Viele unserer Projekte vollziehen sich naturgemäß hinter verschlossenen Türen, was natürlich auch an den wertvollen Objekten liegt. Natürlich weiß die Community zum Beispiel von unserem Projekt der Erschließung von koptischen Papyrusfragmenten. Aber vielleicht noch nicht jeder hier in Leipzig. Wir finden das Thema sehr faszinierend und haben von den vielen Fragen, die wir hatten, sieben an unseren Kollegen Vincent Walter gestellt. Wir freuen uns sehr, dass er uns sein komplexes Arbeits- und Forschungsfeld so spannend und unterhaltsam nahe gebracht hat. Ein Riesendankeschön an ihn für diesen charmanten Beitrag! Und wenn er auflegt, möchten wir dabei sein …
1. Sie sind im Projekt „Erschließung und Digitalisierung koptischer Papyri (sog. K-Tafeln) im Bestand der Papyrus- und Ostrakasammlung der Universitätsbibliothek Leipzig“ angestellt. D. h. Sie sind Papyrologe, von denen es in Deutschland nur etwa 50 gibt, richtig? Wie sind Sie darauf gekommen, diesen Berufszweig einzuschlagen?
Zur Zahl der in Deutschland tätigen Papyrolog*innen kann ich ehrlicherweise gar nichts sagen, da die Papyrologie ja nur an ganz wenigen Orten als eigenständiges Fach geführt wird und sich außerdem anhand der jeweils untersuchten Sprache noch in diverse Subdisziplinen aufgliedert, sodass die meisten Kolleg*innen an ganz unterschiedlichen Institutionen arbeiten. Aber es handelt sich in jedem Fall um eine recht überschaubare Anzahl, ja.
Wie bei vielen anderen Wissenschaftler*innen in den sogenannten „Orchideenfächern“ war mein Weg zur koptischen Papyrologie weder geplant noch vollkommen geradlinig. Schon als Kind war ich von allem Alten fasziniert und hatte auch das Glück, bereits in der Schule Latein und Altgriechisch lernen zu können. Ich habe dann in Leipzig Altorientalistik und Ägyptologie studiert und währenddessen schon zahlreiche Koptischkurse belegt, mich selbst aber mehr als Altorientalist gesehen und meine Magisterarbeit noch in diesem Fach geschrieben.
Einige Zeit später hat mich dann aber Sebastian Richter (damals noch Oberassistent in Leipzig, heute Professor für Ägyptologie an der Freien Universität Berlin) als Wissenschaftlichen Mitarbeiter in sein Projekt „Database and Dictionary of Greek Loanwords in Coptic“ geholt. Und seitdem hat mich die koptische Sprache nicht mehr losgelassen.
2. Was genau machen Sie in „Ihrem“ Projekt?
Bevor ich zur eigentlichen Projektarbeit komme, lassen Sie mich zunächst das Feld der Koptologie kurz umreißen:
Beim Koptischen handelt es sich um die letzte Sprachstufe des Ägyptischen, die im Gegensatz zu den früheren Sprachstufen nicht in Hieroglyphen oder einer der ägyptischen Kursivschriften niedergeschrieben wurde, sondern mit Hilfe des – um einige Sonderbuchstaben erweiterten – griechischen Alphabets. Koptisch ist die Sprache der ägyptischen Christen, oder genauer gesagt des christlichen Jahrtausends in Ägypten, und war etwa vom dritten bis zum zwölften Jahrhundert unserer Zeitrechnung produktiv in Gebrauch.
In reduzierter Form findet das Koptische aber noch heute als Liturgiesprache der koptischen Kirche Anwendung, ähnlich dem Lateinischen in der katholischen Kirche. Während ihrer „Lebenszeit“ deckte die koptische Sprache alle Bereiche der spätantiken und frühmittelalterlichen Textproduktion ab: Neben überwiegend religiösen literarischen Texten finden wir dokumentarische Texte, wie Briefe, Rechtsurkunden, Abrechnungen oder Listen, und im weiteren Sinne wissenschaftliche Texte, z. B. aus der Medizin, aber auch aus der Magie und Alchemie.
Im Projekt geht es nun darum, die noch unkatalogisierten koptischen Bestände der Papyrussammlung der UBL erstmalig für die Wissenschaft zu erschließen. Es handelt sich dabei um ca. 750 Textfragmente, die zum Großteil auf Papyrus, aber auch auf Pergament und Papier niedergeschrieben wurden. Die Arbeit an den Fragmenten lässt sich in drei große Phasen unterteilen:
Zunächst geht es darum, die Fragmente zu sortieren und zusammengehörige Stücke zu identifizieren. Das kann man sich wie ein riesiges Puzzle vorstellen, bei dem Teile verschiedener Puzzles miteinander vermischt wurden – und bei dem wir im Vorfeld nicht wissen um wie viele und welche Puzzles es sich dabei handelt. Im Idealfall lassen sich dann ganze Seiten antiker Bücher wieder zusammensetzen.
In einem zweiten Schritt müssen dann, soweit möglich, die Texte auf den (zusammengesetzten) Fragmenten identifiziert werden. Das steht aktuell noch nicht im Zentrum meiner Arbeit, ich kann allerdings schon sagen, dass wir neben dem Leipziger Markusevangelium (von dem Dr. Anne Boud’hors aus Paris am 24. Juni 2021 berichtet hat) auch Fragmente der anderen drei kanonischen Evangelien, apokryphe Texte sowie Heiligenlegenden im Bestand haben.
In der dritten Phase müssen dann die als zusammengehörig identifizierten Fragmente in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der Restaurierungswerkstatt zusammengesetzt und neu verglast werden. Abschließend werden alle Fragmente mit neuen Inventarnummern versehen und mit den relevanten Daten in der Datenbank des Papyrusportals erfasst.
3. Haben Sie einen Lieblings-Papyrus? Wenn ja, warum?
Das ist eine gute, aber auch sehr schwierige Frage. Denn es gibt so viele Stücke, die mich jeweils auf ihre eigene Art begeistern. Aber für diesen Rahmen hier kommt eigentlich nur ein Stück in Frage: ein Pergamentblatt der Leipziger Sammlung, das für meinen Lebensweg eine entscheidende Rolle gespielt hat und nun im Rahmen des Projekts wieder auf meinem Tisch liegt.
Und zwar geht es um eine Seite aus dem Martyrium des bislang noch unbekannten Heiligen Apa Prau, an der ich während der „2nd International Summer School in Coptic Papyrology“, die 2008 an der UBL stattfand, gearbeitet habe und die somit ganz konkret meinen ersten unmittelbaren Kontakt zur koptischen Papyrologie darstellt.
Auf dieser Buchseite gibt es eine Episode, in der der Heilige Apa Prau sich in Seenot befindet und zu Jesus Christus um Hilfe betet. Gott erhört seine Gebete und sendet daraufhin einen Delphin, der den Heiligen auf seinem Rücken wohlbehalten ans Ufer bringt. Ich erinnere mich noch gut an den Moment der Erleuchtung, als ich beim Betrachten dieses Pergamentblattes auf einmal in dem koptischen telephinos das griechische Wort delphîn wiedererkannte – ein Moment, der auf fast prophetische Weise meine spätere Tätigkeit am Lehnwortprojekt „Database and Dictionary of Greek Loanwords in Coptic“ vorherzeichnete.
4. Corona ist ja derzeit omnipräsent. Wie hat die Pandemie Ihren Arbeitsalltag im neuen Projekt geprägt oder beeinflusst?
Ehrlich gesagt weniger, als man vielleicht denken könnte. Denn da ich – nach zuvor fast 15 Jahren Leipzig – seit einiger Zeit meinen Lebensmittelpunkt in Berlin habe, war ohnehin geplant, dass ich viel im Homeoffice arbeiten würde und nur gelegentlich in meinem Büro in der Albertina. Wegen der zweiten und dritten Welle der Pandemie war die Präsenz vor Ort zwar nun deutlich länger nicht möglich, ein allzu großes Hindernis für meine Arbeit war dies jedoch zum Glück nicht. Mittlerweile bin ich guter Hoffnung, dass sich die Situation auch nachhaltig verbessert hat, und freue mich darauf, bald wieder regelmäßig nach Leipzig zu kommen.
Natürlich, mit gewissen Einschränkungen hatte auch ich zu kämpfen: Der Zugang zu Fachliteratur war zeitweise deutlich erschwert und der persönliche Kontakt zu den Kolleg*innen fehlt enorm – und seien es nur ein Lächeln und eine freundliche Begrüßung auf dem Gang. Insgesamt bin ich aber sicher besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Menschen.
Andererseits hat die pandemiebedingte Ausnahmesituation auch einige positive Veränderungen auf dem Gebiet der Digitalisierung angestoßen, von denen ich sehr hoffe, dass sie auch nach Ende der Pandemie Bestand haben werden. Dass viele Vortragsreihen nun ganz selbstverständlich in Onlineformaten durchgeführt werden, ist von unschätzbarem Wert und sollte auch in Zukunft beibehalten werden – idealerweise in hybriden Formaten. Und dass an den regelmäßigen Treffen zu meiner Dissertation, an der ich zusätzlich zum Projekt noch arbeite, neben meinem Doktorvater auch meine Zweitbetreuerin aus Paris per Videokonferenz teilnehmen würde, hätte ich mir vor Beginn der Pandemie wohl auch nicht träumen lassen.
5. Falls diese persönliche Frage erlaubt ist: Das Projekt zu den K-Tafeln ist an der UB Leipzig angesiedelt. Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt, in der sich Ihr Arbeitsort befindet? Haben Sie schon wichtige Hotspots für Papyrolog*innen gefunden?
Wie weiter oben schon erwähnt, ist Leipzig für mich mehr alte denn neue Heimat, aber einiges gibt es dennoch zu sagen: Was ich an Leipzig immer geschätzt habe und nach wie vor schätze, ist, dass es sich um eine sehr grüne Stadt handelt. Denn es gibt ja kaum einen Ort in Leipzig, an dem nicht irgendein kleinerer oder größerer Park direkt um die Ecke gelegen ist und einem die Möglichkeit für einen schnellen Perspektivwechsel bietet.
Außerdem begeistert mich an Leipzig die Vielfalt und Lebendigkeit im kulturellen Bereich. Zwar ist gerade diese Branche in besonderem Maße von den Folgen der Coronapandemie betroffen, dennoch bin ich guter Hoffnung, dass die Leipziger Kulturszene mit Abflauen des Infektionsgeschehens wieder aus ihrem verlängerten unfreiwilligen Winterschlaf erwachen wird.
6. Haben Sie schon einmal selbst Papyrus hergestellt? Wenn ja, können Sie kurz davon berichten?
Das habe ich tatsächlich, und zwar im Rahmen der weiter oben schon erwähnten Sommerschule 2008 – irgendwo habe ich sicher auch das selbstgemachte Papyrusblatt noch. Ich habe die Papyrusherstellung als eine sehr interessante Erfahrung in Erinnerung, allerdings ist es mittlerweile auch so lange her, dass ich mich an die Details nur noch düster erinnern kann und es daher gerne ein zweites Mal ausprobieren würde.
7. Was machen Sie am liebsten, wenn Sie gerade keine koptischen Papyri zusammenpuzzlen?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da ich recht vielseitig interessiert bin, aber neben den Altertumswissenschaften war auch die Musik immer eine Leidenschaft von mir. Zwar habe ich heute nicht mehr die Ambition, als DJ möglichst viel Zeit in den Leipziger Clubs hinter den Plattenspielern zu verbringen, die Begeisterung für die Musik ist aber geblieben. Wenn ich bei Freunden zu Besuch bin, kümmere mich daher meist ganz selbstverständlich um die Musikauswahl – und wer weiß, vielleicht hole ich ja irgendwann auch mal wieder die Schallplatten aus dem Regal.
Die Fragen stellten Katrin Sturm und Sophia Manns-Süßbrich.