Kontroverses bewahren: Skizzenbücher von Fischer-Art in der UB Leipzig

Am 7. März 2019 wurde in der Bibliotheca Albertina die Wechselausstellung „Studium – Reisen – Projekte. Skizzenbücher von Fischer-Art“ in Anwesenheit des Künstlers feierlich eröffnet. Wie angesichts der polarisierenden Wirkung, die Fischer-Art (nicht nur) in Leipzig hat, zu erwarten war, erhielten wir im Nachgang viele positive Reaktionen auf die Ausstellung – wurden allerdings auch wiederholt gefragt, warum die UB Leipzig den Skizzenbüchern von Fischer-Art überhaupt eine Ausstellung widmet. Als Antwort auf letztere Frage folgt an dieser Stelle die unveränderte Eröffnungsrede, die Dr. Christoph Mackert, Leiter des Handschriftenzentrums an der UB Leipzig, am 7. März gehalten hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber, sehr geehrter Michael Fischer-Art,

in Vertretung unseres Direktors, der sich gerade zu Terminen in Paris aufhält und es daher nicht schafft, kurz mal zu uns rüberzukommen, möchte ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen Ausstellungseröffnung begrüßen. Herr Schneider bedauert vielmals und lässt Sie alle grüßen!

Mit dieser Ausstellung präsentieren und würdigen wir einen ganz besonderen Neuzugang zu unserer umfangreichen Sammlung moderner Handschriften: 25 Skizzenbücher, die den künstlerischen und biographischen Werdegang Michael Fischers, aka Fischer-Art, von seinem Studienbeginn an der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst 1992 bis hin in das vergangene Jahr 2018 begleitet und dokumentiert haben.

Nach der Schenkung der 24 Skizzenbücher von Werner Tübke im Jahr 2010, die ebenfalls in einer Mischung aus Notizen und Zeichnungen ein ganzes Künstler-Panorama entwerfen, ist dies innerhalb kurzer Zeit die zweite große Bestandserweiterung im Bereich der Künstlerzeugnisse.

Ich darf sagen, wir sind außerordentlich glücklich darüber, dass sich hier eine neue, sehr attraktive Profilierung unserer Handschriftensammlung abzeichnet. Und wir sind mehr als dankbar für das neuerliche großzügige Geschenk. Lieber Herr Fischer, wir werden gut darauf aufpassen.

Gäste in der Ausstellung am Abend der Eröffnung

Nun sehe ich schon, dass einige von Ihnen tief Luft geholt und die Stirn gerunzelt haben: Darf man Fischer-Art wirklich in einem Atemzug mit Tübke nennen? Tübke gehört zum Kanon, Fischer-Art dagegen polarisiert und erhitzt die Gemüter. Darf Fischer-Art gefallen? Ist das Kunst? Es gab mehrere Personen in den letzten Monaten, die mich relativ ungläubig gefragt haben, weshalb wir uns diese Schenkung antun.

Lieber Herr Fischer, ich denke, es ist okay, wenn ich das so ungefiltert erzähle, denn ich habe Sie als einen Freund des offenen Worts kennengelernt, der es nicht schätzt, wenn um den heißen Brei herumgeredet wird.

Das Gute an der Schenkung der Skizzenbücher ist, dass sie nun aus der Sphäre der ästhetischen Debatten des Kunstbetriebs heraustreten können und in eine andere Sphäre wechseln: Sie befinden sich nun in einer Institution, die als kulturelles Archiv fungiert, als Gedächtnisinstanz, als Dokumentationszentrum.

Wir als UB Leipzig fällen keine Geschmacksurteile, sondern bewahren relevante Kulturzeugnisse für künftige Beschäftigung, wissenschaftliche Bearbeitung, Auseinandersetzung und Diskussionen.

Und wir sehen: Hier ist ein Künstler, der sehr erfolgreich ist, der nicht nur im Leipziger Stadtbild präsent ist, sondern auch zahlreiche überregionale und internationale Aufträge erhalten und ausgeführt hat. Er gehört zum relativ kleinen Kreis von HGB-Absolventen, die sich als gut nachgefragte Marke entworfen haben und eine beeindruckende Verkaufsmaschine sind. Gut also, sehr gut, dass zentrale Zeugnisse dieser Erfolgsgeschichte, die zugleich intime Einblicke erlauben, nun in öffentlichen Besitz übergehen und dort für eine künftige Aufarbeitung und eine erforschende Auseinandersetzung zur Verfügung stehen.

Seite aus dem Gästebuch der Ausstellung

Mit der Aufnahme in den Bestand der UB Leipzig öffnet sich ein Horizont für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Fischer-Art, und wir sind durchaus stolz darauf, dass mit dem Ausstellungskatalog ein erster Schritt auf diesem Weg genommen wird: Erstmals liegt nun eine Publikation vor, die die Künstlerbiographie und das Werk in einen größeren Kontext einbettet und erste wissenschaftliche Annäherungen versucht – im Übrigen sehr gut geschrieben: Ich kann den Kauf des Katalogs daher nur empfehlen (heute bei uns hier für nur 10 Euro!). Gleichzeitig bietet der Katalog und bietet die Ausstellung allen die Möglichkeit, weniger bekannte Seiten des Künstlers Fischer-Art zu entdecken und dabei sehen zu lernen, was er der Ausbildung an der HGB verdankt und was sein früh ausgebildeter Markenkern ist.

Wir, die wir die reichen Sondersammlungen dieser Bibliothek betreuen, erleben jeden Tag, welchen Gewinn wir heute aus der Akquirierung von unikalem oder rarem Material ziehen, das unsere Vorgänger in den letzten Jahrhunderten in die Bibliothek holen konnten. Darunter sind Stücke, die in ihrer Zeit hohes Renommee hatten, heute aber wenig Interesse finden, oder auch Dokumente, deren Wert erst in späteren Zeiten entdeckt wurde und die heute hoch gehandelt werden. Und wir erleben, wie schmerzlich die Lücken sind, die daraus resultieren, dass Dinge, die in ihrer Zeit als wenig aufhebenswert galten, nicht in den Bestand gelangt sind. Sich mit Sammlungsmaterial beschäftigen, es aufarbeiten und in seinen zeit- und sozialhistorischen Kontext einordnen zu dürfen, ist zum einen beglückendes Entdeckertum und zum anderen eine gute Schulung darin, bunte Vielfalt auszuhalten, gerade auch solche, die einem zunächst fremd ist – in den heutigen Zeiten eine umso schönere und notwendigere Übung.

Michael Fischer-Art und Kuratorin Laura Rosengarten

Meine Damen und Herren, die angenehmste Aufgabe, wenn man zur Eröffnung einer neuen Ausstellung hier vorne steht, ist aber das Dankesagen.

Unser vornehmster Dank gilt Michael Fischer-Art, dass er sich von seinen papierenen Wegbegleitern getrennt und sie in unsere Obhut übergeben hat.

Das wäre übrigens ohne die vorangegangene große Ausstellung zum 300-jährigen Jubiläum unserer Münzsammlung nicht passiert, denn unter den künstlerisch gestalteten Euro-Scheinen, die bei dieser Ausstellung Ende letzten Jahres gezeigt wurden und die eigens für die UB Leipzig gestaltet worden waren, befanden sich auch mehrere von Fischer-Art. Das Verdienst, diesen Kontakt hergestellt zu haben, aus dem sich dann die Schenkung der Skizzenbücher ergab, gebührt Steffen Schumann, und so sagen wir auch ihm ein herzliches Dankeschön.

Den Katalog hatte ich schon erwähnt. Er wurde verfasst von der Kuratorin dieser Ausstellung, Laura Rosengarten, die sich auf das Wagnis eingelassen hat, sachliche Annäherungen und Verstehensansätze für das kontrovers diskutierte Oeuvre von Fischer-Art und seine Künstlergeste zu erarbeiten. Frau Rosengarten, wie schön, dass Sie das getan haben. Tolles Ergebnis, tausend Dank! Als Anhang enthält der Katalog übrigens ein beschreibendes Inventar der überlassenen Skizzenbücher, das wir Lisa Totzke verdanken und das dem Katalog zusätzlichen dokumentarischen Wert verleiht.

Aber natürlich war Frau Rosengarten als Kuratorin nicht allein, unsere Ausstellungen sind immer Teamwork, bei dem ein geschlossenes Ganzes von vielen Händen und Köpfen geschaffen wird, und so danke ich vielmals der Gestalterin Katherina Triebe, die auf Fischer-Arts bunte Vielfalt in verschiedenen Medien gekonnt geantwortet hat, unserer Öffentlichkeitsarbeit mit Merle Nümann und Caroline Bergter, die den ganzen Prozess der Ausstellungswerdung und -vollendung wie immer hochengagiert begleitet und mitgestaltet haben, dem Leiter unserer Restaurierungswerkstatt Jörg Graf, der erneut kongeniale Präsentationsformen hergestellt hat, und dem Leiter unserer Digitalisierungswerkstatt Olaf Mokansky, der diese phantastischen Abbildungen für Katalog und Ausstellung in höchster Qualität per Einzelfallbehandlung produziert hat. Die Umsetzung der graphischen Entwürfe für den Ausstellungsraum hat wie immer Mediengestaltung Wiese übernommen, die englischen Übersetzungen verdanken wir Chris Abbey.

Michael Fischer-Art mit Gästen in der Ausstellung

Ein letzter, herzlicher Dank geht an das Innside Hotel, von dem das verlockende Catering gesponsert wurde, auf das Sie sich freuen können, wenn Sie die verschiedenen Reden erst einmal hinter sich gebracht haben. Damit Sie darauf nicht zu lange warten müssen, räume ich nun das Pult, übergebe an Michael Fischer-Art für sein Grußwort, und im Anschluss wird uns Laura Rosengarten als Kuratorin in die Ausstellung einführen. Viel Vergnügen dabei!

 

Die Ausstellung „Studium – Reisen – Projekte. Skizzenbücher von Fischer-Art“ ist bis zum 23. Juni 2019 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Am 28. März um 18 Uhr führt Michael Fischer-Art durch die Ausstellung. Am 16. Mai und 13. Juni, jeweils um 18 Uhr finden Führungen mit Dr. Christoph Mackert statt.

Christoph Mackert (UBL)

Dr. Christoph Mackert ist Leiter des Handschriftenzentrums an der Universitätsbibliothek Leipzig.

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