Machsor Lipsiae – eine geheimnisvolle Handschrift mit Leuchtkraft

Blatt 184 v. Gebet zum ersten Tag des Laubhüttenfestes (Ausschnitt)

Neben der Eingangstür des Ausstellungsraums der Bibliotheca Albertina ist auf einer der großen Leuchttafeln eine Seite aus dem Machsor Lipsiae abgebildet, einer prächtig illuminierten jüdischen Gebetshandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert. Ein Machsor ist ein Gebetbuch, das an Feiertagen vorzulesen ist.

Den noch ungelüfteten Geheimnissen des in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrten Machsors näherte sich Dr. Ittai Joseph Tamari, Leiter des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, an. Sein Vortrag fand im Rahmen der Leipziger Jüdischen Woche, die vom 18. bis 25. Juni begangen wurde, statt.

Dr. Ittai Joseph Tamari mit Zuhörern seines Vortrages zum Leipziger Machsor

Es sei womöglich die schönste Handschrift im Besitz der Albertina, bestätigte auch Bibliotheksdirektor Ulrich Johannes Schneider im Einführungswort. Nicht einmal die Leuchttafel vermöge die Leuchtkraft der Farben und den Glanz des Blattgoldes wiederzugeben, die sich um die hebräischen Buchstaben und Zeichen herum winden und deren Bedeutung sich dem Leser dadurch mit neuer Ausdruckskraft offenbart.

Der Vortrag konzentrierte sich aber weniger auf die sicher noch nicht vollends entzifferten Geheimnisse der Illuminationen im Machsor Lipsiae, sondern auf den Befund des Schriftbildes. So lassen sich laut Tamari auch Einflüsse, welche der jüdischen Tradition fremd seien und den dogmatischen Regeln beim Abschreiben liturgischer Texte widersprächen, erkennen. Nachträge und Zusätze, die im Text deutlich hervorstechen, seien etwa Hinweise darauf, dass der Text selbst nicht die Kopie eines anderen Gebetsbuches sei, sondern auf ein Nachsinnen aus den Erinnerungen des Schreibers beruhe.

Die Bildgewalt des Buches deutet auf den Reichtum des Besitzers und Auftraggebers des Machsors hin. Dies gewährt einen möglichen und wichtigen Einblick in kulturelle und religiöse Praktiken der jüdischen Gemeinschaft im spätmittelalterlichen Südwestdeutschland, wo das Buch wahrscheinlich entstand. [mehr]

Vieles um den Machsor hält sich aber vor heutigen Betrachterinnen und Betrachtern noch im Verborgenen. Ein Umstand, der an der Fragilität des Buches selbst liegen mag – zur Veranschaulichung des Vortrags wurden größengetreue Blätter des Faksimiles benutzt, da das echte, doppelbändige und 34 kg schwere Pergamentbuch durch Nutzung unwiderruflich beschädigt werden könnte.


Im anschließenden Publikumsgespräch wurde eine Vielzahl von Fragen und Gegenfragen gestellt und es entfachte eine rege und mitunter kontroverse Diskussion.
Zur Klärung all dieser Fragen wird – so der Direktor der UBL im Anschluss – das Digitalisat des Machsor Lipsiae, das bald der breiten Öffentlichkeit in bester Qualität zur Verfügung stehen wird, entscheidend beitragen.

Im Rahmen eines deutschlandweiten Drittmittelprojekts zum deutsch-jüdischen Kulturerbe wurde die prachtvolle Handschrift im vergangenen Jahr neu digitalisiert, um sie zukünftig  webbasiert darstellen und damit bequem untersuchen zu können. Die „Digitale Bilderwelt“ (siehe Blogbeitrag vom 28.04.2017 ) wird auch den Leipziger Machsor erfassen und zu seiner weiteren Erhellung beitragen.

Ein Kommentar

  1. Laura   •  

    Wow, ein toller Beitrag! Die Leuchtkraft der Farben und den Glanz des Blattgoldes muss man wohl mal in echt gesehen haben 🙂

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