„Books around the clock“
Eine 24-Stunden-Bibliothek, das ist 2008 noch immer ein Novum. Lediglich Dortmund, Karlsruhe und Konstanz als große Universitätsstädte können zu diesem Zeitpunkt mit Öffnungszeiten „around the clock“ bei Ihren Benutzerinnen und Benutzern punkten. Wobei „almost around the clock“, das trifft es wohl eher: in der Universitätsbibliothek Dortmund herrscht dann doch zwischen Samstag, 24 Uhr und Montag, acht Uhr so etwas wie Betriebsruhe. Nicht so bei der Leipziger Campus-Bibliothek. Als sie im Herbst 2009 ihren Betrieb aufnimmt, ist sie an jedem Öffnungstag rund um die Uhr geöffnet. Damit ist sie die erste 24-Stunden-Bibliothek Sachsens. Und noch immer ist sie etwas Besonderes für Studierende aller Fächer: für den Erhalt ihrer 24-Stunden-Bibliothek treten die Studierenden der Universität Leipzig wiederholt ein. Falls nötig, wie 2013, auch mit Sitzblockaden.
Die Planungen für die Campus-Bibliothek beginnen bereits 1998. Dass sie ‚erst‘ 2009 realisiert wird, hängt mit den verzögerten Planungen zum Campus der Universität Leipzig zusammen. Der Startschuss für die Umgestaltung des universitären Bibliothekssystems in Leipzig – zu dem ganz wesentlich die Realisierung der Campus-Bibliothek gehört – erfolgt 2002 mit dem Abschluss des Wiederaufbaus der Bibliotheca Albertina.
Gestaltungswille
Entstanden ist die Campus-Bibliothek aus der ehemaligen „Zweigstelle für Geistes- und Sozialwissenschaften“. Die Sanierung dieses typischen 70er-Jahre-Bibliotheksbaus – großes Magazin, wenig Freihandbestand, eine ‚klassische‘ Teilung zwischen Service, Benutzung und Verwaltung – ist dringend notwendig: das Gebäude ist weder ein angemessener Lern- noch ein schöner Aufenthaltsort. Wenig Licht und eine kaum zeitgemäße Architektur bestimmen die Atmosphäre. Und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nehmen die Veränderungen dankend an. Ihre Büros waren bis zum Umbau teils tageslichtfrei und schlecht belüftet, also Orte, „wo man dauernd krank war und nicht wusste, ob es draußen regnet oder schneit“, erzählt uns unsere Begleiterin Ute Stephan.
Die Bibliothekarin und Fachreferentin, maßgeblich an den Planungen zur Campus-Bibliothek beteiligt, kennt das Gebäude vor und nach den Umbauarbeiten. Während sie erzählt, stehen wir in der „Einflugschneise“, dem Bereich gleich hinter dem Eingang Hörsaalgebäude. Hier geht es zu „wie im Bienenstock“. Aber so viel ‚Unruhe‘ in einer Bibliothek?
„Dieser Bereich ist auch als Kommunikationsbereich deklariert“, erklärt Katharina Malkawi, die Leiterin der Bibliothek. Und, sollten die hier aufgestellten gedruckten Lehrbücher wegen des wachsenden digitalen Angebots zukünftig weniger gebraucht werden, so die Vision der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Campus-Bibliothek, könnte dieser Bereich künftig Gruppenarbeitsplätze beherbergen. Katharina Malkawi denkt dabei an „kombinierbare Geschichten, so dass man auch mal ein paar Möbel zusammenstellen kann“.
Denn eins haben die beiden Bibliothekarinnen und ihr Team bei der Arbeit in der Campus-Bibliothek gelernt: der ‚Gestaltungswille‘ der Benutzerinnen und Benutzer, so der für Datenbanken und Schulungen zuständige IT-Mitarbeiter Wulf-D. Weinitschke, sei nicht zu unterschätzen. Ebenso wie die Lücke, die manchmal zwischen tatsächlichen und angenommenen Bedürfnissen klafft. Doch der Erfolg der CB rührt nicht zuletzt von der Anpassungsbereitschaft des Bibliotheksteams. „Wir hatten am Anfang geplant, dass hier im Foyer eine große Ausleihtheke stehen sollte“, schmunzelt Ute Stephan. Im Laufe der Zeit, während der Planungen und der Bauarbeiten, wurde RFID immer mehr Thema, die Voraussetzung für die Betreibung von Ausleih- und Rückgabeautomaten. Der angedachte ‚Thekenwall‘ war dann schnell passé. „Als zusätzlichen Gag zur Ausleihtheke einen Automaten aufzustellen, das hätte nichts gebracht“, so Ute Stephan. Also wurde gleich vollumfänglich auf das automatisierte Ausleihverfahren gesetzt und die 24-Stunden-Öffnung ermöglicht. Statt einer Ausleihtheke ziert das Foyer nun ein kompakter „Service-Desk“.
Pssst!
Über das Treppenhaus, in dem zwei Studentinnen einen kleinen Imbiss einnehmen, führt uns Frau Stephan in die Lesesäle im ersten Obergeschoss. Die meisten Plätze sind besetzt, so wie fast immer, und trotzdem ist es sehr ruhig. Die klare Raumaufteilung – man sieht und wird beim Arbeiten gesehen – sorgt für eine produktive Atmosphäre.
Wer Pause machen will, findet ein Plätzchen auf Sofas und Sesseln in den Randbereichen der Lesesäle. Und, das mag bei der aufgehobenen Garderobenpflicht verwundern, es ist sauber und aufgeräumt.
Die Garderobenpflicht aufheben, das ist für manche Bibliothekarinnen und Bibliothekare gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes. Doch in der Campus-Bibliothek mussten diesbezüglich nur wenige Widerstände überwunden werden, „weil wir als neue Bibliothek aufgemacht haben“, vermutet Ute Stephan. „Das ist hier eben auch ein ganz anderer Charakter. Das hier ist eine schnelle Bibliothek, eine ‚junge‘ Bibliothek, in der viel los ist“. Und auch Katharina Malkawi freut sich: „Bis jetzt haben wir – toi toi toi – keine größeren Probleme.“ Mittlerweile wurde dies auch in anderen Standorten übernommen.
„Team Up!“
Von hier oben werfen wir einen Blick in den Lichthof, der etliche der insgesamt 550 Arbeitsplätze beherbergt und das Gebäude durch Helligkeit und Offenheit belebt. Als wir weitere Mitglieder des Teams der Campus-Bibliothek treffen, haben wir den Eindruck, dass die positive Grundstimmung, die das Gebäude besitzt, auch beim Team zu spüren ist. Kein Problem also, die Belegschaft für unsere Frage- und Antwortrunde zu mobilisieren.
Mit rund der Hälfte der insgesamt 14 Kolleginnen und Kollegen sitzen wir im Schulungsraum des 1. OG, wobei eigentlich jede unserer Fragen in eine lebhafte Diskussion um Wünsche der Studierenden und eine Verbesserung der Services mündet. „Was die Ausstattung angeht, wären neue Tischlampen an den Benutzerarbeitsplätzen toll“ überlegt Karina Rönisch. „Denn“, ergänzt Ute Stephan, „so wie sie aussehen suggerieren sie, dass sie drehbar sind. Das ist eins der nächsten Projekte, die man angehen könnte“.
Christian Ebert wünscht sich mehr Gruppenarbeitsräume. „Da übersteigt die Nachfrage wirklich krass das Angebot. Das sind grundsätzlich zu wenig.“ Dabei ist die Campus-Bibliothek der Bibliotheksstandort mit den meisten Gruppenarbeitsräumen. Wie auch sonst gilt auch hier: das Team der Campus-Bibliothek bemüht sich, die Situation zu verbessern.
Was ‚ihre‘ Bibliothek auszeichnet, darüber sind sich alle einig, ist schneller Service und ein im Vergleich zu den anderen Standorten der Universitätsbibliothek Leipzig eher ‚modernes‘ Auftreten. Darin sieht Katharina Malkawi eine Stärke. „Das ist grade, was ich so gut finde, dass wir so anders sind. Jeder kann entscheiden ob er in den goldenen Orient will oder in die ehrwürdige Albertina oder zu uns in die Campus-Bibliothek, wo es eben etwas naturwissenschaftlicher und pragmatischer zugeht“.
Fotos: Caroline Bergter, Universitätsarchiv Leipzig (Bild 3)
Text: Sebastian Kötz