Die Haarlocke der Clara Schumann

Leipzig, UB, Rep. III 15i

Ein außergewöhnlicher Bibliotheksbewohner: Die Locke von Clara Schumann

2019 steht in Leipzig schon das gesamte Jahr ganz im Zeichen der Pianistin und Komponistin Clara Schumann: Unter dem Titel CLARA19 begehen die Stadt und alle Besucher*innen den 200. Geburtstag der in Leipzig geborenen und wirkenden Musikerin.

Auch die Universitätsbibliothek Leipzig beteiligt sich mit einer Lesung aus der Korrespondenz zwischen Clara Schumann und Elisabeth und Heinrich von Herzogenberg an den Festlichkeiten. Als Veranstalterin ist die UB dafür doppelt prädestiniert: Denn sie bewahrt nicht nur verschiedene Briefe und Klavierwerke der Ausnahmekünstlerin auf (Katalog), sondern mit einer eigenen Haarlocke auch ein ganz besonderes persönliches Highlight von ihr.

Clara Schumann, carte de visite aus dem Atelier Bertha Wehnert-Beckmann, Sammlung Taut 1164

Nun ist die Haarlocke nicht von Clara Schumann persönlich übergeben und auch nicht als Einzelstück der Universitätsbibliothek vermacht worden: Die Locke ist vielmehr Teil eines musikalischen Autographen-Albums, das unter der Signatur Rep. III 15i (Leihgabe Leipziger Stadtbibliothek) in der Universitätsbibliothek aufbewahrt wird.

Das Album wurde von der Leipzigerin Adelheid Johanne Christine Dorothea Charlotte Luise Avé-Lallement (1822–1919) zusammengestellt, die als Pianistin in der lebhaften Leipziger Musikszene des 19. Jahrhunderts verkehrte. Wohl größtenteils bei Soireen lernte sie zahlreiche Musiker*innen des damaligen Leipziger Gewandhausorchesters kennen. Einige von ihnen fertigten für sie Albumblätter an und überließen sie ihr. Zwanzig von diesen Autographen vereinigte Luise Avé-Lallement in dem hier erwähnten kleinen Band. Zu den bekanntesten der im Album vertretenen Autoren zählen sicher Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert und Clara Schumann sowie Carl Ferdinand Becker. Siebzehn der zwanzig Albumblätter stammen aus den Jahren zwischen 1843 und 1845.

Auf Albumblatt Nr. 4 (fol. 1r) nun hat Clara Schumann das Lied „Der Mond kommt still gegangen“ vollständig notiert, welches sie im Juli 1842 komponiert hatte und 1843 im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel in ihrer Liedersammlung op. 13 veröffentlichte. Am unteren rechten hat Luise Avé-Lallement die oben erwähnte Haarlocke von Clara Schumann befestigt, die als Zeichen der freundschaftlichen Verbundenheit der beiden Frauen gelten dürfte.

Signatur: Leipzig, UB, Rep. III 15i (Leihgabe Leipziger Stadtbibliothek)

Das Konvolut der zwanzig Autographen wurde von Luise Avé-Lallement nach ihrem Tod der Stadtbibliothek Leipzig vermacht. 1962 kam das Album zusammen mit mehreren Autographensammlungen an die Universitätsbibliothek. Seit 1981 liegt eine Faksimile-Ausgabe des Autographen-Albums vor. 

So kurios diese Kostbarkeiten erscheinen mögen, bringt es uns diese Künstler doch näher

Dass mittlerweile nicht nur Bücher oder Zeitschriften in einer modernen Bibliothek aufbewahrt werden, sondern auch Videospiele, CDs, DVDs oder E-Books und Datenbanken zum ganz normalen Informationsangebot gehören, verwundert niemanden mehr. Eine Altbestandsbibliothek wie die Universitätsbibliothek Leipzig verwahrt außerdem zahlreiche verschiedene Materialien und historische Objekte wie Münzen, Papyri, Ostraka, Handschriften, alte Drucke oder Autographensammlungen und Nachlässe auf. Organische Nachlässe (von Autor*innen oder Künstler*innen) im Bibliotheksbestand sind jedoch eher eine Seltenheit. Von einigen wenigen Musikern verwahrt die UB Leipzig allerdings ebenfalls Haarlocken auf, darunter auch eine von Felix Mendelssohn Bartholdy (Signatur: Rep. XI 7, Nr. 4 [Leihgabe Leipziger Stadtbibliothek]). So kurios diese Kostbarkeiten erscheinen mögen, bringt es uns diese Künstler doch näher, die durch ihr Wirken wesentlich dazu beigetragen haben, dass Leipzig als Musikstadt ein derart hohes internationales Renommee hat.

Gelegenheit, die Haarlocke live zu besichtigen, gibt es am 27. November 2019 um 18 Uhr im Rahmen der Lesung „…die Wohlthat Ihrer Freundschaft empfinden…“ – Clara Schumann in Briefen an Elisabeth und Heinrich von Herzogenberg.

Beitrag von Steffen Hoffmann und Katrin Sturm


Literatur

  • Luise Avé-Lallemant, Die musikalischen Albumblätter der Luise Avé-Lallemant zu Leipzig eine Autographensammlung aus der Leipziger Universitätsbibliothek, Faksimile-Ausgabe anläßlich der Eröffnung des neuen Gewandhauses 1981 mit einem Geleitwort von Kurt Masur, Einführung und Kommentar von Christoph Hellmundt und Wolfgang Orf, Leipzig 1981 (UBL-Katalog: https://katalog.ub.uni-leipzig.de/Record/0-1097207617).
  • Thomas Fuchs; Christoph Mackert (Hrsg.), Leipziger, Eure Bücher! zwölf Kapitel zur Bestandsgeschichte der Leipziger Stadtbibliothek. Ausstellung in der Bibliotheca Albertina 18. Juni bis 28. November 2009, Leipzig 2009, hier besonders S. 200 zur Haarlocke von Felix Mendelssohn Bartholdy (UBL-Katalog: https://katalog.ub.uni-leipzig.de/Record/0-602670861).
  • Thomas Fuchs, Handschriften und Urkunden der Stadtbibliothek Leipzig in der Universitätsbibliothek Leipzig Neuzugänge nach 1838, Wiesbaden 2009, S. 71 zu Rep. III 15i [Z277] (UBL-Katalog: https://katalog.ub.uni-leipzig.de/Record/0-603716563).

Katrin Sturm

Katrin Sturm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Handschriftenzentrum an der Universitätsbibliothek Leipzig.

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