Oder: Die neue HIT Part 2
Auch wenn erst 2021 die große Reprokamera modernisiert wurde (vgl. den Blog-Beitrag vom Mai 2021), so gab und gibt es doch immer wieder technische Entwicklungen, denen wir uns nicht verschließen wollen und die vor allem helfen, wissenschaftliche Fragestellungen umfangreicher zu beantworten.
Eine dieser Entwicklungen, die in den vergangenen Jahren weltweit in Archiven und Bibliotheken bereits vereinzelt eingesetzt wurden und wird, ist die Multispektralfotografie. Zwar gibt es diese Art der Fotografie seit vielen Jahren, in der Astronomie oder auch der Meteorologie ist sie beispielsweise gar nicht wegzudenken. Im Bereich des kulturellen Erbes ist sie hingegen noch relativ selten anzutreffen. Bisher wurden vor allem UV-Lampen eingesetzt, um möglicherweise vorhandene Hinweise auf verblasste Schriften oder ausradierte Bereiche sichtbar zu machen. Systematische Untersuchungen jedoch blieben Einzelfälle.
Doch zunächst erst einmal zu einigen grundlegenden Erläuterungen: Was ist eigentlich Multispektralfotografie?
Der Bereich des für den Menschen sichtbaren Lichtes ist relativ klein. Lediglich Wellenlängen zwischen 350 und 700 Nanometern (nm) können wir mit dem Auge wahrnehmen. Die unterschiedlichen Wellenlängen interpretiert unser Gehirn als Farben. Sie reichen vom kurzwelligen Violett bis zum langwelligen Rot.
Jenseits dieses Bereiches jedoch gibt es weitere Strahlung, die dann auf der einen Seite in Richtung Ultraviolett, Röntgen- und Gammastrahlung, auf der anderen Seite in Richtung Infrarot, Mikrowellen und Radar eingeteilt wird. Für unseren Bereich der wissenschaftlichen Fotografie beschränken wir uns auf die Bereiche Ultraviolett und Infrarot.
Um Vergleichbarkeit mit Aufnahmen anderer Institutionen und Partner zu gewährleisten, findet hierbei der Charisma-Standard Anwendung. Dort wird beschrieben, welche Kombinationen aus Licht und Filtern Verwendung findet und unter welchen Bedingungen die Aufnahmen zu erstellen sind.
Technische Voraussetzungen
Für die Erstellung solcher Aufnahmen sind bestimmte technische Voraussetzungen unabdingbar.
Zum ersten benötigt man entsprechendes Licht. Wir verwenden spezielle LED-Lampen, die jeweils breitere Teilbereiche des Lichtspektrums abstrahlen: sichtbares Licht, UV-Licht und Infrarotstrahlung. Ergänzt werden diese Lampen durch passende Filter, die eine bessere Trennung der einzelnen Bereiche gewährleisten.
Zum zweiten muss die Kamera für diese erweiterten Frequenzbereiche vorbereitet sein. Herkömmliche Digitalkameras haben vor dem Sensor einen entsprechenden Sperrfilter verbaut, der zwar der Verbesserung der Wiedergabe im sichtbaren Lichtspektrum dient, die Fotografie vor allem im Infrarotbereich jedoch sehr einschränkt. Bei unserer Kamera musste dieser Sperrfilter entfernt werden. Er wird durch einen adäquaten Filter vor dem Objektiv ersetzt, so dass auch weiterhin optimale Aufnahmen im „normalen“ Lichtbereich möglich sind. Jetzt aber kann er gezielt durch andere Filter ergänzt bzw. ersetzt werden, die dann wiederum die Möglichkeiten bieten, zielgerichtet bestimmte Spektralbereiche zu isolieren.
So entstehen neben den üblichen Aufnahmen im sichtbaren Bereich jeweils Reflexionsaufnahmen mit IR- bzw. UV-Beleuchtung. Um die Differenz zwischen den verschiedenen Spektralaufnahmen zu verdeutlichen, werden anschließend sogenannte False-Color-Abbildungen errechnet. Dabei wird der Rot- bzw. Blaukanal des bei sichtbarem Licht fotografierten Bildes durch den jeweiligen IR- bzw. UV-Kanal der Spezialaufnahme ersetzt.
Zusätzlich werden aber auch sogenannte Luminanzaufnahmen angefertigt. Das dafür bekannteste Beispiel ist der Effekt, der bei der Betrachtung von UV-Licht im sichtbaren Bereich entsteht. Man kennt das z. B. aus dem „Schwarzen Theater“ oder von der Sicherheitsprüfung bei Geldscheinen: bestimmte Materialien geben bei Einwirkung hochenergetischer kurzwelliger Strahlung selbst langwelligere Strahlung ab, Weiß kann dann strahlend blau erscheinen, andere Materialien erscheinen leuchtend grün oder rot. Ein ähnlicher Effekt tritt auch bei der Betrachtung im Infrarotbereich auf, nur ist er dort für das menschliche Auge nicht sichtbar. Für die Kamera schon.
Das Ergebnis ist ein Stapel aus insgesamt acht verschiedenen Aufnahmen, die sich entweder als Einzelaufnahmen betrachten oder als Ebenen übereinander positionieren lassen. Hier können dann verschiedene Aufnahmen miteinander verglichen, überblendet oder verrechnet werden, was weitere Forschungsmöglichkeiten eröffnet.
Aber was bringen solche Aufnahmen?
Wiederlesbarmachen von getilgten, verblassten, ausgewaschenen Textpartien
Für die wissenschaftliche Erschließung von Handschriften, Papyri oder Ostraka ist die Testlesbarkeit von entscheidender Bedeutung. Auch getilgte Textpassagen oder Besitznachweise können mittels Multispektralaufnahmen wieder lesbar gemacht werden. Vor allem Besitzeinträge können wertvolle Hinweise zur Geschichte eines Objekts enthalten: umso wichtiger ist es, sie lesen zu können.
Sichtbarmachen von Prägungen, Stempeln oder Gravuren
Einbandstempel und Prägungen aller Art können im Laufe der Zeit an Erkennbarkeit verlieren, da sie häufig direkter Nutzung und damit größerer Reibung ausgesetzt sind. Allerdings enthalten auch sie wichtige Hinweise zur Bestandsgeschichte und Herkunft des jeweiligen Objekts.
Sogenannte Griffelglossen sind bei herkömmlichem Licht nur schwer zu identifizieren, hier kann unter Umständen die Multispektralfotografie eine erhebliche Verbesserung der Erkennbarkeit liefern.
Materialanalyse
Vor allem für den Bestandsschutz ist es wichtig, empfindliche Materialien zu identifizieren. Zusätzlich zu den üblichen Verfahren kann jetzt auch über die Spektralanalyse nachgewiesen werden, ob ein Objekt spezielle zu schützende Materialien enthält.
Reproduzierbarkeit von Retuschen, Ergänzungen und Reparaturen
Retuschen, Reparaturen oder Ergänzungen, die nicht mit dem am Original vorhandenen Materialien gemacht wurden, sind durch Multispektralaufnahmen sehr leicht zu identifizieren. Das bringt zum Teil überraschende Erkenntnisse über nachträgliche Korrekturen von Texten oder gar die Zusammengehörigkeit von Fragmenten.
Natürlich können auch wir nicht alle Objekte komplett multispektral digitalisieren. Aber bei bestehenden „Verdachtsmomenten“ lohnt sich dieser besondere Blick auf das Original oft.
Und noch etwas:
Dank moderner Präsentationstechnologien sind wir (bald) in der Lage, auch den Nutzer:innen der Bibliothek das Betrachten von Multispektralaufnahmen zu ermöglichen.
Die Bilddigitalisate werden dazu über eine frei zugängliche API (kompatibel mit dem internationalen IIIF Standard) zugänglich gemacht und können in beliebige Anwendungen übernommen werden, die den IIIF-Standard unterstützen. Die freie Verwendbarkeit ist in vielen Fällen bereits durch den Status der Gemeinfreiheit historischer Materialien gesichert. Die Open Digitization Policy der UB Leipzig stellt sicher, dass die entsprechenden Kennzeichnungen den Nutzer:innen Sicherheit bei der Weiterverwendung der Daten geben.
Anwendungen wie Mirador oder Annona bieten die Möglichkeit, IIIF-kompatible Digitalisate anzuzeigen und die verschiedenen Ebenen der Multispektralfotografie bequem zugänglich zu machen. Die Nutzer:innen der Bibliothek können in der Zukunft mit solchen digitalen Angeboten selbst auf Spurensuche und historischen Werken gehen und nach unentdeckten Details forschen. Technisch Interessierte finden ein entsprechendes IIIF-Manifest derzeit unter: https://iiif.ub.uni-leipzig.de/exp/manifests/layers1/manifest.json.