Das Gerüst der Büchertürme
Wenn das Gebäude einer Bibliothek die Haut und die Bücher und Bände das Fleisch ausmachen, dann kann man mit Fug und Recht die Kataloge als das Skelett dieses Organismus bezeichnen. Sie sind das Gerüst, auf dem die Ordnung aufbaut, durch sie wird das Chaos des Wissens in geordnete Bahnen gelenkt. Der Sachkatalog unterliegt einer Systematik, die Wissensbereiche definiert, in Beziehung zueinander stellt, sie hierarchisiert. Der alphabetische Katalog listet streng die Autor*innen und ihre Werke auf und dient den kundigen Nutzer*innen als Nachweisinstrument. Informationen werden durch beide erst auffindbar und nutzbar gemacht. Die Signatur ist dann das Verbindungselement zwischen Katalog und Buch. Sie weist der Nutzer*in den Weg zum Regal und mit der Nutzung wird schließlich Leben in die Bibliothek eingehaucht.
Doch dieses Ordnungssystem ist keineswegs starr, sondern es wandelt sich und unterliegt den wissenschaftlichen Moden und Weltsichten der jeweiligen Zeit. Die Katalogarbeit selbst verlangt das ganze Können der Bibliothekar*in: Daten erfassen, einordnen, pflegen, Titel umstellen und aussondern. Ständig sind die Bestände in Bewegung – wie auch die Wissensbereiche. Durch diese Dynamiken brechen von Zeit zu Zeit alte Strukturen auf und neue Ordnungen entstehen, auch weil das Alte die Lebens- und Bibliothekswelt nicht mehr adäquat abbildet und sich die Nutzungsansprüche geändert haben. Die Einführung eines neuen Katalogs, einer neuen Systematik, ist dann ein Mittel Anpassungen vorzunehmen.
Ich möchte Sie einladen, mit mir auf eine Reise in drei Etappen durch die Geschichte der Kataloge der UB Leipzig zu gehen. Kommen Sie mit? Wir starten im Jahr 1543 mit der Bibliotheksgründung und überfliegen zunächst die Entwicklungen der ersten drei Jahrhunderte, die in einem engeren Zusammenhang mit den baulichen und räumlichen Bedingungen stehen. Im zweiten Schritt besehen wir, was im 19. Jahrhundert, in der Phase der Professionalisierung, Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Bibliotheken, geschehen ist. Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts spiegeln sich gleichsam im dritten Abschnitt der Kataloggeschichte wider, sodass wir hier das Große im Kleinen finden. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der elektronischen Kataloge werden an dieser Stelle allerdings ausgespart. Wen das interessiert, den möchte ich gern auf den Beitrag von André Lahmann verweisen. Einen weiteren und tieferen Einblick in die Bibliotheksgeschichte der UBL gibt Ulrich Johannes Schneider.
Ich danke an dieser Stelle Cordula Reuß, Thomas Thibault Döring, Ronald Böhm, Johanna Schröter sowie Ulrich Johannes Schneider für ihre Expertise, ohne die dieser Beitrag nicht zustande gekommen wäre.
Von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
Die ersten Inventarisierungs- und Katalogisierungsarbeiten der Universitätsbibliothek im ehemaligen Dominikanerkloster St. Pauli begannen mit dem ersten Leiter der Bibliothek, Rektor Caspar Borner (1492–1547, Leiter von 1543–1547). Er übernahm nach der Reformation und der damit einhergehenden Säkularisation die Bestände aus den ehemaligen Klosterbibliotheken des albertinischen Sachsens und gliederte diese ein, wodurch die Bibliothek gegründet wurde. Die Titel wurden von da an unter Angabe des Autors, des Titels, des Erscheinungsjahrs und teils des Erscheinungsortes erfasst, die Bände erhielten ein Signaturschild und wurden herkunftsunabhängig aufgestellt. Die Aufstellung erfolgte – noch ganz die mittelalterliche Universität abbildend– nach den vier Fakultäten und damaligen Leitwissenschaften Theologie, Philosophie, Medizin sowie Jura grob thematisch sortiert.
Die Ordnung der Kataloge entsprach also der physischen Aufstellung und Sichtbarkeit der Bände. Entsprechend der Aufstellung gab es vier Standortkataloge in zweifacher Ausfertigung jeweils für die Universitätsbibliothek und die Fakultät sowie ein alphabetisches Register. Die Kataloge konnten bei späteren Revisionen darüber Auskunft geben, was vorhanden sein sollte, und der Blick ins Pult (und später ins Regal) zeigen, was tatsächlich vorhanden war. Den größten Bestand machte freilich die Theologie aus. In der Jurisprudenz, deren Standortkatalog als einziger erhalten geblieben ist, gab es bspw. sechs Pulte – Pulpitum, wie sie im Katalog bezeichnet werden –, über deren genaue Größe und Beschaffenheit wir allerdings nicht viel wissen. Wie damals üblich, wurden Bände auch an die Pulte angekettet – u .a. als effektiver, aber nicht sehr nutzerfreundlicher Diebstahlschutz. Erst über 130 Jahre später sollte sich das ändern.
Der Poetikprofessor und spätere „Buchbefreier“ Joachim Feller (1638–1691), von 1675 bis 1691 mit der Leitung der Universitätsbibliothek betraut, strukturierte die Bestände wesentlich um. Dabei löste Feller die Bände von den Ketten und stellte sie in der Paulina in Repositorien in vergitterten resp. verschließbaren Schränken auf. Zudem vollzog er den nachhaltigen Schritt der Trennung von Drucken und Handschriften, wobei er letztere in einem gedruckten Katalog zunächst für die Pultaufstellung, später für die Repositorien erfasste.
Mit der neuen Aufstellung wurde ein neues Ordnungssystem eingeführt und neue Signaturen notwendig. Um die Bände weiterhin finden zu können, gab es eine Konkordanz, in der die alten Pultsignaturen in Beziehung zu den neuen Standorten gesetzt wurden. Fellers begonnene Arbeiten an einem Katalog der gedruckten Schriften wurde von ihm nicht mehr beendet, was dazu führte, dass auch 20 Jahre später die unglückliche Katalogsituation angemahnt wurde.
Der Theologe Christian Friedrich Börner (1683–1753, Leiter von 1711–1736) ließ nur gute drei Jahrzehnte nach der Aktion Fellers Regale mit Gittertüren zu sogenannten Kabinetten umstellen. Dies wurde vermutlich notwendig, weil die bis dahin eigenständigen Bestände der Kollegienhäuser, in denen einst lektoriert und disputiert wurde und in denen die Magister lebten, nun in die Bibliotheca Paulina integriert wurden.
Die damals ausschließlich männlichen Nutzer erhielten, wie Schneider schreibt, mit Tischen und Stühlen Arbeitsplätze an Fenstern und damit auch mehr Licht zum Lesen. In der „Nutzerfreundlichkeit“ stand die Universitätsbibliothek seinerzeit in Konkurrenz zur Ratsbibliothek, weswegen auch die Öffnungszeiten auf vier Stunden wöchentlich angehoben wurden. Unter Börners Führung wurde ein Zugangsbuch geführt und zudem ab 1730 ein vollständiger, nach spezifischen Themen sortierter Sachkatalog für die Druckschriften aller vier Fakultäten, zuzüglich dem Fach Geschichte angelegt, was auf die zunehmende Ausdifferenzierung der Disziplinen und Mehrung von Wissen verweist. In diesem Sachkatalog wurden das Kabinett, das Buchformat, die laufende Nummer sowie die Titelangaben (Verfasser, Titel, Ort, Jahr) aufgenommen und so die Zugänglichkeit gewährt. Schließlich umfasste der Katalog sieben Foliobände – das Folioformat entspricht in den Abmaßen etwa dem heutigen DIN-A3 – inklusive alphabetischer Indizes.
Er bildete für spätere Katalogarbeiten eine wichtige Basis und gibt Auskunft über die damalige Aufstellungssystematik. Allerdings erwies sich die Bindung des Katalogs – im Gegensatz zu einer losen Blattsammlung oder einem Zettelkatalog – in jenen Sachgebieten als unvorteilhaft, in denen viele Publikationen erworben wurden und bald kein Platz mehr vorhanden war, um sie zu verzeichnen. So war man später gezwungen jeden Freiraum auszunutzen, was zu Lasten der Übersichtlichkeit ging. Im Rahmen der Nutzerfreundlichkeit spielen mit wachsenden Beständen gute Nachweis- und Findmittel, sprich Kataloge, eine wichtige und zunehmend bedeutendere Rolle.
Ein fast tausendseitiger allerdings im Normalfall für die Nutzer unzugänglicher, handschriftlicher, alphabetischer Katalog der Druckschriften folgte 1751 mit dem Historiker Christian Gottlieb Jöcher (1694–1758, Leiter von 1742–1758), doch sind die Einträge nicht normiert, was auf das – man muss sagen – übliche Fehlen eines Regelwerks zur Erschließung deutet. Beide Kataloge blieben bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch, wurden jedoch zunehmend unsauberer, teils unvollständig gepflegt und von weiteren Katalogen unterschiedlicher Güte ergänzt. Schließlich wurde ihr Zustand abermals bemängelt und die Anlage neuer Kataloge gefordert.
Erst der Philosophieprofessor und Kustode Johann Amadeus Wendt (1783–1836) und der Bibliothekar Adolf Ebert (1791–1834) nahmen ab 1813 eine Revision und Umräumungsarbeiten vor und stellten im Zuge dessen die Titel der Kabinette neu auf. Zudem fertigten sie eigene Kataloge für die Sonderbestände an. Allerdings verließ Ebert die UBL, bevor er seine Arbeiten an einem neuen Gesamtkatalog beenden konnte, blieb aber im Austausch mit Wendt und unterstützte diesen mehr oder minder, bis auch Wendt die Universität Leipzig mit einem Ruf gen Göttingen verließ. Eine Reinschrift des alphabethischen Kataloges wurde trotz der jahrelangen Bemühungen Wendts aus diversen Gründen – u. a. monetärer Art und Unklarheiten in der Verantwortlichkeit – nicht erreicht.
Hier endet nun die erste Etappe unserer Reise. Wie wir gesehen haben, waren die Entwicklungen des Bibliothekskataloges stark vom Engagement einzelner Personen abhängig, standen im Zusammenhang mit den jeweiligen räumlichen Gegebenheiten sowie den sich ändernden Ansprüchen. Zugleich waren sie auch der allgemeinen Bestandsentwicklung geschuldet. Im erstem Drittel des 19. Jahrhunderts war die Katalogsituation der UBL allerdings insgesamt elend. Die Titel waren in den Katalogen nur leidlich recherchierbar und auch die Aufstellung war nicht nutzerfreundlich. Es bestand also dringender Handlungsbedarf.
Zum Nachlesen:
Loh, Gerhard (1981): Die Katalogisierungsarbeiten an der Universitätsbibliothek Leipzig in den Jahren 1813 – 1829. Leipzig (Kleine Schriften der Universitätsbibliothek Leipzig).
Loh, Gerhard (1987): Geschichte der Universitätsbibliothek Leipzig von 1543 bis 1832. Ein Abriss. 1. Auflage. Leipzig (Zentralblatt für Bibliothekswesen Beiheft, 96).
Schneider, Ulrich Johannes (2009): Universitätsbibliothek Leipzig. In: Ulrich von Hehl, Uwe John und Manfred Rudersdorf (Hg.): Fakultäten, Institute, zentrale Einrichtungen. 2. Halbband, Bd. 4,2. 5 Bände. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 1473–1494.
Zum Weiterlesen
Bald geht es mit der Reise weiter. Wer es nicht erwarten kann, mehr über den Katalog der UB Leipzig zu erfahren, erhält nochmals den Hinweis auf den Beitrag von André Lahmann: Dem Katalog unter die Haube geschaut.