Informationsdienstleistung hinter Brombeersträuchern
Heike Fritzsche steht auf einem weiten Hof, umgeben von Grün. Ihr Arm zeigt vorbei an üppigen Sträuchern und hohen Bäumen. „Also hier geht’s sozusagen zum Park und dann kommt man, wenn man sich rechts hält, erstmal über die historische Klingerhainbrücke, und dann ist da das Elsterwehr zu sehen“, erklärt die Bibliotheksleiterin.
Sogar einen Eisvogel soll es hier geben, der auf der Jagd vom Geäst vor dem Zimmer der Bibliotheksangestellten blauschimmernd in die Kleine Luppe stürzt. Was beinah nach Naturschutzgebiet klingt, ist zum Zeitpunkt des Besuchs ein (Noch-) Uni- und Bibliotheksstandort im Leipziger Hotspot Plagwitz. An dessen Hof drängen sich Gebäude der späten 1920er Jahre, verfallene Basketballkörbe, Hecken und ein Barackenkomplex, zugewachsen mit Brombeersträuchern. Die im Bauhausstil gehaltenen Gebäude beherbergten bis 1940 eine höhere Mädchenschule.
Auch nach 1945 erfüllten sie einen schulischen Zweck, bis zum Einzug des pädagogischen Instituts Leipzig (heute die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig). Man kann sich gut vorstellen, hier in Lern- oder Arbeitspausen auf dem Hof oder dem etwas struppigen Rasen zu sitzen – der Lärm der nahen Karl-Heine-Straße ist hier kaum zu hören.
Doch die Beschaulichkeit des Standortes täuscht. Die Bibliothek Erziehungswissenschaften ist ein Beispiel dafür, wie in modernen Informationseinrichtungen angemessen auf aktuelle, stetig wachsenden Anforderungen reagiert wird. Hierzu zählen u.a. der „starke Studentenzuwachs und die damit verbundene hohe Benutzungsfrequenz in den letzten Jahren“, erklärt Heike Fritzsche. Und nicht nur die Studierenden kamen in die Bibliothek: Das Bibliotheksteam führte zusätzlich Erzieherschüler und Erzieherschülerinnen in die Benutzung ihrer Bibliothek ein. „Wir gehörten zu den Standorten mit den höchsten Ausleihzahlen. Durch die oftmals kurzfristig der UBL zur Verfügung gestellten zusätzlichen Erwerbungsmittel, die zum großen Teil an die Erziehungswissenschaften gingen, sahen wir uns immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, unseren Nutzern die Literatur optimal anzubieten.“ Hierzu zählen selbstverständlich auch der Zugang zu Datenbanken und elektronischen Medien.
Notwendiger Abschied
„Natürlich ist das auch ein bisschen mit Wehmut verbunden“, so Heike Fritzsche über den vom 21.08.2015 bis zum 07.09.2015 erfolgreich absolvierten Umzug der Bibliothek Erziehungswissenschaften ins Interim Bibliotheca Albertina. „Andererseits ist es aber auch so, wenn man sich das Gebäude anguckt, dass es Zeit wird für den Umzug. Es musste was gemacht werden.“ Silvio Reisinger sieht das genauso. „Es ist auch eine gewisse Nostalgie da, das ist ganz klar. Ich mache seit zehn Jahren das Fachreferat der Erziehungswissenschaften. Das ist nun so eine Art Abschiednehmen von einer liebgewonnenen Einrichtung. Ganz einfach ist das nicht, aber die Notwendigkeit ist ersichtlich.“
Die Notwendigkeit, das ist die Standortreduzierung im Bibliothekssystem der Uni Leipzig, mit der etliche Serviceverbesserungen möglich werden. Aber auch Baumängel und eine veraltete Einrichtung, meist außerhalb des Sichtfelds von Benutzern und Benutzerinnen. In einem Teil des Magazins – im Nebengebäude gelegen – wellt sich an manchen Stellen der Bodenbelag. Die Holzregale, auf denen derzeit noch ein Teil der rund 80.000 Bände der Bibliothek steht, stammen aus der Zeit, in der man in Bibliotheken mit Zettelkatalogen arbeitete. Sie passen hervorragend zu den gelblichen Tapeten aus DDR-Tagen. Schick: der designtechnisch nicht weit entfernte Kaffeeautomat bei den Kopierern. Er ist tatsächlich in Betrieb und, ja wirklich, er nimmt sogar Euro. Diesen pappsüßen Kakao sollte es überall an der Uni geben. Und kriegt man solche Tapeten heute noch irgendwo?
Und die Studierenden? „Es gibt Studierende, die den Standort sicher vermissen werden. Es gibt aber auch Studierende, die die langen Öffnungszeiten von Standorten wie der Bibliotheca Albertina und anderen großen Bibliotheken klar als Vorzüge benennen.“ Doch eine Bibliothek ist immer mehr als Bücherlager oder Lesesaal. Das gilt heute mehr denn je. „Es gibt viele, die uns als Einrichtung und als Mitarbeiter vermissen werden“, lächelt Frau Fritzsche. „Auch die Dozenten, grade der Mittelbau. Oft sind sie vorbei gekommen, wir haben mit ihnen gesprochen, sie haben ihre Wünsche angemeldet, wir haben die Bücher von heute auf morgen besorgt, wir konnten immer schnell reagieren. Das geht in einer kleinen Einrichtung.“ Auch wenn sich der Service insgesamt verbessert: „Die Dozenten wissen schon, dass, wenn die Bestände erstmal in die Albertina gehen, schon mehr Wege da sind.“
‚Neue‘ Wege
Die ‚neuen‘ Wege führen seit dem 21.08.2015 zunächst zum Interim Bibliotheca Albertina. Voraussichtlich 2018 führen sie dann zum Bildungswissenschaftlichen Campus in der Jahnallee, den sich die Erziehungswissenschaften mit den Bibliotheken Sportwissenschaft und weiteren Einrichtungen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät teilen werden. Trotz Umzug bleiben die fachliche und soziale Kompetenz des Teams um Heike Fritzsche und Silvio Reisinger natürlich erhalten. Das, was die Bibliothek Erziehungswissenschaften zu einer modernen Informationsdienstleisterin macht, wird es weiterhin geben: kompetente Beratung und Versorgung mit Fachliteratur und -zeitschriften, Zugang zu Datenbanken und elektronischen Medien sowie die enge Kooperation mit der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Universität Leipzig.
Und was passiert mit dem Gebäude an der Karl-Heine-Straße? Seinem ursprünglichen Zweck entsprechend wird es wieder eine Schule beherbergen: nach der Sanierung wird hier ein naturwissenschaftliches Gymnasium entstehen.
Text: Sebastian Kötz
Fotos: Caroline Bergter