Die Universitätsbibliothek Leipzig ist mit der Papyrus-Ebers-Replik im National Museum of World Writing Systems in Südkorea vertreten
Beitrag von Jörg Graf und Fanny Bartholdt, Restaurierungswerkstatt Universitätsbibliothek Leipzig
Was haben eine Bibliothek und ein Museum gemeinsam? Genauer: Was haben die Universitätsbibliothek Leipzig und das National Museum of World Writing Systems in Incheon, Südkorea gemeinsam? Was so weit voneinander entfernt erscheint, wird von einem faszinierenden Objekt verbunden und schreibt damit eine ganz besondere Geschichte.
Auf der anderen Seite der Welt
In Incheon, einer Stadt in der Nähe von Seoul, befindet sich das National Museum of World Writing Systems (Baubeginn November 2019–Eröffnung Mai 2023). Es ist das erste Nationalmuseum in der rasant wachsenden Millionenstadt und befindet sich im Songdo Central Park, einer urbanen Grünanlage.
Das Konzept des Museums ist es, das Bewusstsein für die Vielfalt der Weltkulturen zu schärfen. Dieses Thema transportieren alle Ausstellungsstücke, welche die Entwicklung und den Wert der Schriftzeichen aller Kulturen in Bezug auf Kreativität, Kommunikation und Vielfalt vor Augen führen. Das Museum steht am Anfang und ist mitten im Prozess, Schriftgut aus aller Welt zusammenzutragen und die Geschichte der Schriftentwicklung zu erzählen. Ob Original oder Replik, Ankauf oder Leihgabe, historisch bedeutende Objekte oder moderne Kunst, alles wird in Schauräumen thematisch gebündelt und mit der Unterstützung moderner Medien präsentiert. Das erste Objekt, das im Neubau in eine Vitrine eingebracht wurde, war die Payrus-Ebers-Replik aus Leipzig.
Museum trifft Bibliothek
Auf der Suche nach herausragenden historischen Schriften stieß das südkoreanische Kurator*innenteam des International Museum of World Writing Systems auf den Papyrus Ebers und die neue Präsentation in der Bibliotheca Albertina. Seine Bedeutung für die Kulturgeschichte und die innovative Inszenierung knüpften unmittelbar an das Museumskonzept in Incheon an, sodass eine direkte Zusammenarbeit angefragt wurde.
Innovative Inszenierung
Zunächst verhandelte man nur über den Ankauf einer weiteren Papyrus-Ebers-Replik. Danach tauschte man sich über den Vitrinen-Prototyp aus. Als die Montierung des Papyrus in den Fokus gerückt wurde, war offensichtlich: Das Know-How der Installation liegt in den Händen des Teams der Restaurierungswerkstatt der Universitätsbibliothek Leipzig. Also folgten wir der Einladung des Museums und reisten nach Incheon, um unsere Leipziger Papyrushängung in die Welt zu tragen.
Genauso nur anders
Der gesamte Schauraum Papyrus Ebers in der Bibliotheca Albertina ist einzigartig. Er ist wesentlicher Bestandteil der Dauerausstellung im Foyer und lockt jeden Tag neugierige Besucher*innen an. Die Vitrine ist ein Prototyp und die scheinbar unsichtbare Installation – welche die Schriftrolle zum Schweben bringt – ist die Gemeinschaftsleistung des Restaurierungsteams, das Kreativität und Erfahrung zusammengetragen hat, um Material, Ausstrahlung und Technik in Einklang zu bringen.
Die Voraussetzungen in Korea wurden im Vorfeld der Reise abgestimmt, um sicher zu gehen, dass die Papyrushängung umsetzbar sein würde. Im Vergleich zur Leipziger Vitrine, wurde sie aufgrund des Ausstellungskonzepts nur einseitig einsehbar und 5,50 Meter lang gebaut. Zunächst war geplant, Anfang und Ende des Papyrus‘ einzurollen und mit Halterungen auf Podeste zu stellen. Der Abschnitt dazwischen sollte schweben wie beim Vorbild.
Erweckter Ehrgeiz
Nach unserer Ankunft im fernen Südkorea und der Inaugenscheinnahme unseres neuen Arbeitsplatzes war ein gewisser Ehrgeiz geweckt, die Installation an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen und doch noch etwas zu optimieren. Die eigens gestellte Herausforderung: Auch die eingerollten Enden des Papyrus‘ sollten schweben und auf die „störenden” Podeste wollten wir lieber verzichten. Jedoch bedeutete das auch, dass über 60 % des Gesamtgewichts die Hängekonstruktion einseitig belasten würden.
Die Erfindung einer „Schaukel” für die Enden war die Lösung. Die Schwierigkeit lag darin, dass die Papyrusrolle eine Auflage brauchte und nicht kippen durfte. Ein Papierstäbchen als Drahtführung und Standfläche sowie ein Führungsdraht bis in den Vitrinenboden waren die entscheidenden Elemente, welche in kreativer Zusammenarbeit entwickelt wurden. Die Inspiration lieferten die Trinkhalme beim täglichen Frühstück im Café um die Ecke.
Für beide Seiten wurden die Schaukeln konstruiert und die Papyrusrollen darauf zum Stehen gebracht. Der mittlere Teil wurde mit Befestigungspunkten wie in Leipzig gesichert. Die Podeste und andere Halterungen wurden obsolet und das Ziel war erreicht. Unsere Gastgeber*innen waren sofort überzeugt. Mit unserer Begeisterung für die Arbeit tauschten wir uns mit unseren Kolleg*innen im Museum über den Findungsprozess, das Ergebnis und die Details der Installation aus.
Bibliothek trifft Museum
Der Papyrus Ebers ist nun an zwei Orten auf der Welt als Replik zu sehen. An beiden ist er in ein Konzept der Wissensvermittlung eingebunden und wird durch die Leipziger Papyrushängung ideal präsentiert. Dadurch, dass Technik und Materialien der Installation in den Hintergrund treten, kann man sich voll und ganz auf das Schriftstück konzentrieren. Die Ästhetik von Schrift und Material und die Bedeutung als medizinischer Text kommen zur Geltung und ziehen Betrachter*innen in seinen Bann.
Überzeugender Gesamteindruck
Das Konzept, eine Replik so hochwertig wie ein Original dauerhaft zu präsentieren und somit jederzeit zugänglich zu machen, wurde durch das Projekt an der Universitätsbibliothek Leipzig legitimiert. Dass sich das neue Museum in Incheon sofort dafür begeistert hat, spricht dafür, dass die Bibliothek in dieser Hinsicht mit den Präsentationsformen moderner Museen mithalten kann. Konzeptuell erlangt die Replik einen hohen Stellenwert durch die Prämisse, das Original zu schützen und dennoch einen überzeugenden Gesamteindruck zu vermitteln – der ermöglicht, sich dem Papyrus anzunähern, ihn zu studieren und zu verstehen.
Alle Fotos ohne Angabe: Fanny Bartholdt