Die Bibliothek als Glücksfall
Mal angenommen, man fände auf dem Dachboden ein Bild, vielleicht sogar ein Gemälde. Und die hoffende Vorahnung, dass es sich eigentlich nur um einen Picasso handeln kann, verdichtet sich. Man steht kurz vor der Entschlüsselung der Unterschrift, die der Künstler hinterlassen hat, aber es fehlt die letzte Sicherheit. Dann wäre es eine gute Idee, die Bibliothek Kunst aufzusuchen, denn dort gibt es ein Lexikon der Monogramme. Und es gibt Anja Johannsen, die Leiterin der Bibliothek, die lächelnd erklärt, dass solcherlei Nachforschungen durchaus nicht selten sind und sie gern bei der Aufklärung behilflich ist.
Die Bibliothek ist also ein Glücksfall. Aber nicht nur für mehr oder weniger kunstinteressierte Erben, sondern vor allem für Studierende und Lehrende, die sich der Kunstgeschichte verschrieben haben.
Kleine Bibliothek der großen Namen
Wir sind auf der Tour durch unsere Bibliotheken diesmal an einem der kleineren Standorte angekommen. Dabei ist klein nur im räumlichen Sinne gemeint, denn große Künstler versammeln sich hier. Hoch oben in der 5. Etage des Geschäftshauses „Wünschmanns Hof“ trifft man auf Namen wie Rembrandt, da Vinci, Van Gogh, Cranach, Monet, Renoir, Dürer und viele mehr.
Zunächst aber trifft man auf Anja Johannsen. Sie ist seit über zwölf Jahren mit der Bibliothek verbunden und kennt nicht nur ihre Leserinnen und Leser sondern auch ihren Bestand genau.
Sie führt uns direkt zu den eingangs erwähnten Künstlern, denn sie beanspruchen zu Recht den größten Raum im Gesamtbestand. Im Regal „Künstlermonographien“ stehen sie alphabetisch nebeneinander und fordern so zu Zeitensprüngen durch die Kunstgeschichte auf.
Dies gebührend gewürdigt, lädt sie zu einem Rundgang durch ihre Bibliothek ein. Zuerst fällt auf, dass man von jedem der 50 Leseplätze aus den Blick über Türme und Dächer der Leipziger Innenstadt schweifen lassen kann.
Das versöhnt etwas mit der eher zweckmäßigen Möblierung.
Große Tische sind beladen mit unterschiedlich hohen Stapeln von Kunstbänden, aufgetürmt, um sie am nächsten Tag weiter benutzen zu können. Hier begegnet uns gleich ein Vorteil der kleinen Bibliothek – vieles kann individuell geregelt werden, schließlich kennt man sich und weiß, wer welche Bücher in Gebrauch hat. Der Rundgang führt als nächstes zu einem Sammlungsbereich, der es in sich hat – dem Zeitschriftenbestand. In der Bibliothek werden nicht nur aktuelle Kunstzeitschriften sondern auch historisch wertvolle, seltene Ausgaben verwahrt.
Sie sind teilweise sogar mit Originalgrafiken ausgestattet und um uns das genauer zu zeigen, öffnet Anja Johannsen ihren Magazinraum. Diese Ausgaben sind natürlich nicht frei zugänglich, sondern werden nur auf Anforderung herausgegeben.
Beim Betreten des Magazinraumes verschlägt es uns die Sprache, denn hier werden nicht nur wertvolle Zeitschriftenausgaben aufbewahrt, hier befindet sich der eigentliche Schatz der Bibliothek Kunst, die
Thieme-Becker-Bibliothek
Wir sehen einzigartige Ausstellungsplakate, Programmzettel, Künstlermonographien und Ausstellungskataloge. Die Regale sind gefüllt mit kleinen Heftchen, Zetteln und Broschüren, aber auch größeren Katalogen und Bänden. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Thieme-Becker-Bibliothek, aufgebaut von der Redaktion des „Allgemeinen Künstlerlexikons“. Anja Johannsen erläutert uns die Zusammenhänge, die zum Besitz dieser herausragenden Sammlung führten und wir erfahren interessante Details aus der Geschichte der Bibliothek.
Sie ist bis heute eng mit dem Kunsthistorischen Institut verbunden und war sehr wechselhaft. Mehrere Umzüge, kriegsbedingte Zerstörung, räumliche Beschränkung, Umstrukturierung und Auslagerung hatten in vielen Jahrzehnten seit 1873 (Gründung des Instituts für Kunstgeschichte) ihre Spuren hinterlassen. Wertvolle Bestände waren vernichtet, aber die Bibliothek ist durch Stiftungen, Spenden und Erwerbungen auch immer wieder aufgebaut und vervollständigt worden.
Nach der Wende stieg die Studierendenzahl deutlich an und der Einzug in größere Räumlichkeiten erwies sich als notwendig. Die Wahl fiel zunächst auf ein Gebäude in der Leipziger Luppenstraße. Das lag zwar abseits vom Stadtzentrum und befand sich in einem desolaten Zustand, hatte aber einen entscheidenden Vorteil: Man konnte Tür an Tür mit der Redaktion des besagten „Allgemeinen Künstlerlexikons“ arbeiten. Deren interessante Bestände, die bei der Erarbeitung des Lexikons gesammelt wurden, waren ein unerwarteter Zugewinn. Sie konnten von Anfang an mit genutzt werden und wurden der Bibliothek später vom K.G. Saur Verlag sogar übereignet. Seitdem bewahrt die Universitätsbibliothek diese Dokumente, die vor allem überregional sehr gefragt sind.
So findet man in der Bibliothek Kunst also nicht nur die großen Namen, sondern auch gänzlich Unbekannte wie zum Beispiel den des VEB Vereinigte Grobgarnwerke Kirschau. Eine zufällige Entdeckung, die ohne Mühe zu weiteren führen könnte. Von jeder noch so kleinen Einrichtung, die mit einer Kunstausstellung brillieren wollte, findet sich möglicherweise ein Plakat in dieser einzigartigen Sammlung.
Sollte nun der Wunsch entstehen, diese Dokumente, Grafiken oder andere Abbildungen vervielfältigen zu wollen, dann muss man nicht auf den Kopierer zurückgreifen, sondern die Bibliothek beauftragt einen im Institut ansässigen Fotografen, der für qualitativ hochwertige Aufnahmen sorgt. Gerade bei Kunstaufnahmen sind detailgetreue Reproduktionen von Bedeutung und die Bibliothek ist in der glücklichen Lage, diese Service bieten zu können. Früher wurden die Aufnahmen als Dias aufbewahrt und in der damals hoch geschätzten Diathek zusammengefasst. Viele ältere Kunststudierende, die während ihrer Vorlesungen den Diaprojektor bedienen mussten, können noch heute ein Lied davon singen… Zum Glück sind diese Zeiten vorbei, denn hochauflösende Digitalisate sind jetzt angesagt.
Im Jahr 2005 zog die Bibliothek nochmals um und befindet sich nun in ihrem bisher schönsten Domizil mitten im Leipziger Stadtzentrum, im rekonstruierten „Wünschmanns Hof“. Der Architekt Georg Wünschmann schuf und bewohnte dieses prächtige Geschäftshaus, das um die Jahrhundertwende entstand.
Die damit entstandene räumliche Nähe zum Institut für Kunstgeschichte auf gleicher Etage bietet beste Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit beider Institutionen.
“Das Schöne ist, dass man hier täglich spürt, wofür man gebraucht wird und die Zusammenhänge von Lehre und Studium deutlicher werden als in einer großen Bibliothek, in der man es mit eher anonymen Studierenden und Lehrenden zu tun hat“ , erzählt uns Anja Johannsen. Allerdings ist ein entscheidender Nachteil, dass die Öffnungszeiten in einer Ein-Personen-Bibliothek nur mit hohem Aufwand zu gewährleisten sind. Hier bekommt sie zwar stundenweise Unterstützung von studentischen Hilfskräften, längere Öffnungszeiten wären aber wünschenswert und ein Zeichen der Zeit. Manche Studierende beklagen auch die Einseitigkeit des Bestandes in einer kleinen Bibliothek, denn will man in einem anderen Fach nachschlagen, muss man andere Orte aufsuchen.
Und die Antwort auf die Frage, was Anja Johannsen sich für ihre Bibliothek wünschen würde, ist dann auch mit alldem verbunden – mehr Platz, bessere Ausstattung und längere Öffnungszeiten.
Bibliothek der Künste – Visionen
Die Planungen zur Zukunft der Bibliothek werden sie da nicht enttäuschen. Die Vision heißt Bibliothek der Künste. Die Hochschulbibliotheken der HMT, der HGB und die Zweigbibliotheken Musik und Kunst schließen sich zu einer Bibliothek zusammen. Das wiederum soll als Anbau an die Bibliotheca Albertina realisiert werden, wobei natürlich eine Voraussetzung ist, dass auch die Institute für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft im Musikviertel Quartier beziehen können. Der Bauantrag wurde von den 3 Hochschulen gestellt. Bis es soweit ist, wird allerdings noch einige Zeit vergehen.
Und wer weiß, vielleicht kann Anja Johannsen irgendwann über eine gläserne Brücke von der Albertina zur HGB flanieren, um in ihre neue Bibliothek zu gelangen, die ausgestattet mit Spezialarbeitsplätzen, Gruppenarbeitsräumen und modernerer Einrichtung im 21. Jahrhundert angekommen ist.
Dann gehen auch wir wieder auf Tour und berichten.
Dass alles gibt es in Leipzig. 🙂
Ganz Toll!
Wir bearbeiten gegenwärtig Material aus der SAMMLUNG ANDERS Leipzig 1980 und werden ganz bestimmt darauf zurückkommen!
Hochachtungsvoll
Wolfgang Anders