Ein unvermutetes Highlight unter den griechischen Handschriften der UB Leipzig
Die Universitätsbibliothek besitzt unter ihren zahlreichen Handschriften auch viele griechische, darunter solche, die dem Weltdokumentenerbe zugeordnet sind, wie der berühmte Codex Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert (Cod. gr. 1) oder das Zeremonienbuch des byzantinischen Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos aus dem 10. Jahrhundert (Rep. I 17), das zur bedeutenden Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1442–1490) gehörte und nur in der Leipziger Handschrift vollständig erhalten ist.
Während diese Stücke häufig die Aufmerksamkeit der internationalen Wissenschaft auf sich ziehen, bleiben manche jüngere Stücke unbeachtet, obwohl sie nicht selten die Geschichte ihrer Zeit auf einzigartige Weise widerspiegeln, sei es weil sie aus der Feder bekannter Wissenschaftler stammen, von diesen gesammelt wurden oder weil sich in ihnen ganz unverhofft ein wichtiger Text verbirgt, der sonst nicht bekannt ist. Letzteres gilt für den Codex graecus 55, wie sich nun im Rahmen des mehrjährigen DFG-Projekts zur „Wissenschaftlichen Erschließung der griechischen Handschriften in der Universitätsbibliothek Leipzig“ herausstellte, das sich gerade in der Abschlussphase befindet.
Ein Handschriftenfund zu einer Vorlesung des 16. Jahrhunderts in Padua
Die Katalogisierung von Cod. gr. 55 am Handschriftenzentrum der UB Leipzig erbrachte das überraschende Ergebnis, dass es sich bei der im Jahr 1562 abgeschlossenen Handschrift nicht, wie bisher vermutet, um die späte Abschrift eines weitverbreiteten Textes des bedeutenden griechischen Mediziners Galen (2. Jh. nach Chr.) handelt, die keinerlei neue Erkenntnisse für die Textgeschichte verspricht, sondern um eine inhaltlich wie sprachlich äußerst spannende Vorlesungsmitschrift.
Sie führt uns in ein Kolleg, das Bassiano Lando, Professor für theoretische Medizin (gest. Oktober 1562), kurz vor seinem Tod an der Universität Padua hielt. Von November 1561 bis Juli 1562 lehrte er in dieser Vorlesung die Grundlagen der Medizin. Neben zahlreichen Werken Galens sind es, wie auch Cod. gr. 55 zeigt, vor allen Dingen aristotelische Texte, insbesondere die Schrift „De anima“ (Über die Seele).
Diese Abhandlung stand im Mittelpunkt der theologischen, philosophischen und medizinischen Auseinandersetzungen seiner Zeit. Diskutiert wurde einerseits das Verhältnis zur platonischen Seelenlehre, andererseits gab es verschiedene Richtungen der Aristoteliker, die sich entweder auf die spätantike Interpretation des Alexander von Aphrodisias (um 200 n. Chr.) oder auf die des Averroës (1126–1198) stützten. Während die Werke des letzteren als lateinische Übersetzungen aus dem Arabischen die Grundlage mittelalterlicher Wissenschaft gewesen waren, wurden in der Renaissance nun Aristoteles und seine hellenistischen Interpretatoren auf Griechisch gelesen.
In der Auseinandersetzung, in der es nicht zuletzt auch um die Frage der Unsterblichkeit der Seele und damit um eine der Urfragen des Christentums ging, verhärteten sich die Fronten derart, dass 1558 fast ein Sprengsatz in Bassiano Landos Hörsaal explodierte.
Wie wir sehen, enthält Cod. gr. 55 einen hochinteressanten Text, der einer ausführlichen Untersuchung wert wäre. Neben dem Inhalt bleibt aber die Frage zu klären, warum der Text fast vollständig auf Griechisch abgefasst wurde. Die Unterrichtssprache an der Universität war Latein, wobei einzelne Vorlesungen wohl auch schon auf Italienisch abgehalten wurden. Griechisch wurde in Italien seit etwa 1400 gelehrt, zunächst im Studio Fiorentino in Florenz und Pisa, später an den meisten Universitäten. Schon vor dem Fall von Konstantinopel 1453 kamen immer mehr Flüchtlinge aus den byzantinischen Gebieten nach Italien, die als Lehrer, Handschriftenschreiber, Editoren und Drucker arbeiteten.
Im 16. Jh. führte die enge Verbindung von Venedig zu den griechischen Inseln zur Gründung von griechischen Kollegien, in denen der Nachwuchs auf die Universität vorbereitet wurde. Wir wissen, dass Bassiano Lando zypriotische Studenten hatte. Verfasste einer von ihnen die Mitschrift oder hielt der Professor selbst seine Vorlesung auf Griechisch, um sich damit in die Tradition der griechischen Humanisten zu stellen? Diese Frage bleibt vorerst ungeklärt.
Mit der ‚Göttlichen Komödie‘ nach Leipzig
Wie aber kam die Handschrift nun nach Leipzig? Auch da sind wir zunächst auf Vermutungen angewiesen. Es gab in Padua eine Reihe deutscher Studenten, unter ihnen Joachim Camerarius der Jüngere (1534–1598), dessen Vater in Leipzig Griechisch lehrte. Doch so einfach ist es nicht.
Das Exlibris Ehingeri sum („Ich gehöre Ehinger“) auf dem Vorderdeckel der Handschrift führt uns zu einem Augsburger Vorbesitzer: Elias Ehinger (1573–1653), Rektor und Bibliothekar am dortigen Gymnasium St. Anna, der die Handschrift um 1627 binden ließ. Für den Einband wurde ein Blatt aus einer großformatigen Pergamenthandschrift des 14. Jahrhunderts (415 x 275 mm) wiederverwendet. Es überliefert Verse aus Gesang 8 der Göttlichen Komödie von Dante Alighieri. Der Text ist umgeben von einem ausführlichen Randkommentar in italienischer Sprache. Ein weiteres Blatt derselben Ursprungshandschrift konnte in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg identifiziert werden (Frag. rel. 9). Auch dieses Blatt war von Ehinger als Einband benutzt worden. Den beiden Handschriftenfragmenten aus Leipzig und Augsburg kommt dabei eine besondere textgeschichtliche Bedeutung zu, denn der umlaufende Erläuterungstext bezeugt einen bislang unbekannten Dante-Kommentar. Für die UB Leipzig ist das Dante-Blatt darüber hinaus die erste mittelalterliche Handschrift ihres Bestands in italienischer Sprache.
Vermutlich weil Ehinger im Dreißigjährigen Krieg aus Augsburg nach Sachsen fliehen musste, erhielt der Pergamenteinband einen unansehnlichen Schutzumschlag aus Papier, der den aufregenden Fund einer Dante-Handschrift bis in jüngste Zeit verborgen hatte. Dafür fanden sich auf ihm die Namen weiterer Vorbesitzer, die den Weg der Handschrift über Altdorf und Nürnberg nach Jena rekonstruieren lassen. In die UB Leipzig kam die Handschrift wohl mit dem Nachlass von Carl Gottlob Kühn (1754–1840; Leipzig, Universitätsbibliothek, Signatur: NL 292).
Zu Bassiano Lando: S. Ferreto, „Bassiano Lando“, in: Ereticopedia, Heretics, dissidents and inquisitors in the Mediterranean world, online unter: http://www.ereticopedia.org/bassiano-lando#toc1
Zur neueren Besitzgeschichte der Handschrift: G. von Murr, Von dem Hofmännischen Apparatus zur Ausgabe der Werke Galens, in: Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur, 4.Teil, Nürnberg 1777, S. S. 71, online unter: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10540036-1
Liebe Friederike Berger!
Warum „Bombenstimmung“ im Hörsaal?
Wer wurde denn kaputtgebombt?
„Bombenstimmung“ soll bei der japanischen kaiserlichen Kriegsmarine geherrscht haben,
als sie Pearl Harbor zerbombten.
Warum also „Bombenstimmung“ im Hörsaal und nicht >>Begeisterte Stimmung im Hörsaal<<?
Frank Deisenrieder
„In der Auseinandersetzung, in der es nicht zuletzt auch um die Frage der Unsterblichkeit der Seele und damit um eine der Urfragen des Christentums ging, verhärteten sich die Fronten derart, dass 1558 fast ein Sprengsatz in Bassiano Landos Hörsaal explodierte.“
https://www.ub.uni-kiel.de/news/Rssaktuelles/schliessung-wegen-bombenentschaerfung
Und wen wollt Ihr heute oder morgen in die Luft bomben?
Donald Trump? Barak Obama? Hillary Clinton? Robert de Niro?
Alle Demokraten? Alle Republikaner? Alle Linken? Alle Rechten?
Mit Wasserstoffbomben, Atombomben, Neutronenbomben, Phosphorbomben, bakteriologischen
Bomben, Napalmbomben, Nagelbomben, Rohrbomben, Streubomben, Briefbomben, Falschnach-richten-Bomben, Wahrheitsbomben, Eisbomben, Stinkbomben oder Sexbomben?
Wie wäre es mit „Bonbonstimmung im Hörsaal“, weil die sicher schon 1558 mit Bonbon-Bomben im Hörsaal um sich geworfen haben, wenn Stimmung war?
Frank Deisenrieder
Liebe Frau Berger,
nach dem vorstehenden Unsinn einmal dies: Das Projekt Frühneuzeitliche Ärztebriefe (www.aerztebriefe.de), das Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg (Schwerpunkt Frühe Neuzeit, Lehrstuhl Prof. Dr. Michael Stolberg) und das DFG-Projekt Opera Camerarii (wp.camerarius.de), das naheliegenderweise an Leipziger Materialien interessiert ist, freuen sich sehr über diese spannende Entdeckung. Der Titel – naja, geschenkt, vielleicht etwas sensationell. Es geht ja wohl um den Inhalt, hätte ich gedacht.
Sehr geehrte Frau Schlegelmilch,
das ist kein Unsinn! Es gab keinen Anschlag auf den Professor, sondern nur einen versuchten Anschlag. Ein versuchter Anschlag ist kein Anschlag – wenn es nicht wenigstens geknallt hat. Geknallt hat es damals nicht, also kein Anschlag, sondern Randgeschichte, die nicht für die erste Nachrichten-Überschrift, welche die wichtigste Nachrichten-Überschrift ist, taugt.
Und ja, nicht nur Frau Berger, auch ich habe mir ein kleines Wortspiel erlaubt, als gerade einige lebende Leute ermordet und in die Luft gebombt werden sollten und andere erschossen wurden.
Paradigmenwechsel: Nein, es gibt keinen Beweis dafür, daß der Professor 1558, die angebliche Bombe nicht selbst hat legen und entdecken lassen, um noch berühmter zu werden.
Frank Deisenrieder