufbau und die Entwicklung von Kaltlufttropfen: (Untersuchungen auf der Grundlage des Vertikalwindfeldes). Leipzig.
Kimme, A. (1949). Die Begründung der christlichen Sittlichkeit beim jungen Schleiermacher und in der „Glaubenslehre“.
Lewin, G. (1963). Schwimmausbildung für Kinder im Vorschulalter: Untersuchungen über die Entwicklung von Wassersicherheit und Schwimmfähigkeit bei fünf- und sechsjährigen Vorschulkindern.
Reichert, F. (1956). Der Einfluss der Skiform auf die Richtungsänderungen in der Abfahrt.
Walther, F. (1956). Zur Kenntnis des p-Terphenyls und seiner Derivate.
Zühlke, D. (1959). Die Städte des Osterzgebirges: Historisch-geographische Untersuchungen unter besonderer Berücksichtigung von Einflußbereichen und Bedeutungsfindung kleinstädtischer Siedlungen.