Eine Woche voller kodikologischer Detektivarbeit und neuer Entdeckungen

Arbeit mit Hs.kurs

Der Sommerkurs zur Handschriftenkultur des Mittelalters

Vom 17. bis 23. September 2017 fand der 6. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur unter dem Titel „Handschriftenkultur des Mittelalters für Fortgeschrittene“ in der Bibliotheca Albertina statt. An dem durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und den Mediävistenverband e.V. geförderten und interdisziplinär ausgerichteten Kurs nahmen 21 Studierende und Doktorierende aus sieben Ländern teil.

Das Ziel des Kurses war es, den Teilnehmenden eine vertiefte Einführung in die vielseitige Arbeit mit mittelalterlichen Handschriften zu geben, sowohl durch Lehreinheiten mit mediävistischen Fachleuten als auch durch praktische Übungen und intensive Arbeit an den Originalen: Aus dem reichen Bestand der UB Leipzig wurde für den Kurs etwa ein Dutzend noch größtenteils unerschlossener Handschriften ausgesucht, die die Teilnehmenden in kleinen Gruppen bearbeiteten. Weiterlesen →

Gäste aus dem Kloster

Die Priorin von St. Marienthal Schwester M. Juliana Lindner OCist mit der stellvertretenden Direktorin der UB Leipzig Charlotte Bauer sowie Mitarbeitern des Leipziger Handschriftenzentrums: Dr. Christoph Mackert, Dr. Matthias Eifler und Dr. Werner Hoffmann (v. l. n. r.)

Die Priorin von St. Marienthal Schwester M. Juliana Lindner OCist mit der stellvertretenden Direktorin der UB Leipzig Charlotte Bauer sowie Mitarbeitern des Leipziger Handschriftenzentrums: Dr. Christoph Mackert, Dr. Matthias Eifler und Dr. Werner Hoffmann (v. l. n. r.)

Wertvolle Handschriften aus der Abtei St. Marienthal in der UB Leipzig

Am 28. Januar 2016 erhielt das Leipziger Handschriftenzentrum Besuch aus der Zisterzienserinnenabtei St. Marienthal in der Oberlausitz.

Begleitet von der Priorin, Schwester M. Juliana Lindner OCist (Ordo Cisterciensis) wurden wertvolle Handschriften nach Leipzig gebracht. In stabilen Transportkisten gelangten die Marienthaler Schätze in die Universitätsbibliothek, wo sie für die Dauer der Bearbeitung sicher im klimatisierten Magazin aufbewahrt werden.

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Anlass war ein Anfang des Jahres gestartetes, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt, dessen Ziel es ist, Kleinsammlungen mittelalterlicher Handschriften aus Bibliotheken und Sammlungen in Ostdeutschland wissenschaftlich zu erschließen.
Bei diesem Projekt handelt es sich um Handschriften und Fragmente, die in der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung bislang weitgehend unbekannt oder nur mangelhaft erschlossen waren. Die Ergebnisse werden kontinuierlich über die Projektseite im zentralen deutschen Handschriftenportal präsentiert.
Sie sollen somit ohne Zeitverzug interessierten Fachkolleginnen und -kollegen aus den mediävistischen Disziplinen zur Verfügung stehen. Für die Projektbestände aus sächsischen Institutionen kann 2016 mit Hilfe des Landesdigitalisierungsprogramms Sachsen eine Digitalisierung erfolgen.

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Lesen will gelernt sein – Vorbereitungen einer Ausstellung

„Das kann doch kein Schwein lesen…!“: Der Ausstellungstitel war für uns Student*innen anfangs genauso wahr wie für die zukünftigen Besucher*innen der Kabinettausstellung der Universitätsbibliothek (27. Oktober–06. Dezember 2015) wahrscheinlich auch.

Die kommende Ausstellung „Das kann doch kein Schwein lesen…! Schriften Europas im Mittelalter“ in der Bibliotheca Albertina ist ein zentraler Bestandteil des Seminars „Paläographie des Mittelalters und der Neuzeit“. Diese Möglichkeit die Prüfungsleistung für das Modul zu absolvieren wurde gut von uns Student*innen angenommen. Sie bietet vor allem die Chance, erste Praxiserfahrungen im Bereich Ausstellungskonzeption zu sammeln.

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„Gewichtige“ Gäste in der Universitätsbibliothek Leipzig: Digitalisierung und Erschließung der Naumburger Chorbücher

Prachtvolle Handschriftenriesen in der Universitätsbibliothek

Seit mehreren Monaten beherbergt die Universitätsbibliothek Leipzig regelmäßig „gewichtige“ Gäste in ihren Räumen: Acht über fünfhundert Jahre alte Chorbücher aus dem Besitz der Domstiftsbibliothek Naumburg werden hier digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen. Die Bearbeitung erfolgt am Handschriftenzentrum im Rahmen von zwei Projekten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden.

Das erste Projekt widmet sich noch bis zum Jahresende der wissenschaftlichen Tiefenerschließung von 107 weitgehend unbekannten Handschriften und Fragmenten aus der Zeit vom ausgehenden 8. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie stammen aus acht Bibliotheken und Einrichtungen in Sachsen und dem Leipziger Umland. In diesem Projekt werden auch 30 Handschriften und acht ausgewählte Fragmente aus dem Besitz der Domstiftsbibliothek Naumburg bearbeitet. Die Ergebnisse werden kontinuierlich über die Projektseite im zentralen deutschen Handschriftenportal „Manuscripta Mediaevalia“ präsentiert. Parallel zur Erschließung erfolgt seit September 2013 die Digitalisierung der bearbeiteten Bestände im Rahmen einer von der DFG angeregten Pilotphase zur Digitalisierung mittelalterlicher Handschriften.

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Amarcord in der Albertina – Eine mittelalterliche Handschrift wurde lebendig

Der 3. Sommerkurs für Handschriftenkultur hat sich in der vorletzten Woche im Benutzungsbetrieb der Bibliotheca Albertina gehörig bemerkbar gemacht: Der Forschungslesesaal blieb für eine Woche für den normalen Publikumsverkehr geschlossen, der Vortragsraum war täglich belegt, und am Mittwochabend (11.9.) schloss die Bibliothek sogar bereits um 19 Uhr. Was war da los?

Für eine Woche waren dank der großzügigen Förderung durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung 20 hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler_innen aus dem In- und Ausland bei uns zu Gast, um an einem Vertiefungskurs zur mittelalterlichen Handschriftenkunde teilzunehmen, den das Handschriftenzentrum der UB Leipzig in Kooperation mit dem internationalen Mediävistenverband organisiert hat. Vormittags haben wir vorlesungsartige Crashkurse zu einzelnen Themengebieten geboten, am Nachmittag dann das theoretisch Vermittelte anhand handschriftlicher Originale gemeinsam erprobt. Sechs international renommierte Mittelalter-Expert_inn_en aus Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland waren nach Leipzig gekommen, um zusammen mit dem Team des Handschriftenzentrums ihre Kompetenz für den Kurs zur Verfügung zu stellen. Es war eine großartige und intensive Woche gemeinsamen Lernens für uns alle, was auch die sehr positive Evaluation bestätigt hat.

Ein Schwerpunkt unseres Kurses war die Frage, wie im Mittelalter Musik aufgeschrieben wurde und wie wir die liturgischen Handschriften zu verstehen haben, in denen solche Gesänge fast ausschließlich überliefert sind.  Was lag da näher, als eine öffentliche Veranstaltung zu organisieren, bei der die historische Gebrauchssituation des liturgischen Gesangs sinnlich erlebbar gemacht wird.

Foto: Christian Kern
Foto: Christian Kern

Im letzten Jahr hatte das bekannte Leipziger Vokal-Ensemble amarcord eine CD mit Gesängen aus dem Thomas-Graduale aufgenommen, einer liturgischen Handschrift des frühen 14. Jahrhunderts aus dem Leipziger Thomaskloster, die als Leihgabe der Thomaskirchengemeinde bei uns aufbewahrt wird. Von daher bestanden gute Kontakte zu amarcord, und tatsächlich fand sich das Ensemble sofort bereit, als wir sie fragten, ob sie mit uns ein interaktives Konzert gestalten wollten, bei dem nicht nur gesungen, sondern das Gesungene auch durch Experten erklärt, diskutiert und in den historischen Zusammenhang eingebettet wird.

Das Konzert war ein Experiment für uns alle, für amarcord, für die Professoren Felix Heinzer und Jeremy LLewellyn aus Freiburg i. Br. und Basel, die als Musik- und Liturgieexperten mitgemacht haben, und für uns von der Bibliothek. Aber es ist gelungen, denn 140 Besucher_innen füllten am Mittwochabend die Eingangshalle der Albertina bis auf den letzten Platz und hörten gespannt zu, wie amarcord eine ganze Messfeier Station für Station durchsangen und die beiden Experten sich immer wieder mit Erklärungen und Kommentaren einschalteten. Wer wollte, konnte alles in der Handschrift mitlesen, deren entsprechende Seiten auf eine große Leinwand gestrahlt wurden. Und nach 90 Minuten interaktivem Konzert blieben sogar ca. 40 Hartnäckige und diskutierten mit den Sängern und den Experten eine Stunde lang weiter.

Handschriften und international relations

Am Donnerstag kam es am späten Vormittag im Handschriftenzentrum zu einer Begegnung zwischen Handschriftenbearbeiterinnen und –bearbeitern aus Leipzig mit zwei Gästen von Prof. Gregory Crane (Humboldt Professur „Digital Humanities“, Leipzig): Neel Smith, Associate Professor am College of the Holy Cross, Massachusetts, und Christopher W. Blackwell, The Louis G. Forgione University Professor of Classics an der Furman Universität, South Carolina. Der Besuch war kurzfristig angekündigt worden. Daher wurde den Gästen anstelle einer Handschriftenschau ein direkter Einblick in die Arbeit des Handschriftenzentrums gewährt.

Neel Smith und Chris Blackwell konnten sozusagen in Echtzeit die laufenden Arbeiten beobachten, kommentieren und Rückfragen stellen. Eine lateinische liturgische Handschrift aus Naumburg zeigte Matthias Eifler, Dr. Werner Hoffmann eine deutschsprachige Handschrift aus dem Dresdener Projekt. Absoluter Höhepunkt, nach eigener Aussage das „highlight“ dieser anderthalb Stunden, war für die Gäste die Begegnung mit der Leipziger Homer-Handschrift Cod.gr.32 (zu der weiter unten Dr. Friederike Berger, die Bearbeiterin der griechischen Handschriften, noch etwas schreiben wird).

Als abschließend Katrin Sturm die Datenbanken Wasserzeicheninformationssystem und Manuscripta Mediaevalia vorstellte, die beide am Leipziger Handschriftenzentrum wesentlich weiterentwickelt bzw. gefüttert werden, kannte die Begeisterung von Neel und Chris schier keine Grenzen. Es wurde deutlich, welcher qualitative Sprung an Erkenntnis stattfinden kann, wenn es gelingt, die unterschiedlichen hoch spezialisierten Kompetenzen zusammenzuführen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Genau das geschieht in Leipzig. (Dr. Almuth Märker)

Dr. Friederike Berger mit Neel Smith und Chris Blackwell

Im digitalen Zeitalter ist viel von Text und Metatexten die Rede; die Leipziger Homer-Handschrift Cod.gr.32 ist für dieses Phänomen ein Beispiel aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Die Geschichte der Handschrift ist spannend: Vielleicht in Thessaloniki entstanden, kam sie wohl über Konstantinopel nach Italien und von dort nach Leipzig. Sie überliefert eine Abschrift der Ilias mit ausführlichen Kommentaren (Scholien), die ein byzantinischer Gelehrter um die Wende vom 13. zum 14. Jh. am Rand und zwischen den Zeilen geschrieben hat. Vieles wird er in seiner Vorlage gefunden haben, anderes stammt vielleicht von ihm oder seinem Lehrer. Im 15. Jh. wurde die Handschrift restauriert, fehlende Teile ergänzt und als Einleitung u. a. der Homerkommentar des Ioannes Tzetzes hinzugefügt. Auch die ergänzten Teile sind kommentiert.

Neel Smith und Chris Blackwell wollen diese mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texte in der virtuellen Welt des Internets darstellen. Aus jedem antiken Scholion wird dort ein Link und vielleicht kann man dann mit einem Klick erfahren, was man jetzt mühsam lesen muss. (Dr. Friederike Berger)