Digitales Staubwischen

Also. Doppelpunkt. Manche Sätze über Bibliotheken mag ich nicht mehr lesen – ganz vorneweg der, dass Bibliotheken Orte sind, in denen Bücher verstauben. Nun wäre es vielleicht eine interessante Frage, ob die Feinstaubbelastung in den Tiefen der Magazine der Universitätsbibliothek höher ist als etwa auf der Georg-Schumann-Straße, aber Tatsache ist doch, dass Bibliotheken heute vor allem digital sind, da findet sich der Staub eher im Serverraum.

Gestolpert bin ich kürzlich wieder über den Satz mit dem Staub in der Einleitung der sehr schönen Reihe „Bildungslücke“ des Stadtmagazins Kreuzer, in der seit einem Jahr mitunter in Vergessenheit geratene Romane vorgestellt werden, deren Handlungen in Leipzig spielen – etwa Christoph Heins „Der Tangospieler“ oder Bruno Apitz‘ „Der Regenbogen“. Im März wurde hier der Roman „Leipzig im Taumel“ – ein erotischer Briefroman von August Solomon Maurer aus dem Jahr 1799 – vorgestellt, mit dem Hinweis, dieser Titel sei nur noch antiquarisch erhältlich. Das stimmt so nicht ganz, denn der Roman ist digital und für alle Welt kostenfrei zugänglich: urn:nbn:de:bsz:14-db-id4285723677.

Wie in diesem Fall die SLUB Dresden, digitalisieren Bibliotheken weltweit in großem Umfang Bücher und stellen diese frei zugänglich zu Verfügung, wenn diese gemeinfrei, die Urheber der Werke also mindestens 70 Jahre tot sind. Wer in der Deutschen Digitalen Bibliothek, im Zentralverzeichnis Deutscher Drucke oder im Internet Archive etwa nach Johann Wolfgang von Goethe sucht, findet dort zehntausende Digitalisate von Erstausgaben, Briefen, Portraitstichen usw. – ganz ohne Staub.

Und weil Leipzig eine Stadt mit einer bedeutenden Verlagsgeschichte ist, digitalisiert die Universitätsbibliothek Leipzig derzeit tausende gemeinfreie Bücher aus Leipziger Verlagen, die zwischen 1851 und 1920 veröffentlicht wurden – von Büchern aus dem Insel-Verlag über Klassiker der Weltliteratur aus dem Rowohlt-Verlag bis hin zu Reiseführern des Baedecker-Verlags. Gefördert wird das Ganze mit Mitteln des Freistaates Sachsen; bis Jahresende werden auf diese Weise rund 10.000 Bücher Leipziger Verlage digital und weltweit frei zugänglich sein. Etwa 2.000 dieser Titel sind bereits jetzt in unserem Katalog zu finden und es werden monatlich mehr…

Aber natürlich können wir auch analog. Die UBL hat bis auf einen, alle der zwölf vorgestellten Leipzig-Romane der Kreuzer-Reihe in ihrem Bestand. Und falls davon das eine oder andere Buch aus den tiefen Tiefen unseres Magazins geholt werden muss, stauben wir es ab, bevor wir es ins Abholregal legen – versprochen.

Henriette Rösch ist Bereichsleiterin für Bestandsentwicklung und Metadaten an der Universitätsbibliothek Leipzig.

3 Kommentare

  1. Ute Stephan   •  

    Liebe Henriette,
    das ist wirklich ein schöner Beitrag, ich hab ihn mit Freude gelesen!

  2. Stefan Neumeier   •  

    Allerdings gibt es in der Campus-Bibliothek (mindestens) zwei Sachgebiete, wo die Bücher sehr wohl einstauben: nämlich in der Mathematik und in der Physik (im 1. OG). Bücher mit weißem Etikett sind auf diesen Regalbrettern rar gesät. Ausleihbar sind Bücher aus der ehemaligen Lehrbuchsammlung oder bei mehrfach vorhandenen Exemplaren oder in russischer Sprache. Selbst die uralten Aufgabensammlungen z. B. aus DDR-Zeiten sind nicht ausleihbar. Erst in letzter Zeit wird in kleinen Schritten mal dieses oder jenes Fachbuch „freigegeben“, ein Muster ist mir jedoch nicht erkennbar. Ich komme bestimmt auf ein Dutzend Hochschulbibliotheken, die ich im Leben je benutzt habe, aber eine derartig restriktive Ausleihpraxis (vielmehr: Nicht-Ausleihpraxis) wie im Fachgebiet Mathematik ist mir anderswo nicht untergekommen.

    • Malkawi   •  

      Vielen Dank für Ihren Hinweis, den Sie ja bereits in einer vorherigen Kommunikation mit uns darlegten. Das zuständige Fachreferat sieht nach Absprache mit der Fakultät eine umfassende Revision und erweiterte Ausleihbarkeit des Bestandes der Mathematik vor.

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