Mit unserem heutigen Blogbeitrag möchten wir gleich in doppelter Hinsicht einen Coup landen. Einerseits geht es um FOLIO. „The Future of Libraries is Open“ ist nämlich nicht nur eine äußerst weise Aussage, sondern auch der ausgeschriebene Name eines Bibliothekssystems, das auf Open-Source-Software basiert und das wir in diesem Sommer für die Verwaltung unserer elektronischer Medien in Betrieb genommen haben. Andererseits möchten wir einen Einblick in die vielfältigen Tätigkeiten unserer Kolleg*innen geben. Deshalb haben wir Frau Schröer, Mitarbeiterin des Bereichs Digitale Dienste, und Frau Brüggemann, Leiterin der AG E-Medien, unsere sieben Fragen gestellt.
1. Die Berufsbilder in der Bibliothek diversifizieren sich immer mehr, neue Aufgaben kommen hinzu. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, in einer Bibliothek zu arbeiten und wie veränderten sich Ihre Tätigkeiten innerhalb der Universitätsbibliothek Leipzig bis zum heutigen Zeitpunkt?
KB: Bücher haben von klein auf meinen Weg begleitet, zuerst war ich treue Zuhörerin meiner vorlesenden Eltern und Großeltern; sobald ich selbst lesen konnte, habe ich alles verschlungen, was ich in die Hände bekam. Das Angebot in den Buchhandlungen war leider überschaubar damals. Jedoch wohnte meine Erzieherin zu Grundschulzeiten in dem Haus, in dem die Stadtbibliothek untergebracht war. Einen denkwürdigen Nachmittag verbrachten wir Sechsjährigen dort, wurden in die Geheimnisse der Bibliothek eingeweiht und fortan war ich als stolze Besitzerin eines Bibliotheksausweises wöchentlich dort und arbeitete mich glücklich durch die Bestände der Kinder-, Jugend- und Sachliteratur.
Nach dem Abitur fiel es mir schwer, mich auf eine Studienrichtung festzulegen, da ich alle Fächer – abgesehen von Kunst und Sport – gleichermaßen interessant und wissenswert fand. Ich verfolgte also zunächst einen allgemeinen sprachlichen Weg. Zum Ende einer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin hat mir meine Freundin dann eine Anzeige der Bayerischen Beamtenfachhochschule, die Interessenten für den Studiengang im gehobenen Bibliotheksdienst an wissenschaftlichen Bibliotheken suchte, unter die Nase gehalten. Mit dem eher naiven Gedanken „Ich habe doch schon immer gerne gelesen, in Büchern nach Wissen gesucht und kann nun an der Quelle sitzen und Wissensdurst löschen“ habe ich mich beworben.
Im Studium haben wir unter korrektester Anleitung von Hans Popst und Klaus Haller, die Bibliothekskolleg*innen als die „RAK-Päpste“ bekannt sein dürften, die Regeln für die alphabetische Katalogisierung an wissenschaftlichen Bibliotheken (RAK-WB) und die Inhalte von allgemeinen und fachlichen Bibliographien auswendig gelernt. Der riesige Bibliographienlesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek in München, in dem wir unsere Rechercheübungen gemacht haben, ist mir noch immer in ehrfürchtiger Erinnerung. Kaufmännische und IT-Themen wurden dagegen eher stiefmütterlich behandelt – wer hätte gedacht, dass das einmal mein Tagesgeschäft werden würde.
Nach dem Studium habe ich einige Jahre in freiberuflicher Tätigkeit Retrokatalogisierungsarbeiten für verschiedenste Bibliotheken übernommen und auch in meinen Anfängen an der Universitätsbibliothek Leipzig an der Zweigbibliothek Wirtschaftswissenschaften stand Katalogisierung gleichrangig neben Tätigkeiten im Servicebereich, so dass das im Studium erworbene Wissen noch stetig abgerufen werden musste. Während meiner späteren Mitarbeit als bibliothekarische Assistenz im Sondersammelgebiet (SSG) Kommunikations- und Medienwissenschaften war ich dann zum ersten Mal stärker in die Erwerbung von bibliothekarischen Ressourcen involviert.
Seit 2014 bin ich Mitarbeiterin im Open Science Office und in der AG E-Medien, beides Bereiche der Bibliothek, die in immer dichterer Folge Innovationen erleben: neue E-Journals, neue Datenbanken, neue Wege zu Open Access, Transformationsverträge, immer komplexere E-Book-Geschäftsmodelle, neue Tools zum Management der elektronischen Bestände … Mit dem, was ich vor Jahren im Studium an Fachwissen erworben habe, hat mein Bibliotheksalltag mittlerweile fast nichts mehr zu tun. Jedoch ist die Neugier und der Hunger nach Wissen, die mich damals in die Bibliothekswelt geführt haben, weiterhin ein wichtiges Rüstzeug, diesen Herausforderungen zu begegnen und stetig weiterzulernen.
AS: Wie schon Frau Brüggemann, hatte auch ich nach dem Abitur nicht direkt die Bibliothek vor Augen, sondern die Qual der Wahl. Abwechslungsreich sollte es sein, ich wollte mit unterschiedlichen Menschen zu tun haben, mich in immer wieder neue Dinge eindenken – aber das geht ja bei wahnsinnig vielen Tätigkeiten. Nach kurzer Begeisterung für den Journalismus und einem Ausflug in die Physik bin ich schließlich in Leipzig und an der HTWK gelandet, um dort im Bachelor und Master Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu studieren. Denn wie man beim näheren Hinschauen bemerkt, ist das alte Klischee der Bücher räumenden Bibliothekarin mit Dutt, Brille und erhobenem Zeigefinger nicht nur eintönig, sondern sehr unvollständig.
Das Berufsbild ist tatsächlich wahnsinnig vielfältig und schon das Studium bietet einen bunten Blumenstrauß an Einblicken in verschiedenste Bereiche: ob Vorlesungen zur Erwachsenenpädagogik, Kinder- und Jugendliteratur, Bestandserhaltung, Bibliotheksarchitektur, Datenmanagement, statistischen Erhebungen, Urheberrecht oder Öffentlichkeitsarbeit und Marketing – es wird vieles angeschnitten, das Lust auf mehr macht. Mich hat schließlich der große Themenkomplex von bibliothekarischen Daten und Systemen am meisten fasziniert und so bin ich 2014 erst mit meiner Masterarbeit zu Nutzungsstatistiken und Linked Data und dann als Systembibliothekarin im amsl-ERM-Projekt an die UB Leipzig gekommen und war dort die Schnittstelle zwischen Fachspezialist*innen und Softwareentwickler*innen.
Inzwischen koordiniere ich drei Projekte im Bereich Digitale Dienste: die FOLIO-App-Entwicklung, die viel internationalen Austausch bedeutet und in deren Rahmen wir auch die Migration von amsl zu FOLIO durchgeführt haben, das LOD-Projekt zur Publikation u. a. unserer Titel- und Servicedaten als Linked Open Data und schließlich die Leipziger Entwicklungsanteile des Kooperationsprojekts zum neuen Handschriftenportal. Dort arbeiten wir an einer zentralen Informationsplattform für mittelalterliche und neuzeitliche Buchhandschriften deutscher Sammlungen. Also ist mein Arbeitsalltag genau so, wie ich es mir gewünscht habe: bunt gemischt!
2. Was ist ein Electronic Ressource Management System und braucht jede Bibliothek ein solches System?
KB: Die klassischen Bibliotheksverwaltungssysteme sind dafür entwickelt, den im Wesentlichen geradlinigen Lebenszyklus einer gedruckten Ressource abzubilden:
Ein Buch von Verlag V wird bei Lieferant L zu einem Zeitpunkt X zum Preis Y – deutschsprachige Bücher unterliegen der Buchpreisbindung, das vereinfacht die Erwerbung zusätzlich – bestellt, geliefert, inventarisiert und steht dann am Standort O zu bestimmten Konditionen für die Nutzer*innen zu Verfügung. Nach vielen Jahren folgt gegebenenfalls die Aussonderung.
Die Erwerbung von elektronischen Ressourcen, also E-Books, E-Journals, Datenbanken, muss jedoch – zumindest in einer großen Zahl von Fällen – als Kreislauf gesehen werden, da diese Inhalte oft nicht gekauft, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum lizenziert werden. Die Erwerbung, die Verlängerung des Lizenzzeitraums, muss folglich immer wieder neu gedacht werden.
In diesem Kreislauf können wir vier Phasen erkennen. In der ersten Phase: Neuerwerbungsvorschläge und Evaluation der Produkte werden wir in der Regel von Verlagen, Agenturen, Fachreferent*innen, Angehörigen der Fakultäten und Institute, seltener von einzelnen Nutzer*innen über neu zu erwerbende elektronische Produkte informiert.
Wir prüfen als erstes die möglichen Bezugswege: als Einzeltitel beim Verlag, als Paketlösung über Agenturen, Einmalkauf oder Lizenzierung usw. Anschließend wird geprüft, ob die uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel die Erwerbung gestatten. In der Regel tagt einmal im Monat das Kompetenzteam Elektronische Medien, bestehend aus Vertreter*innen der AG E-Medien und Vertreter*innen der Fachreferent*innen, und diskutiert die in Frage kommenden Produkte. Auch negative Erwerbungsentscheidungen müssen im System dokumentiert werden können.
Positive Erwerbungsentscheidungen führen zur Versuchsphase, in der Vertragskonditionen, Zugangsbedingungen und Preise mit dem Anbieter verhandelt werden. Oft besteht die Möglichkeit, eine elektronische Ressource vor dem Kauf in einem kostenfreien Test kennenzulernen. Diese Möglichkeit und das Testfeedback müssen ebenso für spätere Argumentationen dokumentiert werden.
Ein positiver Test führt zur nächsten Phase, in der die Erwerbung mit der Unterzeichnung der Vertragstexte abgeschlossen wird und die Zahlungsbedingungen inklusive Zeitpunkt der Rechnungsstellung final geklärt werden. Im ERM-System werden die sogenannten Planpreise hinterlegt, da offizielle Rechnungen mitunter erst viele Wochen oder Monate später eingehen.
Auf den erfolgreichen Ersterwerb folgt die vierte Phase, Unterhalt und Bewertung. Das ERM-System muss aussagefähig zu allen aufkommenden Fragen von Kolleg*innen und Nutzer*innen sein, wie zum Beispiel: Darf die Ressource für die Fernleihe genutzt werden? Wo darf die Ressource genutzt werden? Auf welche Jahrgänge einer Zeitschrift haben wir Zugang und außerdem alle internen Fragen der AG E-Medien effektiv beantworten: Wer ist unser Ansprechpartner? Wann müssen wir kündigen? Wie ist die Metadatennutzung geregelt? Welche Rechte habe ich nach Vertragsende? Und ganz wichtig: Wie gut wird das Produkt genutzt? Statistiken sind ein probates Mittel für uns, um den Kreislauf wieder von vorn zu beginnen, nämlich mit der Frage: Soll ein Produkt verlängert werden und wenn ja, zu welchen Bedingungen?
Die Frage, ob alle Bibliotheken ein ERM brauchen, kann eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden. An kleinen Einrichtungen mit einer Handvoll von Verträgen ist natürlich nicht ein so mächtiges System, das auch einen hohen Pflegeaufwand von Seiten der IT erfordert, notwendig, dann erfüllen Excel-Listen oder Access-Datenbanken die beschriebenen Anforderungen in ausreichender Weise.
3. Erst amsl und nun FOLIO. Weshalb war es richtig/notwendig, das erste ERM umzubauen?
AS: amsl war ein auf vielen Ebenen interessantes, innovatives und auch mächtiges System – komplett auf Linked Data basierend, extrem flexibel und einfach anpassbar, dazu gab es sehr gute Such- und Abfragemöglichkeiten. Über mehrere kooperative Projektphasen hinweg haben wir es selbst aufgebaut, uns dabei dem Thema ERM auch fachlich überhaupt erst einmal tief angenähert und sinnvolle Workflows im Haus aufgebaut. Wir haben Dinge ausprobiert, wieder verworfen, durch andere ersetzt; das System ist gewachsen und hat am Ende nicht nur unsere, sondern die ERM-Daten von vier sächsischen Hochschulbibliotheken verwaltet und realisiert die Metadatenverwaltung in der finc-Anwendergemeinschaft.
Ganz schön viel geschafft – aber “die Amsel” war in mehrfacher Hinsicht auch ganz schön “einsam”. Zunächst unsere ERM-Daten selbst, denn das Lokalsystem Libero steht komplett separat. Print- und elektronische Medien können so nicht gemeinsam verwaltet werden. Diese Option besteht nun mit FOLIO, das ein gesamtes Lokalsystem bildet und momentan auch schon von anderen Arbeitsgruppen evaluiert wird. Es ist so modular entworfen, dass außerdem auch später neue Komponenten hinzugefügt werden können: für ein zentrales System für möglichst viele Bibliotheksdaten. Aber nicht nur unsere Daten waren quasi auf sich allein gestellt, sondern auch unsere Entwicklung. Obwohl der Code natürlich Open Source ist und nachgenutzt werden kann, gibt es außerhalb Sachsens keine amsl-Community. Wir hätten das System also allein technisch und inhaltlich zukunftsfähig halten müssen – eine herausfordernde Aufgabe. Die lebendige, internationale und sehr offene Community von FOLIO, in der Entwickler*innen und Fachexpert*innen zusammentreffen, ist einer der größten Vorteile des neuen Systems.
Die bisherige Arbeit in der FOLIO-Community hat uns in Bezug auf amsl vor allem eines deutlich gemacht: Der eigentliche und nachhaltige Wert liegt gar nicht so sehr in der Software selbst, sondern in den Arbeitsweisen und dem Verständnis von ERM, das wir in der Zeit mit amsl entwickelt haben. Dadurch konnten wir auch einen sehr wertvollen, erfahrungsbasierten Beitrag zur Entwicklung von FOLIO leisten. Und dank der migrierten Daten aus amsl starten wir mit einem gut gefüllten System. Der Umstieg auf FOLIO ist in meinen Augen genau richtige Entscheidung und eröffnet uns viele spannende Perspektiven – darauf freue ich mich!
KB: Den ausführlichen Worten von Frau Schröer kann ich nichts mehr hinzufügen, aber unterstreichen, dass wir uns bereits in guten Zeiten, in denen wir nicht unter Druck standen, auf ein neues System umsteigen zu müssen, entschieden haben, den Schritt von amsl zu FOLIO-ERM zu wagen, um mit der weltweiten Community Pionierarbeit bei der Entwicklung von FOLIO insgesamt zu leisten. Es freut uns sehr, dass die elektronischen Medien, für die von Jahr zu Jahr größere finanzielle Ressourcen verausgabt werden und deren Besonderheiten in der Vergangenheit in Systeme gepresst wurden, die für die Printwelt entworfen waren, nun Trendsetter sind.
4. Was war die größte Überraschung, die Sie während Ihrer Arbeit an der Bibliothek erlebt haben?
KB: Der Erfindungsreichtum von Verlagen bei der Gestaltung von neuen Geschäftsmodellen im Bereich Elektronische Medien und speziell im Open-Access-Segment kann durchaus überraschen, uns aber nicht nachhaltig sprachlos machen.
Überraschungen kann ich jedoch gelegentlich Bekannten bereiten, die sich meine Arbeit in der Bibliothek todlangweilig vorstellen, nach dem Motto: „Da musst du also nur die Bücher über die Theke schieben.“
AS: Die größte Überraschung, wenn ich so darüber nachdenke, habe ich eigentlich schon ganz zu Anfang meiner Zeit an der UB Leipzig erlebt. Nach noch nicht einmal einem halben Monat musste ich eines Morgens den netten Mitarbeitern an der Pforte, die über Nacht unsere Dienstschlüssel und das Haus hüten, nicht mehr meine Schlüsselnummer nennen. Mein Schlüssel lag schon bereit, als ich die Treppe erklommen hatte. Dieses phänomenale Personen- und Zahlengedächtnis der Kollegen erstaunt mich immer wieder aufs Neue.
5. In den letzten Monaten waren die meisten UB-Mitarbeiter*innen im Homeoffice. Wie waren Ihre Erfahrungen damit, was haben Sie vermisst und was fanden Sie gut?
AS: Ich habe den riesigen Vorteil, bei meinen eigentlichen Aufgaben nur auf meinen Laptop und Gespräche mit meinen Kolleg*innen angewiesen zu sein. Dank VPN und Webkonferenzen kann ich auch von zu Hause wie gewohnt arbeiten. Durch die internationale Kooperation im FOLIO-Projekt sind Zoom, BBB & Co. auch schon seit längerem tägliche Begleiter.
Das eigentliche Problem ist aber der fehlende direkte Kontakt über längere Zeit. Man kann fachliche Fragen ja super per Mail, Chat oder Telefon klären – aber man trinkt eben keinen Kaffee zusammen, das nette Gespräch in den Pausen fehlt und man sitzt auch nicht gemeinsam beim Mittag. Das vermisse ich inzwischen wirklich sehr. Ausgeglichen wird das zumindest zum Teil vom einzig wirklichen Profiteur der Corona-Krise: Delvin, 5, Golden Retriever. Er ist nun endlich (Home-)Bürohund geworden. Das war schon immer sein großer Traum und er leistet mir nun pflichtbewusst und begeistert schnarchend Gesellschaft.
KB: Auch der Löwenanteil meiner Arbeit wird – wie von Frau Schröer oben schon skizziert – in konzentrierter Stillarbeit am Rechner erledigt. Anfragen von Kolleg*innen von Nutzer*innen und Kolleg*innen erhalten wir in der Hauptsache per Mail, im Chat oder im Ticketsystem. Die vom Bereich Digitale Dienste für das Home Office zur Verfügung gestellte Virtuelle Desktopumgebung erlaubt uns nun eine fast 1:1-Sicht auf die Arbeitsplatzrechner, so dass sich alle Arbeiten hervorragend am heimischen Schreibtisch erledigen lassen und mir die Umstellung von Präsenzbüro zu Home Office überhaupt nicht schwer gefallen ist.
Für die Besprechungen in der Arbeitsgruppe, mit den Kolleg*innen in der UB Leipzig, mit Kolleg*innen aus anderen deutschen und internationalen Bibliotheken und mit Mitarbeiter*innen von Verlagen und Agenturen haben wir die unterschiedlichsten Videokonferenzsysteme kennen- und lieben gelernt. Diese erfordern mehr Disziplin als Sitzungen im Beratungsraum, es können aber oft auch Entscheidungen schneller getroffen werden.
Auch für den informellen Austausch eignen sich die oben erwähnten Videokonferenzsysteme, eine virtuelle Kaffeepause hat durchaus ihren Charme. Und ein wenig Geplauder über Messenger oder Telefon fördert ebenso das Gefühl, dass die Kolleg*innen nicht ganz aus der Welt sind.
Schwierig war das Home Office als zunächst im selben Haus der Home-Kindergarten und die Home-School untergebracht waren, seit der Auslagerung dieser Einrichtungen ist es nun nahezu perfekt. Was mir fehlt, ist der Arbeitsweg, zum einen die reine Bewegung als auch die dadurch deutlichere Trennung von Dienst und Privatleben.
6. Und wenn wir gerade bei @home sind: Wie sortieren Sie eigentlich Ihre Bücher zu Hause?
KB: Die vielfach beschworene Entschleunigung hat sich in meinem Leben bisher nicht eingestellt, ich konnte daher nach wie vor keine freien Spitzen finden, um der Bücherunordnung in meinem Haus Einhalt zu gebieten. Über alle Zimmer verteilen sich die vielen Bücher, die mein Mann – er ist auch Bibliothekar – und ich im Lauf der Jahre angesammelt haben.
Im Wohnzimmer stehen zwar die gedruckten Bände der Brockhaus-Enzyklopädie noch nebeneinander, auch Faust 1 steht neben Faust 2 und mit ein wenig Glück die Einstein-Biographie neben den Lehrbüchern zur theoretischen Physik. In den Arbeitszimmern kann aber durchaus neben dem Grundgesetz eine Darstellung zum Leben im Mittelalter stehen. Da ich auch schon immer mehr Freude hatte, das Geld in Bücher als in Regale zu investieren, haben schon lange nicht mehr alle Bücher einen Stehplatz im Regal, sondern liegen übereinander oder in Stapeln in den Zimmern der Kinder.
Kein Problem habe ich auch mit dem Aussondern von Büchern, Bücher die ich nicht mehr finde oder weggeworfen habe, hat ja im Zweifelsfall die Bibliothek sicher und auffindbar verwahrt. Entgegen meiner Arbeit mit elektronischen Medien bin ich auch mit dem E-Book-Reader bisher nicht warm geworden, sondern liege lieber mit dem „echten“ Buch in der Hand auf dem Sofa.
AS: Oh je, die Antwort wird bei mir etwas spleeniger. In einer Prüfungsphase relativ am Anfang des Studiums, als wir gerade über verschiedene Aufstellsystematiken gesprochen hatten, habe ich in einem Anflug akuter Prokrastination unsere Büchersammlung professionell sortiert: Die Belletristik alphabetisch nach Autoren und die Sach- und Fachbücher nach der Klassifikation für Allgemeinbibliotheken (KAB) die in Öffentlichen Bibliotheken in den neuen Bundesländern sehr verbreitet ist. Zuerst nur ein Ausweg, um dem Lernen zu entkommen, haben wir die Sortierung dann doch lieb gewonnen und beibehalten – ein paar Klischees darf man sich auch als Bibliothekarin leisten. Vielleicht stelle ich ja noch mal auf RVK um, wie in der UB Leipzig.
7. Als Sie sich für den Bibliotheksstudiengang immatrikuliert haben, welches genaue Bild von sich in zehn Jahren hatten Sie? Hat es sich bestätigt oder ist alles ganz anders gekommen? Und: Wie sehen die bibliothekarischen Systeme, an und mit denen Sie gerade arbeiten, in 20 Jahren aus?
KB: Nach meinem ersten Semester an der Bayerischen Beamtenfachhochschule und dem ersten Praktikum an der Universitätsbibliothek Bamberg sah ich mich als treue und gut umsorgte Beamtin des Bayerischen Staates an einer mittelgroßen Staats- oder Universitätsbibliothek in der Katalogabteilung im Akkord Titelaufnahmen nach den oben erwähnten RAK-WB erstellen. Aus der ersten Vorstellung ist gar nichts geworden und auch die zweite hat sich in Luft aufgelöst. Aber das ist sehr gut so, ich bin heute an der großen Universitätsbibliothek Leipzig, und mein Aufgabenspektrum ist abwechslungsreich und spannend und nie langweilig.
Obwohl ich keine Probleme habe, den Innovationen im Bibliothekswesen im Speziellen und in der Gesellschaft im Allgemeinen zu begegnen, fehlt mir für die Welt in 20 Jahren der visionäre Blick. Es steht zu befürchten, dass sich die jungen Kolleg*innen 2040 an FOLIO – für uns im Jahr 2020 der Inbegriff des Revolutionären – wie an etwas aus der Bibliotheks-Steinzeit erinnern werden. Ich glaube jedoch nicht, dass Frau Schröer und ich die Systeme in 20 Jahren nicht mehr verstehen werden.
AS: Das berühmte letzte Zünglein an der Waage, das für Leipzig als Studienort entschieden hat, war für mich der gerade neue eingeführte Master-Studiengang mit seiner Profilierungsmöglichkeit zu “Historischen Beständen” – das Mittelalter und damit auch alte Handschriften haben mich schon immer fasziniert. Als ich im Studium dann mit all den anderen interessanten Bereichen in einer Bibliothek konfrontiert wurde, wurde mein Bild der Zukunft immer verschwommener. Lustigerweise bin ich über das DFG-Projekt zum Handschriftenportal nun eigentlich wieder hervorragend nah an der ursprünglichen Vorstellung gelandet, wenn aus einer deutlich technischeren Perspektive als damals vermutet..
Wenn ich heute in die Zukunft schaue, sehe ich nicht gerade schärfer als damals. In meinen ersten sechs Jahren im Beruf habe ich immerhin schon allein im ERM-Bereich ein erstes System mitentwickelt, dessen produktiven Einsatz begleitet und es durch das nächste System abgelöst. Es gibt so viel mehr Bewegung in Bibliotheken, als ihre lange Existenz zuerst vermuten lässt. Ob nun Open-Access-Transformation, Open Science und Forschungsdaten, automatisierte Sacherschließung und semantische Suchen oder zusammengesetzte Digitalisate und intelligente Algorithmen zur Transkription historischer Handschriften – das Spektrum aktueller Themen und Entwicklungen ist riesig.
Ein wunderbarer Aspekt des Bibliothekslandschaft ist dabei schon immer die exzellente Vernetzung, gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit, was ja auch Grundlage von FOLIO und vieler anderer Systeme und Technologien ist, die an der UB Leipzig im Einsatz sind und entwickelt werden. Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg für Bibliothekssysteme ist: gemeinsame Open-Source-Entwicklungen, modulare und austauschbare Komponenten, große Communities und möglichst offene, auch weit über die Bibliotheken hinaus nachnutzbare Daten.
Der Weg, den Bibliotheken und ihre Systeme gehen, wird sie immer weiter voranbringen, mal gerade und mal eher gewunden. Woran genau er uns in 20 Jahren entlangführt? Ich lasse mich einfach überraschen – der Weg ist doch eigentlich das Ziel.
Die Fragen stellte Sophia Manns-Süßbrich.